# taz.de -- Neue Schul-Debatte in Hamburg: „Die Schulen brauchen Freiheit“ | |
> Schulleiter warnen vor einem Scheitern der Stadtteilschule. Simple | |
> Antworten wie Mathe-Offensiven helfen nicht, sagt deren Sprecher Thimo | |
> Witting | |
Bild: Fordert mehr Gehör für die Praktiker vor Ort: Sprecher der Stadtteilsch… | |
taz: Herr Witting, 51 der 59 Schulleiter der Stadtteilschulen meinen, so | |
wie das läuft, könne das System aus Stadtteilschule und Gymnasium nicht | |
funktionieren. So eine [1][Erklärung] von dieser Woche. Brechen Sie den | |
Schulfrieden? | |
Thimo Witting: Nein, darum geht es nicht. Wir wollen mit der Stadt über die | |
Bedeutung von Bildung ins Gespräch kommen. Wir wollen ein inklusives, | |
demokratisches Schulwesen, das keinen Schüler zurücklässt. | |
Und das haben wir nicht? | |
Unsere Analyse ist, dass das Zwei-Säulen-System aus Stadtteilschule und | |
Gymnasien nicht funktioniert. Im neuen Schuljahr sind nur noch 42 Prozent | |
an der Stadtteilschule angemeldet und 58 Prozent am Gymnasium. Setzt sich | |
dieser Trend fort, sind es bis 2020 etwa 70 Prozent. | |
Und das wäre nicht tragbar? | |
Nein. Denn eine kleine Gruppe von immer weniger Schülern, die schon selber | |
Probleme hat, muss mit ihren Lehrern große Aufgaben schultern: Die | |
Integration von Kindern mit Förderbedarf. Die Aufnahme von geflüchteten | |
Kindern. Und dann auch noch die abgeschulten Schüler. Bis zur 10. Klasse | |
verliert das Gymnasium ein Drittel seiner Schüler. Die von Misserfolg | |
enttäuschten Kinder wieder aufzurichten, kommt auch uns Stadtteilschulen | |
zu. | |
Ganz kühl kann man sagen, so haben sie wieder mehr Schüler. | |
Das ist kein tragfähiges Bildungssystem. | |
Sollten Gymnasien alle die Kinder behalten müssen? | |
Wir sind nicht gegen die Gymnasien. Wir reden intensiv mit dem | |
Gymnasialleiterverband, in der Analyse sind wir einig. Sie haben in Klasse | |
5 und 6 eine zu heterogene Schülerschaft, um ihren Bildungsauftrag zu | |
erfüllen. Und ja, eine Schule sollte Kinder, die sie aufnimmt, behalten. | |
Dafür gäbe es verschiedene Wege. | |
Sie fordern in dem Papier mehr Freiheiten. Wo fehlen die denn? | |
Wir haben uns nach sechs Jahren Stadtteilschule unser Leitbild angeschaut: | |
Dazu gehört, dass Vielfalt Reichtum bedeutet und die Schüler gemeinsam | |
erfolgreich lernen. Jeder Standort ist einzigartig und braucht die | |
Freiheit, eine passende Schule für die Menschen in dieser Schule zu machen. | |
Das sehen wir in Gefahr. Viele der uns jetzt vorgeschriebenen Vorschläge | |
sind Jahre zurück hinter dem Stand der Bildungsforschung und dem, was wir | |
in der Praxis tun. | |
Was für Vorschläge? | |
Die Mathematik-Offensive. Man stellt fest, es gibt am Ende nicht die | |
gewünschten Ergebnisse. Und als Patentrezept sollen alle eine Stunde Mathe | |
mehr unterrichten und nur noch studierte Fachlehrer dies tun. Das mag in | |
der Bevölkerung gut ankommen. Aber wir Praktiker sagen: Das ist nicht das | |
Mittel der Wahl. Lernen ist komplexer. Ein anderes Beispiel sind | |
Pflicht-Rechtschreibtests von Klasse 5 bis 10. Bis auf den guten alten | |
Denkzettel bringt das die Kinder nicht weiter. Wir sagen, fragt uns doch | |
mal, wie es uns gelingt, dass aus nur einem Schüler mit Gymnasialempfehlung | |
später zehn Schüler werden, die es in die Oberstufe schaffen. Oder dass | |
fast kein Schüler mehr ohne Abschluss ist. Das gelingt uns ja nicht mit | |
einer Stunde Mathe mehr oder mehr Tests. | |
Sie meinen, es gelingt mit neuen Lernformen? | |
Wir arbeiten mit Methoden, die dem aktuellen Stand der Bildungsforschung | |
entsprechen. | |
Diese rustikalen Vorgaben sind von Schulsenator Ties Rabe. Mit dem schon | |
gesprochen? | |
Wir suchen das Gespräch mit allen und mischen uns aktiv ein. Die Frage ist, | |
wofür machen wir Bildung? Uns geht es darum, alle Menschen in die Mitte der | |
Gesellschaft zu holen. Olaf Scholz sagt, er will die inklusive Stadt. Das | |
ist eine Aufgabe für alle in der Stadt. Hierfür brauchen wir eine neue | |
Vision. | |
24 Jun 2016 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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