| # taz.de -- Jesuit über Homosexualität und Kirche: „So redet man nicht übe… | |
| > Pater Klaus Mertes fordert alle in der Kirche zum Kampf für Rechte | |
| > Homosexueller auf. Und erklärt, warum es sich lohnt, trotz aller | |
| > Homophobie katholisch zu bleiben. | |
| Bild: Klaus Mertes hat sich mit dem Aufdecken von Missbrauchsfällen nicht nur… | |
| taz: Herr Mertes, das jüngste Schreiben des Papstes „Amoris Laetita“ zu | |
| Ehe-, Familien- und Sexualfragen feiert den ehelichen Sex, zeigt aber | |
| gegenüber Homosexuellen keinerlei Bewegung. Warum sollten Schwule und | |
| Lesben eigentlich noch in der katholischen Kirche bleiben? | |
| Klaus Mertes: Ich kenne viele Schwule und Lesben, die sich in der | |
| katholischen Kirche trotz aller Verletzungen nicht ausgrenzen lassen und in | |
| ihr bleiben. Sie helfen mir, zu sehen, dass die Kirche viel zu bieten hat. | |
| Wer geht, verliert auch etwas. | |
| Was verliert man denn? | |
| Die Glaubensgemeinschaft, die spirituelle Beheimatung. Ich habe es mal | |
| erlebt, dass ein Mann, der vor 20 Jahren aus der Kirche ausgetreten war, | |
| bei einer Feier in der Kirche in Tränen ausbrach, als er die alten Lieder | |
| wieder hörte. Es ist die Schönheit der Gesänge, die Kraft der Liturgie, der | |
| ritualisierte wöchentliche Kontakt mit dem Evangelium, der Eucharistie und | |
| den Sakramenten. Das sind große Sachen. | |
| Aber Homosexuelle müssen sich doch angesichts der Behandlung durch die | |
| katholische Kirche als defizitär erleben. | |
| Ja, deshalb müssen wir gemeinsam, Homosexuelle und Heterosexuelle, in der | |
| Kirche dafür kämpfen, dass diese Sicht auf Homosexuelle aufgegeben wird. | |
| Ich weiß, dazu braucht es auch einen langen Atem: Die katholische Kirche | |
| ist eine Weltkirche. In Europa hat man ja 200 Jahre gebraucht, um an den | |
| Punkt zu kommen, an dem wir jetzt sind. In Afrika oder Südostasien ist man | |
| da noch ganz woanders. Der Kampf für die Rechte von Homosexuellen weltweit | |
| ist ein Projekt, für das es sich lohnt, in der Kirche zu bleiben. | |
| Warum tut sich die katholische Kirche überhaupt so schwer mit der | |
| Anerkennung der homosexuellen Liebe, obwohl viele katholische Priester, | |
| seriösen Studien zufolge, selbst homosexuell sind? | |
| Das ist richtig, zumal ich die Erfahrung gemacht habe, dass die härteste | |
| Homophobie oft von Klerikern kommt, die selbst homosexuell sind und das | |
| Thema bei sich selbst verleugnen. Homophobie ist ein gesellschaftliches | |
| Thema. Die katholische Kirche lehnt Homosexualität vor allem deshalb ab, | |
| weil sie Sex grundsätzlich mit Fruchtbarkeit verbindet. Deswegen hängt an | |
| dem Thema für sie letztlich auch das ganze Gebäude der kirchlichen | |
| Sexualmoral. | |
| Die Fortschritte, die es bei der Bewegung für die Homosexuellen gab, wurden | |
| meist gegen den Widerstand der Kirche durchgefochten. | |
| Ja, sowohl Widerstand vom Lehramt als auch aus dem katholischen Milieu. Was | |
| das Lehramt betrifft, schlage ich deswegen vor, Sexualmoral vom Begriff der | |
| Nächstenliebe her zu denken und nicht von einem Naturbegriff, der den | |
| Geschlechtsakt isoliert betrachtet, ohne die Kontexte zu würdigen. Die | |
| katholische Sexualmoral steckt in der Falle einer Fixierung. | |
| Was kann man konkret in der Kirche tun, um dieses dicke Brett zu | |
| durchbohren? | |
| Die katholische Kirche muss das Thema Homosexualität als | |
| Menschenrechtsthema wirklich ernst nehmen. Sie sollte ihren weltweiten | |
| Einfluss geltend machen, dass die elementarsten Rechte der Homosexuellen | |
| überall gesichert sind, zum Beispiel in der ersten Person Singular sagen zu | |
| können: „Ich bin schwul. Ich bin lesbisch“, ohne ausgegrenzt zu werden. | |
| Seine Homosexualität in der Öffentlichkeit zeigen zu können, ohne mit dem | |
| Tode bedroht zu sein – hier könnte man ja mal anfangen. Es wundert, ja es | |
| empört mich, dass die Kirche in dieser Frage so still ist, während sie doch | |
| in anderen Punkten erfreulicherweise ihre Stimme für grundlegende | |
| Menschenrechte laut erhebt. | |
| Viele Homosexuelle fordern von der Kirche viel mehr Mitgefühl und | |
| Solidarität gegen homophobe Gesellschaften, etwa in Afrika oder | |
| Lateinamerika. | |
| Ja, ich habe auch Kontakt zu vielen katholischen Eltern, die sich für ihre | |
| homosexuellen Kinder eine solche Solidarität wünschen. Ich bin auch traurig | |
| darüber, dass es der Kirche etwa in Afrika nicht gelingt, zumindest wenige | |
| grundlegende Menschenrechte einzufordern – in Ländern und Kulturen, in | |
| denen das Händchenhalten in der Öffentlichkeit schon mit Gefängnis oder mit | |
| dem Tode bestraft wird. Es gibt ja in manchen katholischen Kreisen, auch im | |
| Vatikan, Menschen, die eine Konvergenz der Werte der katholischen Kirche | |
| mit denen der Putin’schen Gesellschaftpolitik sehen. Da bin ich als | |
| Katholik erschüttert darüber, dass es so etwas in der Kirche gibt. | |
| Nun kann man Homosexuellen nicht verdenken, dass manche sagen: Ich habe | |
| keine Zeit, 100 Jahre zu warten, ehe die katholische Kirche vielleicht ihre | |
| Einstellung zu uns ändert. | |
| Ich habe Respekt davor, wenn homosexuelle Menschen das sagen und deshalb | |
| aus der Kirche austreten. | |
| Empört es Sie nicht, welcher Aberglaube, geschützt durch das katholische | |
| Label, etwa in Polen bei der Homosexuellen-, aber auch bei der | |
| Flüchtlingsfrage gelebt wird? | |
| Ja, aber ich bin auch sehr erleichtert, dass man sich in Polen bei der | |
| Flüchtlingsfrage nicht auf den gegenwärtigen Papst berufen kann. | |
| Hat es Sie mit Zufriedenheit erfüllt, wie souverän sich Irland, das große | |
| Skandalland des sexuellen Missbrauchs, für die Freiheit zur Ehe auch von | |
| Homosexuellen entschieden hat? | |
| Ja, das hat mir imponiert. Das ist ein Beispiel dafür, wie nach Jahrzehnten | |
| des Kampfes aus dem Inneren einer katholisch geprägten Kultur heraus eine | |
| Öffnung für die Rechte der Homosexuellen stattfindet. Nur so geht es. | |
| Prozesse müssen von innen kommen, denn nur so sind sie nachhaltig wirksam. | |
| Vor sechs Jahren haben Sie die erste Aufarbeitung des Missbrauchsskandals | |
| in Deutschland angestoßen. Wie ist ihr Eindruck: Wollen viele Bischöfe | |
| heute am liebsten wieder zur Tagesordnung übergehen? | |
| Ach, es ist schon viel geschehen. Aber es gibt bei vielen, auch bei | |
| Bischöfen, diese Müdigkeit: „Jetzt müssen wir doch endlich dieses Thema | |
| hinter uns lassen!“ Aber das funktioniert nicht, denn es kommt ja immer | |
| wieder auf. Das ist auch die Erfahrung der Amerikaner, die den | |
| Missbrauchsskandal viel früher aufgedeckt haben: It never ends. Das muss | |
| man wissen: Sexualisierte Gewalt ist ein Dauerthema. Zu meinen, man könne | |
| das hinter sich bringen, ist naiv. | |
| Warum gibt es beispielsweise in den katholischen Ländern wie Polen und | |
| Italien so wenig Aufklärung in diesem Feld? | |
| Nun, es gibt ja ein bisschen etwas. So musste ein polnischer Bischof seine | |
| Teilnahme an einer geplanten Messe während des kommenden Weltjugendtages in | |
| Krakau mit wohl rund 600.000 Gläubigen absagen, weil ihm vorgeworfen wird, | |
| einen Missbrauchsfall vertuscht zu haben. Aber das hat nicht diese starke | |
| gesellschaftliche Erdbebenwirkung wie 2010 in Deutschland oder zuvor in | |
| Irland und den USA. Das hängt damit zusammen, dass die Gesellschaften in | |
| einigen Ländern noch gar nicht dazu bereit sind, das Thema anzunehmen. Auch | |
| wenn es einzelne Berichte gibt, etwa in Polen, löst das noch nicht dieses | |
| Beben wie etwa in Deutschland aus. | |
| Warum nicht? | |
| Man könnte umgekehrt fragen: Warum hat es nicht schon 1990 in Deutschland | |
| ein solches Beben gegeben, als auch erstmals Fälle sexualisierter Gewalt | |
| gegen Schutzbefohlene gemeldet wurden? In Deutschland war ein Beben 2010 | |
| auch deshalb möglich, weil die Frauenbewegung das Problem der | |
| sexualisierten Gewalt schon 20, 30 Jahre vorher angesprochen hat. | |
| Hat eine solche Möglichkeit der Aufarbeitung auch mit dem Machtverlust der | |
| katholischen Kirche durch die Säkularisierung zu tun? | |
| Ganz sicher. Das ist ein wesentlicher Punkt. Die Rolle etwa des Priesters | |
| und Bischofs ist in Polen immer noch sakrosankt, während die Macht der | |
| Kirche in säkularisierten Gesellschaften gesunken ist. Dann ist es auch | |
| möglich, solche Dinge anzusprechen. Ein Beispiel: Manche Opfer im Berliner | |
| Canisius-Kolleg haben schon vor 2010 versucht, mit ihren Eltern über das zu | |
| reden, was ihnen angetan wurde – und die Reaktion mancher Eltern war: „So | |
| redet man nicht über einen Priester!“ Da war eine tief verankerte, | |
| unhinterfragbare Autorität des Priesters, die es unmöglich macht, die Opfer | |
| überhaupt anzuhören. Die Möglichkeit des Sprechens über sexualisierte | |
| Gewalt und der dafür notwendige Verlust der sakrosankten Macht wird sich | |
| auch in anderen Ländern ereignen, auch wenn es dauern wird. Zumindest hoffe | |
| ich das. | |
| Auch hier: Die große katholische Macht hat in der Geschichte viel Unglück | |
| über die Menschheit gebracht – oder? | |
| Ja, ohne Zweifel. Aber ich halte immer noch daran fest, dass die | |
| Alternative nicht ist, institutionelle Macht, auch im religiösen Feld, | |
| grundsätzlich abzuschaffen. Es bedarf der Institution, um Schwache vor | |
| Starken zu schützen, auch im Bereich Religion. Der Missbrauch der | |
| Institution besteht darin, dass sie die Schwachen nicht geschützt hat, | |
| sondern sich narzisstisch nur darum gekümmert hat, ihre Macht zu erhalten. | |
| Narzisstisches Verhältnis zur eigenen Macht hat immer eine gewalttätige | |
| Außenseite. | |
| 25 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
| Philipp Gessler | |
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