# taz.de -- LGBT in Warschau: Polens neue Opposition | |
> Die größte LGBT-Demo entwickelt sich zum Sammelbecken für | |
> außerparlamentarische Opposition. Sie eint die Kritik an der Regierung. | |
Bild: Magdalena Świder kämpft recht beschwingt gegen Homophobie | |
Warschau taz | Die Nachricht erreicht Magdalena Świder um halb zehn Uhr | |
morgens: In letzter Minute ist noch eine Gegendemonstration angemeldet | |
worden. Dem Gerücht nach will eine Gruppe von Homogegnern die Demo | |
blockieren, wenn sie durch die Warschauer Altstadt kommt. Magdalena ist | |
gestresst. | |
Ohnehin läuft einiges schief an diesem Morgen der 16. „Parada Równości“, | |
der Warschauer Gleichheitsparade: Zwei neue Banner, die für einen | |
Lautsprecherwagen bestimmt waren, sind verschwunden, eine der teilnehmenden | |
Organisationen hat Stress mit dem Ordnungsamt, weil aus ihrem Wagen Öl | |
ausläuft – und jetzt will die Polizei auch noch die Demoroute verlegen, | |
wegen einer möglichen Blockade. „Normalerweise bleiben die | |
GegendemonstrantInnen an der Seite stehen“, sagt Magdalena. „Dass sie uns | |
blockieren wollen, wäre neu.“ | |
Magdalena ist 26 Jahre alt, Psychologiestudentin und arbeitet seit 2011 für | |
Kampania Przeciw Homofobii, die Kampagne gegen Homophobie, abgekürzt KPH, | |
eine der wichtigsten Lobbyorganisationen für LGBT-Rechte in Polen. In | |
diesem Jahr organisiert Magdalena den Beitrag von KPH bei der Parada | |
Równości, der größten LGBT-Pride-Parade Polens. | |
Als die Parada Równości 2001 zum ersten Mal stattfand, zogen 300 Menschen | |
mit einer Regenbogenfahne durch die Warschauer Innenstadt, nur begleitet | |
von einem Autoradio. Seitdem ist die Demonstration bisher in jedem Jahr | |
gewachsen. Zuletzt gingen 2015 15.000 DemonstrantInnen für Akzeptanz und | |
Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender auf | |
die Straße. | |
Wenn in diesem Jahr die Parade erneut wachsen würde, wäre das ein Signal an | |
die neue Regierung. „Ich wünsche mir, dass es 20.000 werden“, noch mal | |
5.000 mehr als vor dem Machtwechsel in Polen. | |
## Der Druck der Konservativen | |
Dass die rechtskonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) seit | |
November 2016 allein regiert, bekommen polnische LGBT-Lobbygruppen auf | |
unangenehme Weise zu spüren. Zunächst als Präsident Andrzej Duda im | |
vergangenen Jahr per Veto ein Gesetz zur rechtlichen Anerkennung von | |
Transpersonen verhinderte. Es hätte ihnen erlaubt, ihr offizielles | |
Geschlecht ohne medizinische Eingriffe zu ändern. Der Präsident begründete | |
seine Entscheidung mit „Unstimmigkeiten“ im Gesetzestext. | |
Mit ihren „Reformen“ der öffentlichen Medien und des Verfassungsgerichts | |
greift die PiS-Regierung zudem zwei strategisch wichtige Bezugspunkte für | |
LGBT-Lobbygruppen an. | |
Und nicht zuletzt schafft die rechtspopulistische Rhetorik ein Klima, das | |
queere Menschen und ihre VertreterInnen dämonisiert, als westlich, | |
unpolnisch und störend stilisiert. „Der Hass, den die PolitikerInnen | |
verbreiten, wirkt sich auf unseren Alltag aus. Seit dem Regierungswechsel | |
gab es drei Angriffe auf die Räumlichkeiten von KPH“, sagt Magdalena. „Das | |
Büro können wir durch Videokameras schützen, aber die Einzelnen in der | |
Community fürchten jetzt mehr um ihre Sicherheit.“ | |
Inzwischen ist es 15 Uhr, und die Demowagen stehen vor dem Kulturpalast. | |
Zwischen den Stahl-und-Glas-Türmen des Warschauer Geschäftsviertels hämmert | |
Technomusik. Die beiden verschwundenen KPH-Banner sind nach einigen | |
hektischen Handytelefonaten wiederaufgetaucht und Magdalenas schwarze Haare | |
unter einer blonden Polyesterperücke verschwunden. Zusammen mit einem | |
Dutzend weiterer EndzwanzigerInnen verteilt Magdalena Regenbogenflaggen. | |
Die wenigsten, die heute mitlaufen werden, sind über 40 Jahre alt. Unweit | |
des KPH-Wagens fällt allerdings ein Herr auf, unter dessen Schirmmütze | |
weiße Haare zu sehen sind. Maciej Nowak, 51, Theaterkritiker, Fernsehkoch | |
und einer der wenigen offen schwulen Promis in Polen. Nowak läuft seit | |
ihren Anfängen in der Parada Równości mit. Für ihn steht fest, dass die | |
polnische LGBT-Bewegung von jüngeren Menschen vorangetrieben wird: „Die | |
jungen Leute sind auf den Geschmack einer Freiheit gekommen, wie sie sie im | |
Westen sehen“, vermutet er. „Eine Freiheit, sich selbst zu entfalten. Diese | |
steht im Kontrast zu einer Gesellschaft, die konservativer wird.“ | |
## Geeint gegen die Regierung | |
Die Parada Równości wird nicht allein von LGBT-Organisationen getragen. Die | |
Bewegung für Frauenrechte nimmt mit einem eigenen Wagen teil,dazu kommen | |
die junge linke Partei Razem, die liberale Nowoczesna sowie Mitglieder des | |
Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD), der bürgerlichen | |
Protestbewegung gegen die Reformen der PiS-Regierung. In dem Protestzug, | |
der den Kulturpalast umkreist, spiegelt sich nicht nur das gesamte sexuelle | |
Spektrum, sondern die gesammelte inner- und außerparlamentarische | |
Opposition gegen die neue polnische Regierung. | |
Mittlerweile hat die Polizei entschieden, die Demoroute zu ändern, weil | |
sich die angemeldete Gegendemonstration an der engsten Stelle der Route | |
aufgestellt hat. Es sind nicht mehr als 50 Personen. Magdalena ist genervt: | |
„Sie hätten diese Demonstration nicht zulassen dürfen. Nicht so | |
kurzfristig.“ Die Polizei versuche normalerweise, Konfrontationen und | |
Gewalt möglichst von vornherein zu verhindern. Das Umleiten der Route | |
werden die Homogegner als Erfolg verbuchen. | |
Damit die Opposition der Straße möglichst unübersehbar wird, versuchen die | |
OrganisatorInnen, möglichst viele zivilgesellschaftliche Gruppen | |
anzusprechen. Deswegen sieht die Parada Równości auch nicht aus wie eine | |
Pride-Parade nach US-amerikanischem Vorbild: Es gibt keine nackten und halb | |
nackten DemonstrantInnen, kaum Fetischkleidung und keine hypersexualisierte | |
Symbolik. Transparente und Schilder handeln von Würde und Akzeptanz, nicht | |
von Analsex. Die Parada ist, verglichen mit den CSDs anderer Länder, eine | |
brave Veranstaltung. Sie verzichtet auf das provokative Zurschaustellen von | |
Anderssein. „In den westlichen Prides geht es darum, klar zu zeigen: Es ist | |
okay, schräg zu sein“, sagt Magdalena. „Dieses Konzept funktioniert in | |
mittel- und osteuropäischen Ländern so nicht. Wir wollen keine | |
Parallelgesellschaft sein, sondern akzeptiert werden.“ | |
Infolge dieser Ausrichtung zieht die Parada Równości auch konservativere | |
Organisationen an, etwa die christliche LGBT-Gruppe Wiara i Tęcza, „Glaube | |
und Regenbogen“. Artur ist Transmann und läuft als Teil einer Delegation | |
der Gruppe bei der Parada mit – ausgerechnet hinter dem Wagen der | |
Frauenrechtebewegung, die für eine uneingeschränkte Möglichkeit zum | |
Schwangerschaftsabbruch eintritt – dem sich vor allem die katholische | |
Kirche in Polen entgegenstellt. Für Artur kein Widerspruch: „In unserer | |
Gruppe gibt es unterschiedliche Meinungen über Abtreibung. Einige sind | |
dagegen, einige unter bestimmten Bedingungen dafür. Aber heute ist das | |
nicht unser Thema, sondern die Akzeptanz von LGBT in Kirche und | |
Gesellschaft.“ | |
## Die Regierung ignoriert die Bewegung | |
Akzeptanz, Toleranz, Gleichheit. Es sind vor allem große Worte, die die | |
Parade eint, daneben hat jede teilnehmende Organisation ihre eigenen | |
Forderungen, die sich zum Teil widersprechen. Unter der Strategie der | |
möglichst großen Inklusivität leidet das Profil der Parada. Wofür sie | |
konkret eintritt, ist nicht eindeutig. | |
Eindeutig ist nur, wer der politische Gegner ist. Und der fällt durch | |
Abwesenheit auf. Bis auf die Gruppe in der Altstadt und einige einzelne | |
GegendemonstrantInnen hat sich niemand der Parada entgegengestellt. Im | |
Jahr 2004 ließ der damalige Warschauer Bürgermeister und PiS-Gründer Lech | |
Kaczyńsky die Parada noch mit fadenscheiniger Begründung verbieten. Seit | |
sie allein regiert, ist PiS in der Lage, die Bewegung einfach zu | |
ignorieren. In den öffentlichen Fernsehsendern gibt es keine Übertragungen. | |
Magdalena ist das egal und zuckt mit den Schultern: „Wir wollen alle | |
erreichen, die von der Regierung genervt sind. Und die schauen ohnehin kein | |
staatliches Fernsehen mehr.“ | |
Auf der anderen Seite der Weichsel endet der Protestzug und ergießt sich in | |
eine Strandbar. Magdalena ist erschöpft, ihre Perücke verrutscht. Während | |
die Demogemeinde in der Abendsonne entspannt, muss sie noch den Wagen zur | |
Mietfirma zurückbringen. In der Zwischenzeit melden Polizei und die | |
Warschauer Lokalnachrichten: 10.000 DemonstrantInnen. Mit Wohlwollen kann | |
man etwas draufrechnen und sagen, dass die Parada ihre Größe beibehalten | |
hat – doch das Ziel, noch größer zu werden, hat sie verfehlt. Immerhin: In | |
dieser Nacht, so viel ist erreicht, wird der Kulturpalast in | |
Regenbogenfarben leuchten. | |
12 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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