# taz.de -- Kommentar Kirche und Missbrauch: Ehrliche Reue sieht anders aus | |
> Die Aufarbeitung sexueller Gewalt in der katholischen Kirche ist noch | |
> nicht gescheitert. Sie hat noch gar nicht richtig begonnen. | |
Bild: Die katholische Kirche hat noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten | |
Zum vierten Mal stand das Thema sexueller Kindesmissbrauch auf der Agenda | |
eines Katholikentags in Deutschland. Obwohl es bei der Versammlung der | |
katholischen Laienorganisationen in Leipzig einige Veranstaltungen dazu | |
gibt, erscheint sexuelle Gewalt dort vor allem als zu bewältigendes | |
Einzelschicksal. Auch in Leipzig wird so die Chance verpasst, endlich die | |
systematischen Ursachen der zahlreichen Missbrauchsfälle in kirchlichen | |
Einrichtungen, Heimen, Schulen und Pfarreien zu besprechen. | |
Zur Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Jungen und Mädchen in der Kirche | |
gibt es kein Gesamtbild für Deutschland – und soll es wohl auch nicht | |
geben. Die von den Bischöfen beauftragten Wissenschaftler werden erst im | |
nächsten Jahr erste Berichte vorlegen. Die dabei genutzte Auswertung der | |
von einigen Bistümern zur Verfügung gestellten Akten kann dabei schon jetzt | |
getrost als gescheitert angesehen werden, weil sie, wenig verwunderlich, | |
wenig Neues zu den zentralen Fragen beitragen können. | |
Wie viele Täter haben in den letzten Jahrzehnten in welchen Einrichtungen | |
wie viele Jungen und Mädchen zu Opfern gemacht, wie groß ist dabei | |
wissenschaftlich plausibel das Dunkelfeld? Wo liegen die Ursachen für die | |
regelrechten Täterkarrieren und die zahlreichen Serientaten? Welche | |
Mechanismen haben an der Verschleierung und dem Verschweigen mitgewirkt? | |
Wer waren die Verantwortlichen? Welche Risikofaktoren lassen sich daraus | |
für die heutigen Institutionen ableiten? Und durch welche Maßnahmen lassen | |
sich diese Risiken reduzieren oder neutralisieren? All diesen Fragen weicht | |
die Katholische Kirche beharrlich aus. | |
Auch wenn inzwischen flächendeckend Präventionsprogramme ausgerollt werden | |
und das Thema sexuller Kindesmissbrauch damit vordergründig auf der Agenda | |
angekommen ist: Die Ernsthaftigkeit wird zugleich dementiert, wenn | |
Bischöfe, die im Umgang mit übergriffigen und verbrecherisch handelnden | |
Priestern versagt haben, weiterhin im Amt bleiben. Dass in Rom als | |
Verantwortlicher für alle Missbrauchsfälle weltweit ausgerechnet ein | |
Kardinal steht, der in seiner Amtszeit als Bischof von Regensburg alles | |
getan hat, um die Aufarbeitung von Missbrauch zu behindern, ist ein | |
fortdauernder Skandal. Erst nach dem Weggang von Kardinal Müller beginnt | |
dort endlich die überfällige Auseinandersetzung mit dem Missbrauchs- und | |
Gewaltsystem bei den Regensburger Domspatzen. | |
## Es geschah wenig | |
Andernorts wurden Berichte über Täter und ihre Taten erhoben. Doch über das | |
Zählen der Opfer hinaus geschah wenig. Zum Beispiel um das Verständnis für | |
die eigenen institutionellen Ursachen bei den Jesuitenschulen zu erhöhen, | |
die 2010 Ausgangspunkt der Aufdeckungswelle waren. | |
Einrichtungen, die gute, wissenschaftlich fundierte Berichte erstellt | |
haben, wie das Kloster Ettal, tun sich bis heute schwer, diese der | |
Öffentlichkeit zu präsentieren. Wieder anderen Bistümer haben bis heute | |
keine Berichte vorgelegt. | |
Die Frage der Entschädigung wartet immer noch auf eine befriedigende | |
Lösung. Die von den deutschen Bistümern über die Köpfe der Betroffenen | |
hinweg dekretierte „Anerkennungszahlung“ ist es nicht. Die bekannte | |
Intransparenz setzt sich im Antragsverfahren fort. Bis heute muss jede oder | |
jeder, der wissen will, wie viele Opfer sich bei der Kirche gemeldet haben, | |
wie viele eine Anerkennungszahlung aktuell beantragt haben, wie viele | |
Hilfen beantragen, die Zahlen mühsam zusammen klauben. | |
Die versprochenen schnellen, unbürokratischen Hilfen wurden in Einzelfällen | |
gewährt, die Beteiligung am staatlich organsierten ergänzenden Hilfesystem | |
EHS blieb fast unbekannt und wirkungslos. | |
Auch in Zukunft aber brauchen die Opfer Hilfen. Dazu muss ein Weg gefunden | |
werden, diese in Anspruch nehmen zu können, ohne unnötig mit der | |
Institution der Täter in Kontakt zu kommen. Vielleicht kann eine Stiftung | |
oder ein Opfergenesungswerk, diese Aufgabe in der Zukunft übernehmen. | |
## Ängstlichkeit und Abwehr | |
Der Umgang mit den Betroffenen der eigenen Institution ist nicht nur bei | |
der Kirche immer noch von Ängstlichkeit und Abwehr geprägt. Ein offener | |
Austausch wird verweigert. Stattdessen werden die eigenen Anstrengungen für | |
die Prävention hervorgehoben. Eine von den Opfern immer wieder angebotene | |
Einbindung in die kirchlichen Initiativen zum Kinderschutz hat fast gar | |
nicht stattgefunden. | |
Die Fragen nach den systemischen Ursachen und unangehmen Risikofaktoren | |
werden auch auf dem Katholikentag in Leipzig nur am Rande gestellt, etwa im | |
Alternativprogramm der Laienorganisation Wir sind Kirche: Die Überhöhung | |
des männlichen Priesters und der männerbündische Klerikalismus; die | |
Ausgrenzung und Abwertung der Frauen, die verbal geschätzt werden, aber von | |
aller Macht ausgeschlossenen sind; die leibfeindliche Moral und das dunkle | |
Verständnis von Sexualität, die geradezu zwanghafte Fixierung auf die Sünde | |
im Sexuellen; die durch unlebbare Vorschriften zur Sexualität von Priestern | |
und Laien erzeugte Doppelmoral. Die mangelnde Transparenz bei | |
innerkirchlichen Vorgängen und der Personalauswahl. | |
Solchen Themen, die Lehre und die Organisationsform der katholischen Kirche | |
betreffen, wollen sich die Verantwortlichen nicht stellen. Damit | |
dementieren sie ihre Beteuerung, man habe aus dem Skandal gelernt und | |
wahlweise „die Opfer“ oder die „Kinder“ stünden nun im Mittelpunkt all… | |
kirchlichen Handelns. | |
Ehrliche Reue sieht anders aus. Eine wirkliche Entschuldigung bei den | |
Opfern, die von diesen angenommen werden kann, verbunden mit dem Willen zur | |
Wiedergutmachung, hat es nie gegeben. Der sogenannte Bußakt der Bischöfe | |
von 2012 war an Gott gerichtet, nicht an die vor dem Dom in Paderborn | |
versammelten Heimkinder und die zahlreichen Missbrauchsopfer. | |
## Fragen was war | |
Wirksame Aufarbeitung muss dreierlei leisten: Erheben was war, die Ursachen | |
für das Geschehene offenlegen und den Opfern Anerkennung vermitteln. Alles | |
drei ist bislang bei der Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder und | |
Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Kirche in Deutschland nicht | |
gelungen. | |
Die Aufarbeitung sexueller Gewalt in der Kirche ist noch nicht gescheitert, | |
denn sie hat noch gar nicht richtig begonnen. Die vom Staat eingesetzte | |
Unabhängige Aufarbeitungskommission wird sicher wichtige Impulse liefern. | |
Aber die Kirche und ihre Mitglieder müssen es auch selber wollen. | |
Vielleicht beim nächsten Katholikentreffen. | |
30 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Matthias Katsch | |
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