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# taz.de -- Misshandlungen bei den Domspatzen: Jetzt wird es endlich geglaubt
> Es hat hunderte Fälle von Gewalt und Missbrauch bei den Regensburger
> Domspatzen gegeben. Nach Jahren des Leugnens liegt der Abschlussbericht
> vor.
Bild: Alexander Probst, Vertreter der Missbrauchsopfer, bei der Pressekonferenz…
Es sind nüchterne Zahlen, die der Regensburger Anwalt Ulrich Weber vorlegt:
500 ehemalige Domspatzen sind Opfer von körperlicher Gewalt. 67 Mitglieder
des Regensburger Chores wurden auch sexuell missbraucht. Insgesamt kommt
Weber, der vom Bistum mit der Aufarbeitung des Skandals beauftragt ist, auf
547 Opfer. „Ich rechne aber mit 700 Betroffenen“, sagt er in Regensburg bei
der Vorstellung seines Berichts. Manche frühere Chorsänger seien verstorben
oder hätten sich nicht gemeldet.
Auf der Gegenseite stehen 49 Täter. 45 von ihnen verprügelten die Kinder, 9
wurden auch sexuell übergriffig. Das waren Lehrer und besonders ein Rektor
in der Vorschule, Erzieher im Internat, das Chorpersonal, Priester.
Sexuelle Gewalt wirft Weber vor allem drei Internatsdirektoren und einem
Präfekten vor.
Was sich in Regensburg von 1945 bis zu den frühen 1990er Jahren ereignet
hat, ist der größte bislang aufgedeckte Missbrauchsskandal innerhalb der
katholischen Kirche. „Der Dreiklang aus Gewalt, Angst und Hilflosigkeit
sollte dazu dienen“, so sagt Ulrich Weber, „den Willen der Schüler zu
brechen und ihnen Persönlichkeit und Individualität zu nehmen.“
Auch wenn früher weitaus häufiger Gewalt gegenüber Kindern ausgeübt wurde,
lasse sich das „nicht mit dem Zeitgeist“ erklären. Vielmehr steckte System
dahinter mit einem übergeordneten Ziel: „dem Erfolg des Chors“. Die
Betroffenen haben Weber gegenüber ihre Zeit bei den Domspatzen als
„Gefängnis“, „Hölle“ und „schlimmste Zeit des Lebens“ beschrieben.
## „Alles kommt wieder hoch“
„Mir ist schlecht“, sagt Udo Kaiser denn auch immer wieder, während Weber
spricht. „Alles kommt wieder hoch.“ Der 69-jährige Münchner ist nach
Regensburg gereist, um sich den Bericht anzuhören. Er selbst war als Kind
sechs Jahre lang Domspatz. An den Haaren wurde er durch die Gänge
geschleift, der Klavierdeckel wurde auf seine Hände geworfen, es hagelte
„Watschn“. Ein Präfekt prügelte sein nacktes Gesäß, während er ihm das
erigierte Glied an den Hinterkopf stieß.
Später wurde Kaiser, der als Lehrer und Sänger arbeitete, psychisch krank,
er bekam Panikattacken. „Das Schlimmste war danach: Keiner glaubte mir“,
sagt er nun. „Wichtig ist, dass das nun dokumentiert ist – schwarz auf weiß
steht da, dass es so war, wie es war.“
Auch der ehemalige Domkapellmeister Georg Ratzinger, Bruder des früheren
Papstes Benedikt XVI., wird in dem Bericht beschuldigt. Ihm sei
„insbesondere sein Wegschauen beziehungsweise fehlendes Einschreiten trotz
Kenntnis vorzuwerfen“. Dass er Ohrfeigen verteilt hat, hat der heute
93-Jährige eingeräumt.
Der Skandal nach dem Skandal liegt darin, dass es fünf Jahre lang, von 2010
bis 2015, keine Aufarbeitung gegeben hat. Der vormalige Regensburger
Bischof Gerhard Ludwig Müller tat die Vorwürfe als Einzelfälle ab, bestritt
gar deren Richtigkeit. Unter den Betroffenen herrscht nun Genugtuung, dass
eben jener Müller Anfang Juli von Papst Franziskus wegen seiner
fundamentalistischen Linie im Vatikan als Präfekt der Kongregation für die
Glaubenslehre abgesetzt worden ist.
Erst 2016 Jahr sorgte in Regensburg der gegenwärtige Bischof Rudolf
Voderholzer für Zustimmung mit einem klaren Schuldeingeständnis der Kirche
und der Bitte um Verzeihung.
19 Jul 2017
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
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