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# taz.de -- Missbrauchsopfer bei den „Domspatzen“: „Eine mittelalterliche…
> Ein Gutachten bezichtigt 42 Priester und Lehrer der Regensburger
> Domspatzen, Kinder misshandelt zu haben. Ein Opfer erinnert sich.
Bild: Von 1981 bis 2013 war in dem Kloster die Vorschule der Regensburger Domsp…
taz: Der Sonderermittler zum Missbrauchsskandal, Ulrich Weber, hat in acht
Monaten doppelt so viele bis dahin unbekannte Opfer ausfindig gemacht wie
das Bistum Regensburg in sechs Jahren. Überrascht sie das?
Udo Kaiser: Nein. Bei der Arbeit in unserer Gruppe aus Betroffenen in den
letzten Jahren wurde klar, dass es wesentlich mehr von uns geben muss, als
sich bis dahin gemeldet hatten.
Was ist Ihre Geschichte?
Ich war ein sehr lustiges und fröhliches Kind. Mein Vater kam aus dem Krieg
zurück, meine Mutter war mit drei Kindern völlig überfordert. Dass ich zu
den Domspatzen kam, war eine Idee meines Großvaters. Er wollte mir etwas
Gutes tun, ich bin zum Vorsingen gegangen und wurde 1956 in diese
mittelalterlichen Hölle aufgenommen. Da war ich acht Jahre alt.
Wie lange sind sie geblieben?
Fünf Jahre – zwei Jahre in der Vorschule und drei im Gymnasium. Mein Vater
hat mich rausgenommen, weil sich meine Persönlichkeit stark verändert
hatte. Die Leistung fiel ab, ich verweigerte die Schule. Mit
Plattenaufnahmen, den vielen Konzerten und den Reisen wurde uns alles aus
dem Leib gepresst.
Welche Gewalt haben Sie erlitten?
In der Frühmesse bin ich geschlagen worden, weil ich das Buch verkehrt
herum getragen habe. Wenn ich einen falschen Schritt machte, wurde ich an
den Beichtstuhl geschlagen. In meinem Zeugnis stand: „Udo kann nicht
gehen.“ Wenn ich mal lachte oder hüpfte, hagelte es Watschn, ich wurde an
den Haaren durch den Gang geschleift und so sehr am Ohrläppchen gezogen,
dass es eingerissen ist. Wer in die Hose oder ins Bett gemacht hat, musste
die Sachen vor 80 Kindern waschen. Bettnässer haben nichts zu trinken
bekommen. Im Musikunterricht wurde der Klavierdeckel auf die Hand fallen
gelassen, oder man hat mir mit dem Geigenbogen über die Hand gezogen. Das
war alles ganz normal.
Wurden Sie auch sexuell missbraucht?
Bei einem Präfekten musste ich die Hose runterlassen und den Kopf zwischen
die Oberschenkel stecken. Er hat mich verprügelt, während ich sein nacktes
erigiertes Glied am Hinterkopf spürte. Das Bistum hat das bis heute nicht
als sexuellen Missbrauch anerkannt.
Wie viele Täter gab es?
Die meisten Lehrer an der Vorschule und im Gymnasium haben geprügelt. Das
waren ja lauter frühere SA-, SS- und NSDAP-Leute, die an einer normalen
Schule nicht unterrichten durften. Es wird nichts getan, diese Verbindungen
aufzuklären. Ich könnte auf den Schlag 15 Leute mit NS-Vergangenheit
nennen. Insgesamt wird auch leicht vergessen, dass noch bis Anfang der 90er
Jahre geprügelt wurde, bis dann der Direktor Johann Meier als
Hauptverantwortlicher starb.
Gab es etwas Besonderes an dem System der Domspatzen?
Die Schwarze Pädagogik war ja in den 50er und 60er Jahren gängig und
erlaubt. Bei uns wurde das Personal aber zudem sexuell übergriffig: Hose
runter, über den Hintern streichen. Manche Schüler haben sich den sexuellen
Handlungen auch hingegeben, sie sind dem Präfekten verfallen. Einige von
ihnen haben sich später das Leben genommen.
Wie ging es bei Ihnen weiter?
Ich kam in ein anderes Internat, machte Abitur, studierte Musik. Heute
erscheint mir meine Verdrängung völlig unglaublich: Nach dem Studium war
ich immer wieder bei den Domspatzen, habe dort Musik gemacht. Mit 30 Jahren
bin ich bei einer Probe in Regensburg zusammengebrochen. Von diesem Moment
an habe ich bei Treffen immer wieder über die Sachen geredet, aber es wurde
alles abgetan – auch von den Mitschülern, selbst von meinen beiden Brüdern,
die auch bei den Domspatzen waren.
Welche Folgen hatten die Erlebnisse für Ihr Leben?
Als Schulmusiker und Musiktherapeut wurde ich frühpensioniert. 2009 erlitt
ich eine schwere Depression, als der Missbrauch erstmals bekannt wurde. Ich
machte eine Therapie, die mir das Leben zurückgebracht hat. Mit der
damaligen und mittlerweile verstorbenen Bistums-Missbrauchsbeauftragten
Birgit Böhm hatte ich ein sehr gutes Gespräch. Endlich hörte mir jemand zu.
Doch danach geschah jahrelang wieder nichts. Schließlich erhielt ich eine
Anerkennungsleistung von pauschal 2.500 Euro.
Was machen Sie heute?
Ich habe eine Familie, eine Tochter. Ich habe meine eigene Stimme entdeckt.
Aus der Kirche bin ich ausgetreten. Ich singe gern, arbeite noch
freiberuflich, an Silvester etwa bin ich bei der „Fledermaus“
eingesprungen.
Haben die Domspatzen Ihrer Meinung nach noch eine Zukunft?
Das gesamte Modell steht auf der Kippe. Sie haben viel zu wenige
Neuanmeldungen. Es kann gut sein, dass die Domspatzen aufgelöst werden. So
geschah es ja auch mit der Odenwald-Schule.
20 Jan 2016
## AUTOREN
Patrick Guyton
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