# taz.de -- Missbrauch in der Katholischen Kirche: Mindestens 121 Opfer in Berl… | |
> Ein von der Kirche beauftragtes Gutachten ergibt: Hinweise auf Missbrauch | |
> wurden ignoriert, Fälle unter Verschluss gehalten. | |
Bild: Erzbischof Heiner Koch bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutach… | |
Berlin dpa | Vertuscht, verdrängt, verheimlicht: Über Jahrzehnte hat die | |
Katholische Kirche in Berlin Hinweise auf sexuellen Missbrauch ignoriert | |
und aktenkundige Fälle unter Verschluss gehalten. Gutachter sprachen am | |
Freitag von „systematischer Verantwortungslosigkeit“, die hierarchische | |
Struktur der Kirchenspitze habe Aufklärung, Intervention und Prävention | |
behindert. | |
Mindestens 61 Geistliche waren im Bereich des Erzbistums Berlin von 1946 | |
bis Ende 2019 am sexuellen Missbrauch von Minderjährigen beteiligt. | |
Insgesamt sind laut dem Gutachten der Kanzlei Redeker Sellner Dahs 121 | |
Opfer aus den Akten bekannt, die Dunkelziffer könnte aber weit höher | |
liegen. Bei den Beschuldigten handele es sich um Priester und | |
Ordensmitglieder, die im Bereich des Bistums tätig waren. Das Erzbistum | |
hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. | |
Erzbischof Heiner Koch sagte, er übernehme die Verantwortung, „wo vertuscht | |
oder nicht angemessen mit Schuld umgegangen wurde, wo Menschen im ‚System | |
Kirche‘ das Offensichtliche nicht wahrhaben wollten oder systematisch | |
weggeschaut haben“. Zum Erzbistum gehören neben Berlin der zentrale und | |
nördliche Teil Brandenburgs, Vorpommern sowie die Stadt Havelberg in | |
Sachsen-Anhalt. | |
Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, der von 2011 bis 2014 Erzbischof | |
in Berlin war, [1][steht seit Monaten in der Kritik], weil er ein Gutachten | |
zur Verantwortung hochrangiger Kirchenvertreter bei der Verfolgung von | |
Fällen sexuellen Missbrauchs in seinem Bereich zurückhält. Woelki nennt | |
dafür rechtliche Bedenken. | |
## Viele Fragen offen | |
Aus den Akten des Berliner Erzbistums geht laut dem rund 600 Seiten starken | |
Gutachten hervor, dass sich im Umgang mit Missbrauch die unterschiedlichen | |
Hierarchieebenen nahezu wortlos aufeinander verließen. Lediglich vom | |
früheren Erzbischof Georg Sterzinsky seien handschriftliche Aktenvermerke | |
über persönliche Gespräche mit Beschuldigten aufgetaucht. Ob Vorgänger oder | |
Nachfolger solche Hinweise für die Personalakten gefertigt hätten, sei | |
nicht bekannt, erklärte Gutachter Peter-Andreas Brand. | |
Man habe mit allen Mitteln versucht, „Schaden von der Institution Kirche | |
abzuwenden“, sagte Mitautorin Sabine Wildfeuer. Die Kirchenleitung habe | |
eine größere Empathie für die Täter als für die Opfer gehabt. Das Erzbistum | |
sei bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle nur dann tätig geworden, wenn | |
es angesichts der Hinweise unumgänglich gewesen sei. Die Juristen hatten | |
Personalakten unter die Lupe genommen und auch Zugang zum Geheimarchiv | |
erhalten. | |
Die Lage habe sich zwar mit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Berliner | |
Canisius-Kolleg ab 2002 verbessert. Doch auch für eine bundesweite Studie | |
sei es nicht zu weitergehenden Nachforschungen im Erzbistum gekommen. Erst | |
2010 sei die Zusammenarbeit mit den Justizbehörden systematisch umgesetzt | |
worden. In 21 Fällen hat laut Gutachten die Justiz ermittelt, davon seien | |
in elf Fällen Gerichtsverfahren eröffnet worden. Von den 61 Beschuldigten | |
sind inzwischen 37 gestorben, 18 sind im Ruhestand. | |
## Viele Daten werden nicht veröffentlicht | |
Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts werden Angaben aus den Personalakten | |
der Betroffenen aus sowie konkrete Vorwürfe aus dem Gutachten nicht | |
veröffentlicht. Betroffene, die sich bisher noch nicht gemeldet hätten, | |
sollten sich an die Kirche wenden, sagte Koch. Eine Kommission aus | |
Priestern und Laien soll nun das Gutachten aufarbeiten und Vorschläge für | |
den Umgang mit Missbrauchsfällen vorlegen. Das Gutachten schlägt unter | |
anderem vor, die „Null-Toleranz-Politik“ bei sexuellem Missbrauch | |
fortzusetzen, die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden zu | |
stärken und das Kirchenrecht konsequent anzuwenden. | |
Die Opfer-Initiative „Eckiger Tisch“ kritisierte das Gutachten: Es nenne | |
weder Verantwortliche noch Täter. Auch sei mit den Betroffenen nicht | |
gesprochen worden. Unter dem Vorwand des Schutzes des Persönlichkeitsrechts | |
und der angeblichen Gefahr der Retraumatisierung der Opfer werde | |
verhindert, dass Betroffene voneinander erfahren und sich vernetzen | |
könnten. Die Öffentlichkeit werde daran gehindert, sich ein Bild von den | |
Vorgängen machen zu können. | |
29 Jan 2021 | |
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