# taz.de -- Heilige Begegnungen: Der Papst und wir | |
> Benedikt XVI. will nicht mehr, er tritt ab. Keine Kraft, sagt er. Na und, | |
> denken Sie? Unsere Autoren denken anders. Vier Erinnerungen. | |
Bild: Da war er schon wieder weg. Immerhin können wir sagen, wir haben mal den… | |
## Er tätschelte meinem Bruder den Kopf | |
Man kann eigentlich sagen: Ich verdanke meine Existenz dem (noch | |
amtierenden) Papst. Das weiß Benedikt XVI. mit Sicherheit nicht. Er wusste | |
sicher auch nicht, dass ich schon im Bauch meiner Mutter war, als er meinem | |
großen Bruder Martin 1978 mit seiner Kardinalshand den Kopf tätschelte, | |
während der sich auf dem Arm meiner Mutter schon damals mit viel Geschrei | |
gegen jeden katholischen Einfluss zu wehren versuchte. | |
Da war es schon ein paar Jahre her, dass mein Vater bei ihm im | |
Universitätsbüro in Regensburg saß, um mit dem damaligen Dozenten über das | |
Für und Wider des Priesterseminars zu sprechen. Joseph Ratzinger hatte | |
gerade einen Lehrstuhl für Dogmatik angetreten. | |
Mein Vater, 26, studierte Theologie - katholische, wohlgemerkt -, wie man | |
das halt so machte in Bayern, damals, Anfang der 70er Jahre. Dass der Bub | |
mal Pfarrer werden würde, das war für die Familie irgendwie klar. Er | |
studierte in Würzburg und Regensburg, lernte, wie man Predigten schrieb und | |
welche Paragrafen das Kirchenrecht hat. Bis die ersten Zweifel kamen. Nicht | |
am Fach, sondern am Berufsweg. Theologe ja, Pfarrer irgendwie doch nicht. | |
Da kam der spätere Papst ins Spiel. Er hatte kürzlich in Regensburg | |
angefangen. Um sich niederzulassen, brauchte er Baugrund. Den fand er. Auf | |
der Besitzurkunde stand meine Großtante Anni, die Tante meines Vaters. Die | |
hat ihm das Grundstück dann auch verkauft. Das Haus des Papstes steht da | |
heute noch. | |
Und weil meine Großtante so eine gläubige Frau war und von den beruflichen | |
Unsicherheiten ihres Neffen wusste, bat sie den neuen Grundbesitzer, dem | |
jungen Mann ins Gewissen zu reden. Wäre doch auch zu schade, wenn der | |
kleine Gotthard (ja, mein Vater heißt wirklich so) kein Pfarrer werden | |
würde! Doch Ratzinger konnte ihn auch nicht überzeugen. Allerdings - und | |
das halte ich ihm wirklich zugute - hat er es auch gar nicht versucht. Er | |
hat zugehört und am Schluss gesagt: "Folgen Sie ihrem Herzen." | |
Allein dafür mag ich den Papst irgendwie. Das hätte auch ganz anders | |
ausgehen können. Und dann gäbe es mich nicht. Deshalb tue ich mich auch | |
sehr schwer, diese große Häme, auch hier in der taz, zu ertragen. | |
Inhaltlich kritisiere ich ihn genauso stark. Aber nicht mit dieser Häme. Es | |
fühlt sich ein bisschen so an, als ob man sich über seine Mutter lauthals | |
ärgert - aber wenn jemand anderes auch was Gemeines über sie sagt, | |
plötzlich zum Verteidigungsschlag ausholt. Lasst also meinen Papst in Ruhe! | |
Steffi Dobmeier | |
## *** | |
## Als ich im Vatikan sang | |
Diese prachtvolle Treppe, hinauf zum Vorraum der Sixtina, die hell | |
erleuchtete Sixtina selbst mit den großartigen Werken Michelangelos, die | |
Erschaffung Adams, das weltberühmte Deckengemälde, der Gottvater, der den | |
Finger ausstreckt, um Adam zum Leben zu erwecken - die Atmosphäre des | |
Vatikans beeindruckte uns Regensburger Domspatzen mächtig. Und schließlich | |
wurden wir zum Umkleideraum geleitet, der nicht nur uns zu diesem Zweck | |
diente. Es ist auch der Raum, wo der neue Papst sein weißes Gewand | |
umgehangen bekommt, bevor er das erste Mal den Balkon betritt. | |
Es war das Jahr 2009, wir waren nach Rom gereist, weil der Bruder des | |
Papstes - und langjähriger Leiter des Regensburger Domchors - Geburtstag | |
hatte. Es war selbstverständlich, dass wir also zum 85. Geburtstag von | |
Georg Ratzinger ein Konzert im Vatikan sangen: die c-Moll-Messe von | |
Wolfgang Amadeus Mozart. | |
Papst Benedikt XVI. hatte die Räumlichkeiten dafür zur Verfügung gestellt, | |
wir sollten in der Sixtinischen Kapelle auftreten. Doch erst mussten wir | |
uns umziehen. Wir trugen damals rote Gewänder, genau wie die Kardinäle | |
auch, deshalb machte uns unser Chortheologe darauf aufmerksam, dass wir auf | |
keinen Fall zu nah am Fenster zu ebenjenem Balkon stehen sollten. Das | |
könnte, vom Petersplatz aus gesehen, wie ein Treffen von Kardinälen | |
aussehen und zu Gerüchten führen. Die Gläubigen könnten sich fragen: Ist | |
dem Papst etwa was zugestoßen? Ist er krank? | |
Wir sangen also das Konzert in dieser großartigen Kulisse, das auch vom | |
Bayrischen Rundfunk übertragen wurde. Am Ende hielt Papst Benedikt eine | |
Geburtstagsansprache für seinen Bruder, die wir von Nahem hören durften. | |
Dann postierten sich beide für ein Foto neben uns. | |
Da richtete plötzlich der Heilige Vater eine Frage an uns: Er fragte | |
liebenswert, ob wir am Montag schon wieder in die Schule gehen müssten oder | |
ob wir denn nicht einen Tag frei bekämen. Nachdem wir dem leidvoll | |
widersprachen, drückte er noch sein Bedauern um diesen Umstand aus - und | |
blieb uns so fürsorglich und freundlich in Erinnerung. Wie ein Vater eben. | |
Letzten Endes hatten wir durch den Zuspruch des Papstes doch etwas | |
erreicht: Beim Schuldirektor, der mit in Rom war, handelten wir heraus, | |
dass die ersten beiden Schulstunden am Montag ausfielen. Maximilian | |
Wellnhofer | |
## | |
## Danach hinkte der Hund | |
Sommer 1998, Matting an der Donau. Bei Regensburg. Ich fahre mit meiner | |
Frau, unserer Tochter und dem Hund bei einer Dorfwirtschaft vor. | |
Erinnerungen an meine verflossenen Studienzeiten kommen auf. | |
Plötzlich tritt zu Mela, unserem jungen schwarzen Neufundländer, der | |
sogleich das Territorium erkunden muss, ein älterer Herr. Er ist gekleidet | |
in eine schwarze Soutane und ist wohl gerade auf dem Weg zum Klo über den | |
Hof. Ich erkenne ihn sofort: Kardinal Joseph Ratzinger. | |
Er senkt sein silberweißes Haupt runter zum Hund, seine Hand fährt vor wie | |
in ritueller Bewegung. Was macht der da mit dem Tier? Nicht zu erkennen. Er | |
steht mit dem Rücken zu uns. Kurz danach, in der Gaststube, aufgeregtes | |
Gewisper - ist er schon da, der Herr Kardinal? Unruhig rücken zwei | |
Journalisten hin und her. Auftritt Ratzinger. Setzt sich mit dem | |
bekannt-bescheidenen Lächeln und gespitztem Mund zur Brotzeit nieder zu den | |
zugelassenen Interviewern, die sich sogleich an seine Lippen hängen. | |
Nach gehabtem Mahle verlassen Hund, Tochter, Frau und Mann dieses | |
Schauspiel. Doch beim Hund Mela hat offenbar ein plötzlicher Wachstumsschub | |
eingesetzt. Einseitig. Der Arme hinkt hinfort. Er wird es noch monatelang | |
tun. Bernhard Pahlmann | |
## | |
## Mit Papstbier fing es an | |
Marktl am Inn war ein Ort, den man gerne übersah. Beschaulich, ein bisschen | |
langweilig, nicht unsympathisch - ein oberbayerisches Dorf eben. Das | |
änderte sich am 19. April 2005 schlagartig. "Wir sind Papst!" titelte die | |
Bild-Zeitung, für die Menschen in Marktl war es ein WIR in Großbuchstaben. | |
Der neue Papst aus unserem Dorf? Unglaublich. | |
Ich war zu dieser Zeit Student in Regensburg. An den Wochenenden fuhr ich | |
regelmäßig nach Hause in meine Heimatstadt Burghausen (zehn Kilometer von | |
Marktl entfernt). Die Route führte mich dabei direkt durch den Papst-Ort. | |
Und was ich dort nach der Wahl Ratzingers beobachten konnte, war schon | |
verblüffend. Denn die Marktler hatten nach der ersten Euphoriestarre | |
schnell ihren Geschäftssinn entdeckt. | |
Jedes Wochenende begrüßten mich neue krakelig beschriebene Tafeln, auf dem | |
all das angepriesen wurde, was ein echter Papstfreund eben so braucht: Mit | |
dem Papstbier (gleiches Bier, anderes Etikett) fing es an, es folgten der | |
Papstkuchen, die Papstsemmel oder die Papstwurst. Und das improvisierte | |
Papstmerchandising fand seine Abnehmer. Konnte ich vor Ratzingers Wahl noch | |
ungebremst über den Marktplatz fahren, musste ich nun verstärkt aufpassen, | |
dass mir kein Papst-Geburtshaus-Tourist vor das Auto lief. | |
Der improvisierte Geschäftssinn der Marktler wurde dann schnell in | |
geordnete Bahnen gelenkt. Es entstanden ein Busparkplatz für die | |
Reisegruppen, eine Touristeninformation auf dem Marktplatz und schließlich | |
wurde das Papstgeburtshaus als Museum für Besucher geöffnet. Die sind auch | |
gekommen. Nicht viele zwar und mit den Jahren immer weniger, aber immerhin. | |
Doch die große Aufregung ist längst einer entspannten Routine gewichen. | |
Marktl ist auf dem besten Wege, wieder das zu werden, was es eigentlich | |
immer war - ein Ort, den man gern übersieht. Beschaulich, ein bisschen | |
langweilig, nicht unsympathisch. Dominik Schweighofer | |
16 Feb 2013 | |
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