# taz.de -- Grundschulen in Berlin: Mischung? Kommt nicht in die Tüte! | |
> Mitte weicht die sogenannte Sprengellösung bei der Einschulung weiter | |
> auf. Das Projekt, das mehr soziale Durchmischung bewirken sollte, hat | |
> nicht funktioniert. | |
Bild: Mit wem wird sie wohl zusammen in eine Klasse kommen? | |
Experimente können schiefgehen. Das Gute ist: Man kann daraus lernen, so | |
oder so. Wie bei der sogenannten Sprengelregelung in Mitte. In den | |
gemeinsamen Einschulungsbereichen Moabit West und Ost und im Weddinger | |
Parkviertel, also dem Gebiet rund um Schillerpark und die Rehberge, gilt | |
zum kommenden Schuljahr wieder das Prinzip der nächstgelegenen | |
Einzugsgrundschule. Dies sagte die zuständige Bildungsstadträtin Sabine | |
Smentek (SPD) der taz. Im Brunnenviertel, also an der Grenze zwischen | |
Wedding und Alt-Mitte, wurde der Schulsprengel bereits zum vergangenen | |
Schuljahr abgeschafft. | |
Das Projekt soziale Durchmischung, das Mitte mit der Einführung der | |
kiezübergreifenden Einschulung im Jahr 2010 verknüpft hatte, funktionierte | |
nicht wie erhofft. Die Quote der Kinder mit Migrationshintergrund an den | |
Weddinger Schulen blieb hoch. Und in Alt-Mitte, auf der anderen Seite der | |
Bernauer Straße, waren die Deutschen auf Elternabenden weiter unter sich: | |
Sie hatten erfolgreich dagegen geklagt, dass ihre Kinder vom Schulamt in | |
eine andere als die Einzugsgrundschule geschickt wurden, nämlich rüber in | |
den Wedding, um dort die viel zitierte „soziale Mischung“ ausgewogener zu | |
gestalten. | |
Formal wurden die Klagen vor dem Verwaltungsgericht mit dem Verweis auf zu | |
lange Schulwege gewonnen. Doch wer sich in der Elternschaft umhörte, | |
wusste: Es ging vor allem um Vorurteile. Muss man das jetzige | |
Einschulungsprozedere also noch mal grundsätzlich zur Diskussion stellen? | |
Das Prinzip Einzugsgrundschule – dass kommenden Erstklässlern also die | |
nächstgelegene Schule faktisch zugeteilt wird – sorgt einerseits dafür, | |
dass der Status quo im beschriebenen Fall wie folgt aussieht: Im Wedding | |
liegt der Anteil der Kinder nichtdeutscher Herkunft im Schnitt zwischen 80 | |
und 90 Prozent, im benachbarten Pankow und in Alt-Mitte an vielen Schulen | |
lediglich bei 10 Prozent. Ein Dazwischen gibt es in einigen Kiezen nicht. | |
Andererseits hat der von Mitte beschrittene Sonderweg gezeigt: Eltern | |
lassen sich bei der Schulwahl für ihr Kind nur schwer zu etwas zwingen. | |
Vielleicht muss man sie also überzeugen. Mitte-Bildungsstadträtin Sabine | |
Smentek (SPD) betont denn auch, man habe das Sprengelprinzip nicht | |
abgeschafft, sondern nur „weiter aufgeweicht“. Tatsächlich können die | |
Eltern in Mitte auf dem Anmeldeformular weiterhin drei Wunschschulen | |
angeben. Biodeutsch geprägte Elterninitiativen wie Schule-Wedding, die im | |
vergangenen Jahr acht Kinder an der Weddinger Carl-Krämer-Grundschule im | |
Soldiner Kiez einschulten, schätzen genau das, weiß Smentek: Sie bleiben im | |
Wedding, „weil sie wählen können“. | |
Mittes Sprengel-light-Variante ist also ziemlich pragmatisch gedacht, und | |
das ist clever. Denn Initiativen wie Schule-Wedding sind da erfolgreich, wo | |
der Bezirk bisher scheiterte: den bildungsbewussten Eltern die Angst vor | |
Schulen zu nehmen, wo die Sozialstruktur in Schieflage geraten ist, wo also | |
80 bis 90 Prozent der Kinder ihre Bücher vom Jobcenter bezahlt bekommen, | |
und in etwa genauso viele Kinder einen Migrationshintergrund haben. | |
Weiter im Süden der Stadt, in Neukölln, ist auch die Leiterin der | |
Rütli-Schule nicht glücklich mit dem starren Wohnortprinzip. Die Schule | |
kooperiert mit zwei Kitas auf dem Campus. Die Idee dahinter: Gerade Kinder, | |
die zu Hause wenig gefördert werden, wolle man frühzeitig begleiten, | |
erklärt Schulleiterin Cordula Heckmann. Aber weil in Neukölln, wie in allen | |
Bezirken außer in Mitte, eben das Wohnortprinzip bei der Einschulung gilt, | |
verliere man auch einige dieser Kinder nach der Kita-Zeit wieder. | |
Zwar können Eltern beim Schulamt einen Antrag stellen, dass sie eine andere | |
Schule für ihr Kind wollen. Aber dem wird nur entsprochen, wenn es an | |
dieser Schule freie Plätze gibt. Die Rütli-Gemeinschaftsschule hat seit | |
einigen Jahren wieder mehr Anmeldungen als Plätze. Heckmann wünscht sich | |
deswegen mehr „Flexibilität“ im System. | |
Darin sieht Stefanie Remlinger, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, | |
allerdings die Gefahr, man könne Schulen den Vorwurf machen, sie würden | |
sich „die Schüler aussuchen“, wenn man das Wohnortprinzip aufgibt. | |
Letztlich wird die Diskussion über die „soziale Mischung“ wohl einfach | |
weitergehen. Aber ein bisschen mehr Schwung dabei – das wäre schon schön. | |
23 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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