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# taz.de -- Betrug bei der Schulanmeldung: Wenn Eltern jedes Mittel recht ist
> In Hamburg melden sich etliche bildungsaffine Eltern zum Schein um, damit
> ihr Kind auf die gewünschte Schule kommt. Das ist eine Bankrotterklärung.
Bild: Bitte melden, wessen Eltern den Schulplatz erschlichen haben: Schüler:in…
Kürzlich erzählte mir ein Bekannter – Lehrer übrigens –, dass ihn eine
Freundin gefragt habe, ob sie sich zum Schein bei ihm anmelden könne. Ihr
Kind soll nämlich auf das Gymnasium gehen, in dessen Nähe der Bekannte
wohnt – nicht aber das Kind. Da aber die [1][Schulplätze in Hamburg] nach
Wohnortnähe verteilt werden, will die Mutter auf Nummer sicher gehen.
Schulanmeldezeit ist Scheinanmeldezeit, und die Hamburger Schulbehörde
versucht nicht mal, das Ganze als Einzelfallproblem kleinzureden. Es gibt
zwar wenig aufgedeckte Fälle – pro Jahr im einstelligen Bereich –, aber die
Dunkelziffer ist „als sehr hoch einzuschätzen“, schreibt der
Behördensprecher auf Anfrage. Und weiter: Man geht davon aus, „dass gerade
die besonders stark angewählten Schulen mutmaßlich regelmäßig und alle von
Scheinummeldungen betroffen sind“.
So klingt Resignation. Gemischt ist der Ton mit Zorn oder vielleicht auch
Galgenhumor, wenn der Sprecher darauf verweist, dass es auch Eltern gebe,
die eine Zweitwohnung im Einzugsbereich der Wunschschule kaufen – fertig
ist die Laube.
Aber das Tricksen ist keineswegs eine Strategie der Reichen, dazu ist es
schlicht gesprochen zu häufig. Die Scheinummelder:innen, die ich persönlich
kenne, sind nicht reich, sondern gehobene Mittelschicht. Sie sprechen sich
in der Theorie für die weniger elitäre Stadtteilschule aus und [2][schicken
in der Praxis ihre Kinder aufs Gymnasium.]
## Die elterliche Furcht wächst ins Unermessliche
Ich bin nicht in der Position, Steine auf besorgte Eltern zu werfen, ich
bin selbst besorgtes Elternteil. Steine werfe ich aber auf diejenigen, für
die der Betrug lediglich ein weiteres Instrument im Werkzeugkasten zur
Förderung des Kindes ist. Es ist sonderbar: Warum wächst die elterliche
Furcht um die Zukunft der heutigen Kinder ins Unermessliche? Es ist doch
die kommende Generation, der die Demografie so goldene Brücken baut, dass
es wirklich schwierig für sie wird, beruflich zu scheitern.
„Mein Kind soll die Mängel des Systems nicht ausbaden“, sagen die
bildungsaffinen Eltern unisono – und das ist nachvollziehbar. Indem sie
sich dem System entziehen, betonieren sie es allerdings, denn vor was sie
fliehen, ist in der Regel eine bildungsfern aufgewachsene
Mitschüler:innenschaft.
Das Ergebnis ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und ein immer
polareres System: hier die mutmaßlich guten, dort die mutmaßlich schlechten
Schulen. Hinzu kommt, dass die Sorge ums Fortkommen des Kindes immer früher
beginnt: Schon die Wahl des Kindergartens nimmt tragische Ausmaße an – da
darf bei der Schulwahl erst recht nichts schiefgehen.
Den meisten Scheinummelder:innen gibt der Erfolg recht. Die wenigsten
fliegen auf – dann müssen es allerdings ihre Kinder ausbaden, die von der
Schule fliegen. Vorher müssen alle ihren Kindern erklären, warum sie
plötzlich eine neue Adresse haben und dass sich die Eltern nicht wirklich
getrennt haben.
Wer sich dabei nicht nur smart, sondern auch vage unbehaglich fühlt, könnte
dem Gefühl weiter nachgehen: Vielleicht liegt dort die Grenze des
[3][darwinistischen Kampfs ums Bildungswohl?] Es gibt keine einfache
Antwort auf die Frage nach den Alternativen. Aber Betrug als elterliche
Fürsorgetechnik zu etablieren, kann es nicht sein.
28 Jan 2023
## LINKS
[1] /Schulsenator-ueber-Schule-in-der-Pandemie/!5786594
[2] /Demo-zur-Schulplatzkrise/!5885786
[3] /Informatik-als-Pflichtfach-in-der-Schule/!5890683
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Bildungschancen
Hamburg
Schule
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Schwerpunkt Armut
Privatschule
Bildungspolitik
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