# taz.de -- Debatte Privatschulen: Der falsche Gegner | |
> Privatschulen fördern nicht per se gesellschaftliche Spaltung. Ihre | |
> Gebühren aber müssen auch für Eltern mit schmalem Einkommen erschwinglich | |
> sein. | |
Bild: In der Bildungspolitik muss man sich auf Brennpunkte konzentrieren | |
Nehmen wir das Ehepaar M., sie Architektin, er Psychologe, Grünen-Wähler, | |
Teilzeit-Vegetarier. Sie fühlen sich wohl im Mulikultikiez zwischen | |
Döner-Läden und Latte-Macchiato-Cafés. Bis das Kind schulpflichtig wird. | |
Dann fangen sie an zu überlegen: Soll ihr Schatz wirklich in der Schule | |
nebenan eingeschult werden, wo viele Kinder Volkan oder Aysche oder auch | |
Mandy oder Justin heißen? Oder [1][wäre es nicht besser] an der zehn | |
Kilometer entfernten, privaten Schule aufgehoben? | |
Ein fiktives Beispiel, das gleichwohl einen faktischen Kern hat. Rund 3.600 | |
Schulen in privater Trägerschaft gibt es derzeit in Deutschland, eins von | |
zehn schulpflichtigen Kindern ist dort angemeldet. Es sind vor allem Eltern | |
mit besserer Bildung und höheren Einkommen, die ihre Kinder auf private | |
Schulen schicken. Dabei sind die privaten gar nicht besser. Trotz kleinerer | |
Klassen und mehr Unterrichtsstunden zeigen Schüler aus ähnlichen | |
Elternhäusern vergleichbare Leistungen. Das zeigt eine kürzlich | |
veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. | |
Ältere Studien sagen das Gleiche aus: Ob die Arzttochter oder der | |
Anwaltssohn eine staatliche oder private Schule besucht, ist eigentlich | |
egal. Sie lernen etwa gleich viel und haben in jedem Fall gute Chancen im | |
Leben. Dass Kinder aus weniger privilegierten Haushalten hier in der | |
Minderzahl sind und dass die privaten deutlich weniger Schüler mit | |
ausländischer Muttersprache beschulen – ein Viertel beträgt der Anteil an | |
den öffentlichen, 18 Prozent an den privaten Schulen –, ist für die Eltern | |
kein Hindernis, sondern ein Grund, ihre Kinder hier anzumelden und teils | |
saftige Gebühren zu zahlen. In Elternbefragungen ist die soziale Mischung | |
mit über 40 Prozent der häufigste Grund für die Wahl einer privaten Schule. | |
Doch den privaten Schulen umstandslos vorzuwerfen, sie beförderten die | |
soziale Spaltung, ist falsch. Denn private Schule ist nicht gleich private | |
Schule. Die Spannbreite reicht vom Wir-machen-auf-Eliteschule-Gymnasium im | |
Verband Deutscher Privatschulen über Waldorfschulen bis zur auf | |
Elterninitiative gegründeten Gesamtschule, die im Verband freier | |
Alternativschulen organisiert ist. | |
## Die größte Kluft liegt woanders | |
Zwischen staatlichen und privaten Grundschulen sind die Unterschiede in der | |
Zusammensetzung der Elternschaft zwar deutlich. Noch tiefer ist aber die | |
soziale Kluft zwischen staatlichen Schulen mit und ohne Abiturgarantie. | |
Laut dem Status-Index HISEI, der Berufe auf einer Skala von 10 bis 89 | |
bewertet, unterscheidet sich die Zusammensetzung der Elternschaft an | |
staatlichen und privaten Grundschulen um 9 Punkte. Zwischen staatlichen | |
Gymnasien und staatlichen Oberschulen ohne Gymnasialzweig liegen jedoch 15 | |
Punkte. Dennoch können private Schulträger nicht einfach aus der | |
Verantwortung entlassen werden. Ihre Existenz ist grundgesetzlich | |
geschützt, verbunden allerdings mit der Pflicht, „eine Sonderung der | |
Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ nicht zu fördern. Das | |
heißt, die Schulgebühren müssen auch für Eltern mit schmalen Einkommen | |
erschwinglich sein. | |
Die meisten privaten Schulen verstoßen jedoch gegen dieses | |
Sonderungsverbot, wie Forscher vom Wissenschaftszentrum Berlin in mehreren | |
Teilstudien darlegten. Und der Staat schaut weg. Entweder haben die für das | |
Schulwesen verantwortlichen Bundesländer keine Regelungen aufgestellt, etwa | |
für die maximal zulässige Höhe des Schulgeldes, oder sie kümmern sich nicht | |
darum, ob diese eingehalten werden. | |
So wollte die Senatsverwaltung Berlin im vergangenen Jahr wissen, wie hoch | |
der Anteil der lernmittelbefreiten, also armen Schüler an den 135 Schulen | |
in privater Trägerschaft ist. Da das Land Berlin, wie die anderen | |
Bundesländer auch, den Großteil der Kosten der privaten Schulen trägt – im | |
Durchschnitt zwei Drittel – sollte man meinen, es sei das gute Recht des | |
größten Finanziers, darüber Auskunft zu erhalten. Doch die Hälfte der | |
Schulen antwortete nicht einmal. Am Ende gab sich die Verwaltung mit einem | |
Mittelwert zufrieden: Der Anteil der Schüler aus armen Familien beträgt an | |
privaten Schulen schlappe 3,7 Prozent – und das in einer Stadt, in der | |
jedes dritte Kind arm ist. Schöne heile Privatschulwelt. | |
Wenn sich das ändern soll, wenn auch Mandys und Volkans Eltern das Recht | |
auf freie Schulwahl tatsächlich wahrnehmen können sollen, muss der Staat | |
seinen Hebel anders ansetzen: beim Geld. Es braucht mehr Transparenz, mehr | |
Kontrolle und ein neues Modell für die Finanzierung der Schulen – der | |
staatlichen und der privaten. Als Grundsatz muss dabei gelten: Je mehr | |
Schüler mit Förderbedarf eine Schule aufnimmt, je höher der Anteil der | |
Kinder aus bildungsbenachteiligten Elternhäusern ist, desto besser wird sie | |
gestellt. | |
## Die besten Lehrer an die Brennpunkte | |
Um die herkunftsbedingten Unterschiede zwischen Volkan und Viktor | |
auszugleichen, muss der Staat also die besten Lehrer und das meiste Geld in | |
Brennpunktschulen stecken, seien sie staatlich oder privat geführt. Die | |
privat betriebene Quinoa-Schule in Berlin-Wedding, deren Schüler zu über 80 | |
Prozent aus armen Familien kommen, und die staatliche | |
Hector-Peterson-Schule in Kreuzberg mit ähnlicher sozialer Mischung | |
erhielten dann beide 150 Prozent ihrer Kosten, samt Fortbildungen für die | |
Lehrer und Nachmittagsangeboten für die Schüler. | |
Mag sein, dass Familie M. es als ungerecht empfinden würden, wenn sie | |
dadurch am Ende mehr Schulgeld zahlen müssen. Private und staatliche | |
Schulen mit privilegierter Elternschaft könnten sich aber ebenfalls um | |
erhöhte staatliche Zuschüsse bemühen, wenn sie einen Mehrwert zum | |
Zusammenhalt der Gesellschaft leisten: sich der Inklusion stellen, sich | |
verstärkt um benachteiligte Schüler bemühen und ihren Unterricht so | |
umstellen, dass Schülerinnen binnendifferenziert unterrichtet werden. | |
Gerecht wäre also, Ungleiches ungleich zu behandeln. Ob der Träger | |
staatlich oder privat ist, ist dabei egal. | |
30 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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