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# taz.de -- Debatte Schulpolitik: Privatschulen fördern die Spaltung
> Sie entsprechen oft nicht dem Geist des Grundgesetzes. Das Beste für das
> eigene Kind ist nicht das Beste für die Gesellschaft.
Bild: Die Freiheit des Einzelnen bei der Schulwahl ist ein Gut. Ein anderes ist…
Ist Elternschaft schwieriger geworden? Eltern-Kind-Sport, sobald das Kind
laufen kann, Theaterbesuche, nachdem die Windeln nicht mehr nötig sind,
musische Früherziehung im Kindergartenalter, Schwimmen mit fünf,
Vereinssport mit dem Schulstart und ein schlechtes Gewissen, dass man noch
keinen Klavierunterricht organisiert hat. Essen aus dem Biomarkt, genügend
ungesättigte Omega-3-Fettsäuren auf dem Essensplan und dann natürlich noch:
die richtige Schule wählen. Welche Pädagogik ist die beste? Waldorf,
Montessori, oder ist es nicht ebenso wichtig, dass dem Kind christliche
Werte vermittelt werden? Oder braucht das Kind in der globalisierten
Arbeitswelt nicht von Beginn an bilingualen Unterricht in kleinen Klassen?
Wahrscheinlich war die Frage nach der richtigen Schule noch nie so schwer
zu beantworten wie heute. Und wahrscheinlich war die Situation noch nie so
unübersichtlich. Nicht nur die Privatschulen werben um möglichst viele
Kinder. Auch die öffentlichen Schulen müssen ein besonderes Schulprofil und
außercurriculare Angebote anpreisen – immer besser, immer ausgefallener –,
und das in Zeiten klammer Kassen.
Ohne pauschalisieren zu wollen: Es sind doch vor allem Eltern aus Mittel-
und oberer Mittelschicht, die an der Vielzahl von Wahlmöglichkeiten erst
verzweifeln, um dann gezwungenermaßen eine Wahl zu treffen, die dann bitte
die „richtige“ sein soll. Es sind doch vor allem die Akademiker, die
Wahlfreiheiten für sich einfordern und ausleben. Und das heißt auch: Flucht
in die Privatschulen. Was aber folgt daraus, wenn diese Eltern bei der
Schulwahl nur das Beste für ihr Kind wollen? Ist das Beste für den
Einzelnen auch das Beste für die Gesellschaft? Ein Blick ins Grundgesetz
deutet an: Die Freiheit des Einzelnen soll dem Besten für die Gesellschaft
wohl nicht zuwiderlaufen. Die Freiheit des Einzelnen bei der Schulwahl ist
ein Gut, das nicht absolut gilt, sondern abgewogen werden muss gegen ein
anderes Gut, nämlich das der Gleichheit der Chancen.
Privatschulen sollen nur dann genehmigt und staatlich gefördert werden,
wenn sie die „Sonderung“ der Schüler nach den Besitzverhältnissen der
Eltern nicht fördern (Art 7. Abs. 4 Grundgesetz). Die Realität aber sieht
anders aus. Auch wenn die Datenlage besser sein könnte, haben
[1][mittlerweile] [2][einige] [3][Studien] gezeigt, dass private Schulen
nach den Besitzverhältnissen der Eltern „sondern“. An privaten Schulen
befindet sich ein deutlich höherer Anteil von sozial privilegierten
Schülern und ein deutlich geringerer Anteil armer Kinder. Dies liegt auch
daran, dass einige Privatschulen es wenig begüterten Kindern nicht
erlauben, diese unentgeltlich oder mit ermäßigten Schulgeldsätzen zu
besuchen.
## Nur sind es nicht nur die Schulgelder
Bevor ein Sturm der Entrüstung seitens der Privatschulen über diese Aussage
entbrennt: Ja, natürlich ermöglichen viele der Privatschulen Kindern aus
weniger begüterten Familien den Zugang oder bieten eine Ermäßigung des
Schulgeldsatzes an. Nur sind es nicht nur die Schulgelder, die Kinder beim
Zugang zu Privatschulen sozial trennen. Es sind Eltern, die nur das Beste
für ihr Kind wollen, die zu einer „Sonderung“ beitragen. Dies gilt zum
Beispiel allein schon für die bevorzugte Pädagogik oder das soziale Umfeld
einer Schule. Auch in Rheinland-Pfalz, wo Privatschulen keine Schulgelder
erheben dürfen, ist die soziale Spaltung zwischen privaten und öffentlichen
Grundschulen in den größeren Städten genau so groß wie in Berlin.
Die soziale Spaltung von privaten und öffentlichen Grundschulen in größeren
Städten ist besorgniserregend. Die Grundschulzeit ist in einem früh
trennenden Schulsystem die einzige Lebensphase, in dem eigentlich alle
sozialen und ethnischen Gruppen zusammenkommen sollen. Danach geschieht die
meritokratisch legitimierte soziale Spaltung der Gesellschaft in Gymnasien
und Nichtgymnasien. Genau deshalb wurden für die Errichtung privater
Grundschulen besonders hohe Hürden errichtet. Sie soll es nur geben, wenn
die Unterrichtsverwaltung ein besonderes pädagogisches Interesse für diese
anerkennt (Art. 7 Abs. 5 GG). Dieses „pädagogische Interesse“ ist in
Deutschland allerdings höchst ungleich verteilt. In Schwerin sind 40
Prozent aller Grundschulen in privater Hand, in Potsdam, Speyer und Rostock
rund 30 Prozent und in den Universitätsstädten Freiburg, Darmstadt,
Heidelberg und Regensburg rund 25 Prozent. Auch die Großstädte Berlin,
München und Frankfurt am Main haben alle einen Anteil von 15 Prozent
privater Grundschulen – Tendenz steigend.
## Das Verständnis füreinander schwindet
Die spezielle Situation in Mecklenburg-Vorpommern ausgenommen, ist es fast
schon klischeehaft: Je mehr Akademikereltern in einer Stadt, desto mehr
private Schulen. Man will halt das Beste für sein Kind. Was ist aber die
Folge dieser Entwicklung? Den öffentlichen Grundschulen wird ein immer
größerer Teil seiner sozial privilegierten Schülerschaft entzogen, die oft
auch die leistungsstärksten Schüler sind. Die Lernumgebung an öffentlichen
Schulen wird dadurch ungünstiger. Auch das Verständnis füreinander leidet,
viele Kindern lernen nie Kinder aus Familien mit einem anderen sozialen
oder ethnischen Hintergrund kennen. Auch die Elternabende sind soziale
Monokulturen, bei denen die Ängste und Nöte der anderen sozialen Schichten
nicht mehr gehört werden.
Sind eine besondere Pädagogik oder spezielle Erziehungsmethoden, die oft
mehr Ideologie als empirisch abgesichert sind, in der Primarschulzeit das
Beste für unsere Kinder? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Ich weiß
nur, dass es nicht das Beste für unsere Gesellschaft sein kann, immer
stärker auf soziale Monokulturen im Primarschulbereich zu setzen.
Die soziale Spaltung unseres öffentlichen wie privaten Sekundarschulsystems
kommt ohnehin schon früh genug. Es wird Zeit, zumindest die Grundschulen
wieder als Institution für alle sozialen Schichten zu stärken und den Geist
des Grundgesetzes zu verteidigen.
1 Apr 2018
## LINKS
[1] https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0340-0425-2017-3-357/privatschulen-un…
[2] http://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/14189.pdf
[3] https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/p17-003.pdf
## AUTOREN
Marcel Helbig
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