Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bildungsreform in Spanien: Ungerechteres Schulsystem abgenickt
> Das Verfassungasgericht bestätigt ein konservatives Bildungsgesetz. Nun
> dürfen Privatschulen ihre Schüler noch stärker auswählen.
Bild: Gebracht hat der Protest von 2013 nichts: Künftig lernen Spaniens Schül…
Madrid taz | Die Bildungsreform mache das spanische Schulsystem ungerechter
und verstoße obendrein gegen die Verfassung. Daher hatten Abgeordnete der
sozialistischen Opposition dagegen geklagt. Vergangene Woche scheiterten
sie jedoch vor dem Verfassungsgericht.
Das „Organische Gesetz zur Verbesserung der Qualität der Bildung“, auf
Spanisch kurz Lomce, ist trotz des Namens für Kritiker ein Schritt zurück
in längst überwundene Zeiten. Bereits vor dem Urteil hatten mehrere
konservativ regierte Regionen die 2013 beschlossene Reform fleißig
umgesetzt, allen voran Madrid. Der Bildungsminister der Hauptstadtregion
Comunidad de Madrid, Rafael van Grieken, ist entsprechend zufrieden mit dem
Urteil.
Das Verfassungsgericht bestätigte mit acht gegen vier Stimmen die
umstrittensten Aspekte des Lomce. Künftig dürfen ultrakatholische Schulen
Kinder nach Geschlecht trennen. Außerdem können diese Schulen öffentlich
finanziert werden. Überall wird Religionsunterricht ein vollwertiges,
versetzungsrelevantes Fach. Bisher war das spanische Schulsystem ähnlich
den deutschen Gesamtschulen flexibel. Nun wird immer früher ausgesiebt.
Dazu wurden nach bestimmten Bildungsabschnitten Prüfungen eingeführt.
In Spanien gehen schon jetzt 28 Prozent der Schüler auf staatlich
finanzierte Privatschulen. Wie bei den staatlichen Schulen kommen die
Bildungsministerien der Regionen für die Kosten auf. Doch die Privatschulen
sind in der Hand von privaten Organisationen, vor allem der katholischen
Kirche und ihrem Umfeld. Laut dem Urteil dürfen diese künftig ihre Schüler
aussuchen.
## Konservatives Gesetz, konservative Richter
Sogenannte Problemfälle aus sozial schwachen Familien, Einwandererkinder
mit mangelnden Spanischkenntnissen oder Kinder mit Schwierigkeiten beim
Lernen landen damit zwangsläufig auf den staatlichen Schulen. Die werden so
für viele Familien der Mittelklasse immer unattraktiver. Die
Bildungspolitiker der konservativen Partido Popular (PP), wie etwa van
Grieken in Madrid, preisen dieses System als „Wahlfreiheit der Eltern“.
Wirklich verwundert hat das Urteil niemanden. Denn zwei Drittel der Richter
am Verfassungsgericht stammen aus dem konservativen Lager. Gegen das Lomce
geklagt hatten mehr als 100 Abgeordnete der sozialistischen Opposition. Das
Gesetz „verletzte den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung“, begründeten die
Sozialisten unter anderem ihre Klage. Nicht alle Kinder hätten dieselben
Bildungschancen.
Ganz konkret ging es um die Aufteilung nach Geschlecht und um die immer
frühere Entscheidung, wer wie und wo weiterlernen darf. Auch der größte
Elternverband Ceapa beschwert sich. „Das Urteil zugunsten des Lomce ist ein
erneuter Schlag gegen das öffentliche Schulsystem“, erklärt die
Verbandsvorsitzende Leticia Cardenal.
„Die Privatschulen werden noch stärker bevorteilt“, sagt auch der
Vorsitzende der Lehrervereinigung in der Gewerkschaft CCOO, Francisco
García. Seine Gewerkschaft argumentiert mit Statistiken, die belegen, wie
weit die Ungleichbehandlung des staatlichen und des privaten Schulsystems
durch die PP-Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy geht. Gespart
wird seit Beginn der Krise 2008 – bis 2011 gleichermaßen bei beiden
Schulformen. Dann kam die konservative Regierung Mariano Rajoys.
## Privatschulen bekommen mehr Geld
Seither wird bei den staatlichen Schulen noch stärker gekürzt, während die
privaten in Ruhe gelassen werden. Im Vergleich zu 2009 hatten die
öffentlichen Schulen 2015 nur noch 86,77 Prozent der Gelder, während die
staatlich finanzierten Privatschulen 100,46 Prozent verbuchten und damit
trotz Milliardenkürzungen im Bildungsbereich sogar noch zulegten. Spanien
gibt insgesamt 4,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus. Im
EU-Schnitt sind es laut Eurostat 5,1 Prozent.
Doch das Lomce ist für die Kritiker nicht nur ein neoliberales
Gesetzeswerk, das die Privatisierung vorantreibt, sondern auch ein
ideologisches Gesetz. Die konservative PP, die 2013 dank einer absoluten
Parlamentsmehrheit das Lomce durchbrachte, „setzt ihre völlig veralteten
Werte um“, schimpft García.
Seit das Lomce in Regionen wie Madrid greift, stieg die Zahl derer, die
Religion wählen, auf mehr als das Doppelte, so die Angaben des Verbandes
der Direktoren der Oberschulen in Madrid (Adimad). Denn Religion gilt als
einfaches Fach, ist versetzungsrelevant und wird in die Durchschnittsnote
im Abschlusszeugnis der Oberschule mit eingerechnet. In Madrid ist der
Religionsunterricht damit mehr wert als Robotik oder die zweite
Fremdsprache Französisch. Diese Fächer sind verpflichtend, aber nicht
versetzungsrelevant.
Und selbst wer Religion nicht wählt, wird künftig einer ordentlichen
Erziehung in traditionellen Werten nicht entkommen. Denn Bildungs- und
Verteidigungsministerium haben ein Abkommen geschlossen, damit im
Ersatzfach für Religion, Gesellschaftliche Werte, „die Kultur und das
Bewusstsein der Verteidigung“ vermittelt werden.
Auf dem entsprechenden Schulbuch ist eine Kinderzeitung zu sehen, die den
König in Uniform umringt von Soldaten und Kindern zeigt. Im Unterricht
werden Militärmärsche und Schlachtengesänge sowie die spanische Hymne
gelernt. Außerdem werden Waffengattungen, Uniformen und die Geschichte der
spanischen Kolonialkriege studiert.
Was Eltern- und Lehrerverbände am meisten aufregt: Als Rajoy und seine PP
in der Opposition waren, griffen sie die damalige sozialistische Regierung
unter José Luis Rodríguez Zapatero an, als dieser „Bildung für
Staatsbürger“ einführte. Darin wurde Toleranz gegenüber Andersdenkenden,
anderen Kulturen und verschiedenen sexuellen Orientierungen gelehrt. Für
die PP war dies „ideologische Beeinflussung der Schulkinder“. Mit dem Lomce
wurde das Fach abgeschafft.
„Das Urteil zugunsten des Lomce wird weite Auswirkungen haben“, ist sich
Gewerkschafter García sicher. Seit einem Jahr tagt eine
Parlamentskommission, die einen „nationalen Pakt für die Bildung“
aushandeln soll. Bereits in den vergangenen Wochen zog sich ein Teil der
Opposition zurück, als die Regierung sich weigerte, die Finanzierung der
Bildung und vor allem der staatlichen Schulen zu verbessern. Nach dem
Richterspruch sei diese Kommission endgültig tot, prophezeit García.
17 Apr 2018
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Bildungspolitik
Spanien
Schule
Lesestück Meinung und Analyse
Chile
Spanien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Schulpolitik: Privatschulen fördern die Spaltung
Sie entsprechen oft nicht dem Geist des Grundgesetzes. Das Beste für das
eigene Kind ist nicht das Beste für die Gesellschaft.
Bildungssystem in Chile: Die Angst der Studis vor Piñera
In Chile regiert ab Sonntag ein Präsident, der wenig von der Bildungsreform
seiner Vorgängerin hält. Kommt es wieder zu Protesten?
Protest in Madrid: Schüler streiken gegen Hausaufgaben
Der Unmut einer Mutter findet Gehör: Elternverbände rufen zum Streik auf,
das Madrider Parlament streitet über gesetzliche Vorgaben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.