# taz.de -- Bildungssystem in Chile: Die Angst der Studis vor Piñera | |
> In Chile regiert ab Sonntag ein Präsident, der wenig von der | |
> Bildungsreform seiner Vorgängerin hält. Kommt es wieder zu Protesten? | |
Bild: Bildungsprotest in Chile in Jahr 2011: „Ich starb mit 20 Millionen Uni-… | |
BUENOS AIRES taz | Am Sonntag übergibt die scheidende Präsidentin Michelle | |
Bachelet dem konservativen Sebastián Piñera zum zweiten Mal das | |
Präsidentenamt. Die Sozialistin und der Neoliberale verkörpern geradezu | |
leibhaftig die gegensätzlichen Auffassungen in der chilenischen | |
Gesellschaft, wie Bildung begriffen wird. | |
Während sie für Bachelet ein soziales Recht ist, das der Staat sichern | |
muss, ist sie für Piñera eine Ware, deren Zugang und Preis der Markt | |
regelt. Nahezu im Wochenrhythmus waren die Studierenden während Piñeras | |
erster Amtszeit (2010–2014) auf die Straße gegangen, protestierten gegen | |
seine Bildungspolitik und forderten den kostenlosen Zugang zu Schulen und | |
Universitäten. Nicht zuletzt mit diesen Proteststimmen war Bachelet dann | |
2013 mit großer Mehrheit zur Präsidentin gewählt worden. | |
Die kostenlose Bildung war eines ihrer zentralen Wahlversprechen. Lange sah | |
es so aus, als würde sie es nicht einlösen können. Im Januar, wenige Woche | |
vor ihrem Ausscheiden, stimmte nun der Kongress doch noch für eine Reform, | |
[1][die eine kostenlose Hochschulbildung für Studierende aus sozial | |
schwachen Familien garantiert]. | |
## Paradigmenwechsel oder Kosmetik? | |
„Mit der Annahme durch den Kongress machen wir ein soziales Recht zum | |
Gesetz, das niemals in den Händen des Marktes hätte fallen dürfen“, freute | |
sich Bachelet. In Regierungskreisen war gar von einem Paradigmenwechsel die | |
Rede. | |
Von Augenwischerei spricht dagegen die Studentin Dafne Cortes. „In Chile | |
sind wir noch weit davon entfernt, von einem allgemeinen und kostenlosen | |
Hochschulstudium zu sprechen.“ Die Pinochet-Diktatur habe den | |
Neoliberalismus in der Verfassung festgeschrieben und das drücke auch dem | |
Bildungs- und Erziehungswesen seinen Stempel auf, erklärt die Studentin der | |
Politikwissenschaft, die gerade ein Auslandsemester an der Universität | |
Buenos Aires macht. | |
Unter den neoliberalen Vorgaben der Verfassung könne der Staat nur | |
Finanzhilfen für sozial Schwache und auch nur für Bildungseinrichtungen | |
vergeben, die auch bereit sind, diese aufzunehmen. „Die Reform umfasst die | |
Armen und Mittellosen und gilt nicht für alle Hochschuleinrichtungen“, so | |
die 28-Jährige. „Und es gibt nach wie vor Tausende, die verschuldet sind | |
und ihre Hochschulstipendien zurückzahlen müssen. Mich eingeschlossen.“ Den | |
ganzen lukrativen Rest holten sich der private Bildungsmarkt und die | |
Akteure, die sich da tummeln. Die neue Regierung unter dem Konservativen | |
Piñera würde schon darauf achten, dass sich daran nichts ändere. | |
## Kritik von den Dozenten | |
Kritik kommt auch vom Hochschullehrerverband Colegio de Profesores. „Die | |
Reform ist Kosmetik für das neoliberale Modell, aber keinerlei | |
Paradigmenwechsel“, so der Vorsitzende Mario Aguilar. Schon seit 2016 | |
könnten Studienwillige, die aus jenen 60 Prozent der chilenischen Haushalte | |
kommen, die mit einem geringen Einkommen auskommen müssen, staatliche | |
Finanzhilfe beantragen. | |
Camila Vallejo, ehemalige Führungsperson der Studierendenproteste und seit | |
2013 Kongressabgeordnete, verteidigt dagegen ihre Zustimmung. „Unter der | |
zukünftigen Regierung Piñera wäre die Reform in einem Vermittlungsausschuss | |
von Senat und Abgeordnetenhaus gelandet“, sagt sie. Deshalb sei es besser | |
gewesen, das Erreichte jetzt zu verabschieden. Statt wie bisher jährlich | |
Stipendien in Form von Krediten zu beantragen, werden die Beihilfen nun | |
ohne Rückzahlungsforderungen von den Hochschuleinrichtungen vergeben. | |
Gerardo Varela, Piñeras designierter Bildungsminister, hatte die Reform | |
mehrfach kritisiert, ruderte aber nach der Abstimmung zurück. „Die | |
Unentgeltlichkeit ist beschlossen, jetzt bleibt nur noch deren Umsetzung.“ | |
Doch das Misstrauen gegen Varela ist groß. Schon vor dem Amtswechsel haben | |
sich der Hochschullehrerverband und die landesweite Konföderation | |
Chilenischer Studenten Confech zu einem „Sozialen Block für die Bildung“ | |
zusammengeschlossen, mit dem sie der kommenden Regierung auf die Finger | |
schauen wollen. | |
Ihre Forderung ist nicht neu: der kostenlose Zugang zu Bildung für alle. | |
Nicht ausgeschlossen, dass die Proteste wiederkehren. | |
9 Mar 2018 | |
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[1] /Neues-Gesetz-zu-Universitaeten-in-Chile/!5319424 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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