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# taz.de -- Interview Waldorf-Eltern über Nazilehrer: „Haben es uns zu einfa…
> Bis heute erschüttert Eltern ein Konflikt um einen rechtsextremen Lehrer
> an einer niedersächsischen Waldorfschule. Ein Gespräch über den richtigen
> Umgang.
Bild: Unterm Waldorf-Mantel: Rechtsausleger können unter Steiner-Jüngern uner…
Ein eckiger Tisch, gedeckt für ein längeres Frühstück. Biokäse und veganer
Aufstriche, Wurst und Eier, Kaffee und Tee stehen bereit. Um den Tisch
herum sitzen zwei Paare.
taz: Der Lehrer*, der Waldorfschule eurer Kinder tätig war, enttarnte sich
selbst, weil er bei der NPD-Landtagsfraktion als parlamentarischer Berater
tätig werden wollte.
Georg Maier: Ich weiß noch, dass ich gar nicht glauben konnte, dass der
Lehrer unseres Sohnes der NPD nahe stand. Ich saß bei der Familie in der
Küche, unser Sohn war mit seinem Sohn befreundet, wir waren zu
Kindergeburtstagen eingeladen. Wir fuhren unseren Sohn hin und holten ihn
später wieder ab. Ich war und bin bis heute erschüttert, das wir nicht
erkannt haben, für welche Ideale und Werte der Lehrer stand.
Annerose Pape-Maier: Auch ich wollte es nicht glauben, ich dachte, unser
Sohn würde SPD mit NPD verwechseln. Aber dann wurde es ja doch schnell
klar. Einmal den Namen bei Google eingegeben und schon waren die
eindeutigen Informationen da. Und dann habe ich mich schon gefragt, was
passierte bei denen zu Hause, als unser Sohn bei ihnen war.
Judith Franke: Ich frage mich bis heute, warum die Waldorfschule die Vita
nicht einmal überprüft hat. Plötzlich kamen dann auch Gerüchte über ihn
auf, dass in der Schule doch da was bekannt war beziehungsweise irgendwas
im Unterricht vorgefallen wäre, was aber weggebügelt worden sein soll. Wir
hatten mit ihm auch eine Fahrgemeinschaft. Recht kurz, die hatte sich ganz
unvermittelt wieder aufgelöst. Wir sind damals mit dem Gefühl
zurückgeblieben, dass der „merkwürdig“ ist, oder anders gesagt, dass die
Familie merkwürdig war. Dennoch muss ich ebenso sagen, wir waren völlig
überrascht, wo er politisch stand.
Martin Franke: Im Nachhinein bekam es dann aber auch Sinn, warum wir
plötzlich ein Abo der neu-rechten Wochenzeitung Junge Freiheit bekamen. Er
war da ja mal Redakteur. Und ich glaube, bei den wenigen doch zustande
gekommenen Fahrgemeinschaften muss er gedacht haben, wir wären noch nicht
politisch inhaltlich so weit, aber offen für Neues. Ich dachte ehrlich
gesagt, dass die Familie etwas verschroben wäre. Heute denke ich, dass er
sehr genau sein Umfeld sich angeschaut hat und versucht hat, dieses dann
auch zu beeinflussen. Mir scheint es so, als wenn er mit dem Abo in seine
Richtung bewegen wollte. Nach dem Motto: Noch sind die nicht so weit, aber
Lesen könnte sie dahin bewegen. Ich musste übrigens mehrfach bei der
Zeitung schriftlich intervenieren, damit wir sie nicht mehr bekommen.
Judith Franke: Im Umfeld der Schule hat er definitiv nach Gleichgesinnten
gesucht beziehungsweise neue Mitstreiter gewinnen wollen.
Annerose Pape-Maier: Nee. Diesen Eindruck hatte ich nicht. Unser Sohn war
eben auch mit dessen Sohn befreundet. Der Junge kam ja auch zu uns. Und ich
war, nachdem das bekannt wurde, damals wirklich einfach nur geschockt. Oh
je, so einer stand vor meiner Tür, war in unserem Haus in einer Einrichtung
für Menschen mit Behinderung. Ich dachte, das passt irgendwie nicht, was
denkt er.
Hat das Konzept der engen Elternanbindung an der Waldorfschule den Konflikt
erschwert?
Martin Franke: Ohne die Bereitschaft, sich als Elternteil einzubringen,
braucht man sich nicht an eine Waldorfschule zu wenden. Das ist
Grundvoraussetzung, und das möchte man ja auch. Regelmäßig wird doch auch
eine tolle Palette von Aktivitäten angeboten, die auch nur wegen des
Miteinanders möglich ist. Und ja, das wurde jetzt zu einem doppelten
Problem, denn er war nicht bloß Lehrer, sondern eben auch Vater von zwei
Kindern an der Schule.
Georg Maier: Mir war deswegen schnell klar, da muss eine klare Trennung mit
„dem Lehrer“ erfolgen – und auch mit „dem Vater“. Wie sollte das gehe…
der engen Verzahnung der Familien mit der Schule.
Annerose Pape-Maier: Ein ganz einfaches Beispiel: Die Schule hat einen
großen Einzugsbereich und die Kinder haben sich untereinander zum
Übernachten verabredet. Man brachte das Kind zur Schule, es ging danach zu
der anderen Familie mit und am nächsten Tag holten man das Kind von der
Schule ab. Wie sollte das jetzt noch gehen: Ich schicke mein Kind doch
nicht in eine NPD-Familie.
Georg Maier: Das Hauptproblem war nicht, dass der Lehrer gehen sollte, denn
er wollte sich anfänglich bloß beurlauben lassen, um bei der NPD wirken zu
können. Das Problem war: Wie mit den Kindern umgehen? Der Begriff
Sippenhaft kam schnell auf, aber für mich war ziemlich schnell klar, das
geht nicht. Die Kinder müssen die Schule verlassen, weil die Verbindungen
eben zu eng sind, man sitzt dann neben dem Exlehrer an der Seite, baut
etwas oder macht etwas anderes. Und das war einfach nicht mehr möglich.
Annerose Pape-Maier: In der Schule war aber auch eine Stimmung gegen jene,
die sich für die Trennung von den Kindern aussprachen. Doch wir waren ja
gar nicht die Verursacher dieser schweren Entscheidung, er war es, und wir
mussten reagieren – auch wegen unseren Kindern.
Georg Maier: Ich kann mich noch erinnern, das wir in der Aula
zusammenkamen, um über die Kinder zu reden. Ich musste im Raum stehen, so
voll war es. Die Meinungen waren da sehr weit auseinander von „das geht gar
nicht mehr“ bis „wir müssen die Kinder vom rechten Weg abbringen“. Ich
hielt Letzteres für illusorisch. Gegen das Elternhaus funktioniert das
nicht. Wir werden das nicht hinbekommen, gegen die Eltern die Kinder
pädagogisch zu beeinflussen.
Annerose Pape-Maier: Ich fand, dass sich die Schule da schnell und gut
positioniert hat, was den Lehrer anging, bei den Kindern aber nicht. Sie
hatten der Mutter noch mal Raum gegeben, was nicht hätte sein müssen. Sie
nutzte es gleich, sehr emotional zu werden. Sie sagte, „man muss doch den
Kindern die Möglichkeit geben, ihre Waldorfchen-Puppen zu Ende zu nähen“.
Den Satz habe ich noch im Ohr.
Martin Franke: Da wurde es bei der Veranstaltung auch hässlich. Es gab
viele differenzierte Betrachtungen, aber auch sehr viel Emotionales, es gab
da auch was ganz Naives, so wie „Man muss den Rechten mit der
Anthroposophie begegnen, dann werden die schon begreifen, dass sie auf dem
falschen Weg sind“, oder „Mit etwas Holzschnitzen kann man dem Exlehrer
sicher klar machen, dass er sich verirrt hat“. Und gerade die
Positionierung seiner Frau, die viel extremer erschien und die Kinder stark
beeinflusste, wurde kaum wahrgenommen. Ich fand, da war das Kollegium an
der Waldorfschule schwach. Diese Ambivalenz fand ich unerträglich.
Annerose Pape-Maier: Ich fragte mich auch: Was sollten wir denn unseren
Kindern sagen, warum die Besuche nicht mehr möglich sind? Ich hätte das
gemacht, ich hätte Nein gesagt, doch wie soll man das einem Kind in der
zweiten Klasse erklären und das dann ständig?
Martin Franke: Wir hätten das Kind auch nicht mehr zum Kindergeburtstag
hingelassen.
Annerose Pape-Maier: Auf keinen Fall.
Martin Franke: Die beiden Kinder hätten jedoch uns noch besuchen können.
Gab es die Sorge, was passiert, wenn eure Kinder bei denen sind?
Annerose Pape-Maier: Also, Angst wäre das falsche Wort für das Gefühl.
Sorge ja, Unsicherheit.
Georg Maier: Er hat sich ja eigentlich auch versteckt. Wie er sich
verhalten hätte, nachdem alles bekannt war, darüber können wir nur
spekulieren. Das „Gesamtpaket“ war entscheidend, wir sagten uns, das alles
kriegen wir nicht hin. Auch wenn ich weiß, dass die Kinder nichts dafür
können, wie die Eltern sind. Ich werde jedoch auch nicht die Bilder
vergessen, wo die Kinder bei einem Marsch der NPD mitgehen und Plakate mit
Parolen hochhalten. Es war schon so, dass die Kinder in die rechte Richtung
gingen. Oder besser gesagt, in diese Richtung gedrillt wurden.
Die taz berichtete damals von dem Aufmarsch, auch ich weiß noch, wie
entsetzt Eltern und Jugendliche waren, die von der Waldorfschule kamen und
sich an den Gegenprotesten beteiligten.
Annerose Pape-Maier: Es war schlimm, die Kinder da mittendrin zu sehen. Und
das Gesehene hat die Debatte stark beeinflusst. Mir war sofort klar, dass
unser Junge da nicht mehr hingekonnt hätte, ich glaube aber auch, dass ihr
Sohn nicht mehr zu uns hätte kommen dürfen. Ich malte mir oft noch aus, wie
das dann beim Abholen wäre, wenn der da stehen würde. Das wäre mir
unangenehm gewesen, dass wollte ich nicht. Ich möchte mit solchen Leuten
einfach nicht so einen Kontakt. Ich glaube einfach, so blöd es auch für die
Kinder ist, ich hätte diesen Kontakt nicht mehr gewollt. Weil wir dann
täglich damit konfrontiert gewesen wären.
Martin Franke: Ich möchte es noch mal aufgreifen, Angst hatten wir im
eigentlichen Sinne nicht. Aber Sorgen. Wir waren ja auch bei ihnen zu
Hause, die Einfahrt, das Gebäude, die Küche, das Wohnzimmer, all das sah
völlig unauffällig aus. Da hingen keine Fahnen an der Wand oder standen
Rechtsrockplatten im Regal, da waren Reinhard Mey und BAP. Aber die
Tatsache, dass seine Examensarbeit eine wohlwollende beziehungsweise
verherrlichende Analyse über einen Ideologen des Nationalsozialismus war,
der als einer der Hauptverantwortlichen Mittäter in den Nürnberger
Prozessen zum Tode verurteilt wurde, ließ mich befürchten, das da viel
subtiler agiert wird. Um es deutlich zu sagen, ich hatte Bedenken, dass
sehr wohl indoktriniert wird, aber die Kinder in dem Alter uns das gar
nicht sagen könnten.
Judith Franke: Das muss ja auch so gewesen sein. Schüler seiner Klasse
sagten das ja schon vorher, erzählten von Hakenkreuzen an der Tafel. Ich
hatte eine Freundin, deren Kind in der Klasse war, und sie hatte das
erzählt. Und auch ich hätte es merkwürdig gefunden, dann meine Kinder zu
denen nach Hause zu lassen.
Georg Maier: Rückblickend muss ich sagen, bei den Besuchen ist mir nichts
aufgefallen, keine Fahnen, kein „Mein Kampf“ und keine Junge Freiheit lagen
rum.
Martin Franke: Na, es sah eben so aus wie bei vielen Anthroposophen oder
„Ökos“ oder eben wie bei uns. Dass der Junge mit so einer kurzen Lederhose
rumlief, fand ich auch nicht besonders, so eine hatten wir auch, einfach
weil die nicht kaputt geht. Später bekam das schon einen Beigeschmack, aber
vorher, nein, da fiel mir nichts auf.
Annerose Pape-Maier: Vielleicht waren da Zeichen, die wir gar nicht
kannten. Ich habe mich damit ja nicht so befasst. Wir haben das alles nicht
so politisch eingeordnet. Was mich heute auch immer wieder bewegt, auch
wenn ich von ähnlichen Vorfällen lese.
Judith Franke: Ich glaube, wir sind einfach nicht hierfür genau geschult
gewesen. In den 80er-Jahren war ich gegen Nazis auf der Straße, hatte mich
damit beschäftigt. Damals wie heute waren wir aber leider auch sehr auf die
militante Szene fokussiert, das intellektuelle Milieu blendeten wir aus.
Erst durch „ihn“ wurde für mich diese gesamte Dimension deutlich.
Annerose Pape-Maier: Sein Gestus, sein Aussehen passten nicht ins Bild
eines Rechten. Er wirkte gebildet, alternativ. Ja, ich weiß, wir sind da
dem Klischee des glatzköpfigen Nazis – dumm und gewaltbereit – aufgesessen.
Martin Franke: Der sah aus wie aus dem Hess-natur-Katalog. Im Sommer immer
helle Leinensachen, großer heller Hut.
Annerose Pape-Maier: Wachsjacke
Martin Franke: Er sah aus, wie jemand, der eine tolle gepflegte Lebensart
hat.
Judith Franke: Das ist ja eben das grundsätzliche Problem. Das Ökologische,
das Regionale, das Kommunale ist längst eine Ebene, wo man mit Rechten in
Kontakt kommen kann. Deswegen ist ja auch die Waldorfschule so interessant
für die. Und wir haben das bei der Anmeldung ganz ausgeblendet gehabt.
Alternativ gleich human, so einfach haben wir es uns selbst gemacht
Georg Maier: Ja, für mich ist bis heute erschreckend, wie leicht es ihm
gefallen ist, in der Schule Fuß zu fassen, er wurde sehr geschätzt. Die
Strukturen einer Waldorfschule sind recht konservativ, einzelne Gedanken
sind ja recht gut andockbar von rechts. Ich möchte nicht bloß die Schule
kritisieren, wir selbst hätten mehr hinterfragen sollen. Es ist für ihn
einfach zu leicht gewesen, da zu agieren.
Judith Franke: Nach diesem Konflikt gehe ich anders durch die Welt. Schaue
genauer, was für Leute einem hier und da begegnen. Er war ein echter
Blender, das hinterlässt Spuren.
Annerose Pape-Maier: Mich bewegt bis heute, dass es so leicht für ihn war.
Ich finde das Konzept der Waldorfschule weiterhin gut, aber sie haben sich
nicht den Aspekten gestellt, die diese Entwicklung erst möglich machten.
Was wir machen können, dass wir solchen Leuten nicht das Feld bieten, wurde
kaum überlegt. Was müsste an den Strukturen geändert werden, welche Inhalte
müssten hinterfragt werden – das fehlte mir. Das fand ich schade, auch dass
keine Auseinandersetzung mit Aussagen von Rudolf Steiner gesucht wurde.
Vielleicht wäre da zu einigen Positionen von Steiner eine Distanzierung
geboten gewesen.
Martin Franke: Ich weiß bis heute nicht, ob die Schule es ihm nicht auch
leicht gemacht hat. Jede staatliche Schule stellt vor ihren Einstellungen
eine Verfassungsschutzabfrage und will ein polizeiliches Führungszeugnis
sehen. Man hätte darauf kommen können. Jeder Tischler googelt, wenn er
einen Lehrling anstellt. Das hat die Waldorfschule versäumt, das sind ganz
große Fehler bei der Personalplanung, das kann man bestenfalls naiv finden.
Und was mich – auch wenn wir jetzt darüber reden – wieder erschüttert, war
die naive Haltung einiger Eltern, die sich ganz indifferent verhielten und
sein ideologisches Wirken verharmlosten. Was mich persönlich berührt, ist,
dass man da einer Einrichtung die Kinder anvertraut hat, wo sie nicht durch
rechtes Gedankengut gefährdet sind, und dann nutzt das ein Lehrer aus. Bei
mir bleibt haften: Man hätte auch selber besser schauen müssen. Augen auf
bei Kindergarten- und Schulauswahl!
Judith Franke: Da ist ein wenig Unschuld verloren gegangen.
Annerose Pape-Maier: Und das alles unter dem Deckmantel des Alternativen,
das das alles so überdeckte. Wir alle haben doch alle BAP im Regal stehen.
* Der Lehrer wird hier nicht mit Namen genannt, weil er sich nach einer
jahrzehntelangen rechten Karriere 2012 mit Hilfe des Verfassungsschutzes
von der Szene getrennt hat.
2 Apr 2018
## AUTOREN
Andreas Speit
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