| # taz.de -- Soziale Segregation unter Kindern: „Schön, dass du da bist“ | |
| > Einen guten Ruf hat die Berliner Spreewald-Grundschule nicht. Viele | |
| > Eltern schicken ihre Kinder lieber woanders hin. Andere steuern gegen. | |
| Bild: Gebäude der Spreewaldgrundschule in Schöneberg | |
| Berlin taz | Berlin-Schöneberg, 7.50 Uhr, erster Schultag für die ersten | |
| Klassen. Ein Strom aus Kindern und Eltern wogt ins hellblau angestrichene, | |
| filigran geformte Metalltor der Spreewald-Grundschule hinein. Es herrscht | |
| fröhliches Geschnatter. Unter den Erstklässler*innen werden dennoch | |
| einige sein, deren Eltern mit der Schulwahl nicht ganz zufrieden sind. Die | |
| Spreewald-Grundschule gehört zu den Kiezschulen, die viele Eltern aus dem | |
| Umkreis meiden. Denn sie befindet sich nicht nur in der Nähe des | |
| gentrifizierten Winterfeldtplatzes, sondern auch einiger Sozialbauten. | |
| Wie in den meisten Bundesländern sollen Kinder in Berlin eigentlich dort | |
| zur Schule gehen, wo sie wohnen – an den sogenannten Einzugsschulen. An der | |
| Spreewald-Grundschule gab es im letzten Schuljahr jedoch knapp 80 | |
| „Weg-Wechselwünsche“. Die Gründe dafür sind vielfältig, Medienberichte … | |
| Gewalt und die Sorge vor einem niedrigen Lernniveau gehören dazu. 51 der | |
| Anträge wurden genehmigt. | |
| Die Folge sind segregierte Grundschulen, an denen also mehrheitlich sozial | |
| benachteiligte Kinder oder Kinder mit Migrationshintergrund lernen. Ein | |
| Bericht des Sachverständigenrats für Migration und Integration (SVR) führte | |
| schon 2011 auf, dass 18 % aller Viertklässler*innen in Deutschland eine | |
| segregierte Schule besuchten. Und der Trend hält laut Expert*innen an. | |
| Die Aufteilung hat vor allem Auswirkungen auf Kinder mit [1][schlechteren | |
| Startchancen], die von Deutschkenntnissen abhängen können, aber | |
| insbesondere durch familiäre Ressourcen bedingt sind: Für sie ist eine | |
| größere Leistungsspanne in der Klasse besonders wichtig, bestätigt der | |
| Bericht des SVR. Gleichzeitig gebe es für die Leistungsstarken keine | |
| negativen Effekte in durchmischten Klassen. | |
| ## Eltern gründen Initiative | |
| Annika Levin, 37, wohnt im Einzugsbereich der Spreewald-Grundschule in | |
| einem typischen Berliner Altbau. Auch sie war zunächst verunsichert, als es | |
| im vorletzten Jahr um die Schulwahl für ihren Sohn ging. Nun besucht ihr | |
| Kind die zweite Klasse der Spreewald-Grundschule. Und sie strahlt: „Es war | |
| absolut die richtige Entscheidung.“ Diese fiel allerdings nicht ohne | |
| Weiteres. „Wir haben nur Leute gefunden, die gesagt haben, dass man sein | |
| Kind dort auf keinen Fall hingeben dürfe. Sie kannten jedoch selbst | |
| niemanden auf der Schule“, erzählt Levin. | |
| Also besuchte sie Informationsabende, hospitierte im Unterricht und traf | |
| schließlich Eltern wie Heinke Wottke, die ebenso wie sie feststellten: „Wir | |
| finden es eigentlich alle gut, dass unsere Kinder dorthin gehen, aber wir | |
| brauchen die Sicherheit, dass auch andere Eltern, zu denen wir einen Bezug | |
| haben, ihr Kind anmelden.“ Levin und ihre Mitstreiter*innen druckten | |
| Flyer, setzten eine Homepage auf, eröffneten eine Whatsapp-Gruppe – die | |
| Initiative „Ja! zur Spreewald-Grundschule“ nahm ihren Lauf. | |
| Vieles spricht für die Einzugsschule: zum Beispiel ein kurzer Schulweg und | |
| die Wohnortnähe zu Schulfreund*innen. Darüber hinaus meint Levin: „Ich | |
| finde es wichtig, dass mein Kind auf eine Schule geht, die die | |
| Gesellschaft so abbildet, wie sie ist.“ | |
| Die Schulleiterin der Spreewald-Grundschule, Nana Salzmann, begrüßt die | |
| Elterninitiative. Salzmann – feuerrote Haare und eine sanfte Stimme – sitzt | |
| in ihrem hellgelb gestrichenen Büro mit Blick über den begrünten Schulhof. | |
| Wie jeden Morgen hat sie zuvor alle Schüler*innen an der großen blauen | |
| Tür des Backsteingebäudes empfangen. | |
| ## 320 Kinder sprechen 23 Sprachen | |
| „Schön, dass du da bist“ lautet der Slogan, den sie etabliert hat, als sie | |
| vor drei Jahren an die Schule kam. Dass unter den rund 320 Kindern [2][23 | |
| verschiedene Sprachen] gesprochen werden, sieht sie nicht als Problem, | |
| sondern Vorteil. „Es ist ja eine Bereicherung, mit Kindern, die einen | |
| anderen kulturellen Hintergrund haben oder mehrsprachig aufwachsen, | |
| zusammen zu lernen“, so Salzmann. | |
| Für Maren Jasper-Winter, Bildungsexpertin der FDP, sind die mehr als 1.500 | |
| Widersprüche gegen Schulzuweisungen im Jahr 2020/21 in Berlin jedoch ein | |
| Zeichen: „Eltern finden immer einen Weg, auszuweichen.“ Sie fordert, die | |
| Einzugsbereiche aufzuheben und eine freie Schulwahl unter bestimmten | |
| gesetzlichen Kriterien, wie beispielsweise Wohnortnähe, zu ermöglichen. | |
| Anders sieht es SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić: „Die Abschaffung der | |
| Einzugsgebiete würde die Segregation noch verstärken“. | |
| Um Segregation entgegenzuwirken, findet zudem eine Ressourcensteuerung hin | |
| zu Brennpunktschulen statt. In Berlin können sie 170–190 Prozent mehr | |
| Personal erhalten und durch ein Bonusprogramm 100.000 Euro jährlich zur | |
| freien Verfügung bekommen. Laut Lasić muss das Geld in Zukunft aber stärker | |
| mit dem Thema Qualität verbunden und gesteuert werden. „Es gibt keinen | |
| Automatismus für bessere Qualität. Geld kann auch im System versickern“, | |
| sagt sie. | |
| Aus der Elterninitiative um Annika Levin und Heinke Wottke haben sich am | |
| Ende fünf Kinder an der Spreewald-Grundschule angemeldet. Das Interesse im | |
| aktuellen Einschulungsjahrgang war mit 38 Elternteilen, die der | |
| Whatsapp-Gruppe beitraten, zwar größer. Dennoch hat die Initiative ihren | |
| Zweck erfüllt. Für Gespräche mit unsicheren Eltern steht Levin weiterhin | |
| bereit. Dabei betont sie: „Unser Anspruch ist nicht, etwas an der Schule zu | |
| ändern. Wir wollen nur, dass man auch sieht, wie toll sie ist.“ | |
| 20 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Valeria Nickel | |
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