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# taz.de -- Berliner Bibliothek als Ort der Teilhabe: „Wir stellen Liegestüh…
> Die Berliner Amerika-Gedenkbibliothek ist ein Ort, der alle willkommen
> heißt. Aber wie geht das? Jennifer Borsky und Anna Jacobi haben
> Antworten.
Bild: In der Amerika-Gedenkbibliothek kann man machen, was man will
taz: Frau Borsky, Frau Jacobi, wenn man vor der Pandemie in die
Amerika-Gedenkbibliothek kam, war sie meist voll. Mal saß man neben
Studierenden, mal neben Leuten, die Deutsch lernen, Schüler*innen und
Menschen, die wohl wohnungslos sind, ebenso wie Promovierenden. Warum
fühlen sich in Ihrer Bibliothek so viele wohl?
Jennifer Borsky: Am wichtigsten sind die einfachen Dinge: die relativ
langen Öffnungszeiten, barrierefreie Zugänge, dass man sich bei uns nicht
rechtfertigen oder etwas kaufen muss. Wir versuchen, die Bibliothek
möglichst gepflegt zu halten. Und dann ist der Umgang miteinander total
entscheidend. Unsere Kolleg*innen, gerade die, die schon lange in der
Amerika-Gedenkbibliothek arbeiten, haben eine große Gelassenheit mit der
Verschiedenheit der Menschen.
Anna Jacobi: Wir versuchen zu vermitteln, dass Bibliothek [1][nicht etwas
ist, wofür man schon ganz gebildet sein muss], sondern ein Ort, an dem man
machen kann, was man möchte. Deswegen wollen wir das Hineingehen so einfach
wie möglich gestalten. Wir stellen zum Beispiel draußen Liegestühle auf,
stellen WLAN zur Verfügung und nennen das Frischluftbibliothek. Eine
niedrigschwellige Ausstrahlung ist das Stärkste, was wir tun können.
In Ihrem Servicekompass steht: Respekt ist in einer Millionenstadt ein Wort
mit vielen Facetten – für uns bedeutet das, einander fair, mit
Wertschätzung und Achtung zu begegnen.
Borsky: Für uns ist das selbstverständlich: Wir sind für alle da und heißen
alle willkommen. Respekt muss man sich nicht verdienen. Das versuchen wir
in allen Interaktionen mit den Besucher*innen zu leben.
Eine Servicephilosophie zu haben, ist das eine. Dass alle sie anwenden,
noch mal was anderes. Wie gelingt das?
Borsky: Wir sind immer im Austausch miteinander. Wenn es in Situationen zu
unterschiedlichen Auffassungen zwischen Besucher*innen und
Kolleg*innen kam, macht es durchaus Sinn zu reflektieren: Wie bin ich
mit der Situation umgegangen? Wir sprechen über die Vorfälle, aber haben
auch eine Supervision durch eine externe Kommunikationstrainerin. Unsere
Servicephilosophie ist kein starres Regelwerk „von oben“, das würde nicht
funktionieren. Eher drückt sie eine Haltung aus, die von den
Kolleg*innen selbst erarbeitet wurde. Bei uns sind schon alle sehr stolz
darauf, dass wir so ein diverses Publikum haben.
War die Bibliothek schon immer so voll und divers?
Jacobi: Seit die Bibliothek im September 1954 eröffnet wurde, war sie voll.
Das hatte auch mit dem fortschrittlichen Konzept zu tun: Die
Amerika-Gedenkbibliothek war die erste offene Freihandbibliothek in
Deutschland. Man musste nicht mehr an ein Fenster gehen und sagen:,,Ich
möchte gerne ein Buch zu sexueller Orientierung, können Sie mir etwas
herausreichen?“, sondern konnte direkt ans Regal gehen und sich die Medien
holen. Diese Demokratisierung der Bildung wurde dankend angenommen.
Und erreichen Sie alle, die Sie gern erreichen würden? Den Weg in die
Bibliothek muss man ja erst mal finden …
Jacobi: Das stimmt. Wir arbeiten eng mit Kindertagesstätten und Schulen
zusammen. Gerade für die Kleinsten haben wir extrem viel Programm. Da ist
es tatsächlich oft so, dass die Kinder ihre Eltern mit in die Bibliothek
bringen. Auch die Zusammenarbeit mit Initiativen, die Zugewanderte
unterstützen, klappt gut. Aber wir würden gern noch mehr Auszubildende
willkommen heißen.
Warum sind von ihnen noch zu wenige da?
Borsky: Wir bieten zielgruppenspezifische Bibliothekseinführungen an und
haben damit auch viele Berufsschulen angeschrieben. Aber deren Interesse
war oftmals nicht so groß. Vielleicht, weil die Meinung herrscht: Die
Azubis brauchen keine Bibliothek. Aber auch für sie ist ein Ort, an dem sie
in Ruhe lernen können, ganz wichtig. Deswegen möchten wir die Azubis jetzt
unabhängig von den Berufsschulen erreichen.
Corona hat die Bibliothek verändert. Wie ist das für Sie?
Borsky: Wir waren erst mal sehr froh, dass wir die Bibliothek in Berlin
fast durchgängig offen halten konnten – aus nachvollziehbaren Gründen
zunächst allerdings nur für den [2][Leihbetrieb] und nicht zum Aufenthalt.
Das widerspricht unserem Selbstverständnis fundamental. Normalerweise sind
wir ein Ort, an dem Menschen undokumentiert zusammenkommen, und das ist
auch so gewollt. Den Leuten zu signalisieren, dass sie schnell wieder gehen
sollen, war sehr schwer für uns.
Jacobi: Nach unserem Eindruck kommen Menschen, die eventuell obdachlos
sind, seit der Pandemie nicht mehr zur Bibliothek, weil wir noch keine
Plätze zum Verweilen anbieten dürfen.
Inzwischen kann man wieder Arbeitsplätze buchen. Sind die Menschen ohne
Obdach oder Wohnung zurückgekommen?
Jacobi: Die vermutlich Wohnungslosen, die schon immer sehr gut organisiert
waren, sind jetzt wieder da, vor allem für die PC-Arbeitsplätze. Das freut
uns sehr. Die anderen sind noch nicht wiedergekommen. Hoffentlich ändert
sich das, wenn wir mehr Verweilplätze öffnen dürfen.
20 Aug 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Franziska Schindler
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