# taz.de -- Reform der Oberstufe: Der Weddinger Weg | |
> Im Wedding haben eine Sekundarschule und ein Gymnasium eine gemeinsame | |
> Oberstufe aufgebaut. Die Stadt bräuchte mehr von solchen Kooperationen. | |
Bild: Unterm Strich soll das Abitur stehen. | |
Vielleicht 250 Meter Luftlinie trennen die Weddinger Sekundarschule am | |
Schillerpark und das Lessing-Gymnasium in der Schöningstraße. Zwischen den | |
beiden trutzigen Altbauten geht der Blick über eine offene Freifläche, | |
darauf liegt eine gemeinsam genutzte Sportanlage. | |
250 Meter Luftlinie, ein gemeinsamer Stadtteil – zwei grundverschiedene | |
Schülerklientel: das Lessing-Gymnasium hat einen guten Ruf. Regelmäßig hat | |
Schulleiter Michael Wüstenberg mehr Bewerbungen auf dem Tisch, als er | |
Schulplätze zu vergeben hat. Die benachbarte Schillerpark-Schule hingegen | |
hatte bis vor wenigen Jahren weniger Anmeldungen als freie Schulplätze. Das | |
Leistungsniveau der Schüler taugte kaum dazu, damit zu werben: Das jemand | |
nach der 10. Klasse noch irgendwo an einem Oberstufenzentrum sein Abitur | |
machte, gab es an der Schule, die selbst keine eigene Oberstufe hat, | |
praktisch nicht, sagt Schulleiter Ronald Fischer. | |
Das Beispiel der beiden Weddinger Schulen zeigt sehr schön, woran es im | |
Berliner Schulsystem jenseits der Grundschulzeit krankt: Schulen ohne | |
eigene Oberstufe, die etwa zwei Drittel der Berliner Sekundarschulen | |
ausmachen, werden von leistungsstarken Schülern (und bildungsorientierten | |
Eltern) gemieden. Nur knapp 16 Prozent der Siebtklässler, denen nach der | |
Grundschule prognostiziert wird, dass sie mal Abitur machen werden – die | |
sogenannte „Förderprognose“ –, schlagen diesen Weg an einer Sekundarschu… | |
ein, teilt die Senatsverwaltung für Bildung mit. | |
Nach der sechsten Grundschulklasse wird auseinander dividiert – die guten | |
Schüler hierhin, die Schwächeren anderswohin. Und weil Bildungserfolg immer | |
noch von der sozialen Herkunft abhängt, ist es stets auch eine | |
feinsäuberliche Trennung entlang sozialer Milieus. Die Mischung stimmt | |
nicht – weil es vielerorts schlicht keine gibt. | |
## Eine Zwei vor dem Komma | |
An der Schillerpark-Schule ändert sich das gerade. Seit dem Schuljahr | |
2015/16 gibt es an der Schule eine 11. Klasse, die man in Kooperation mit | |
dem Lessing-Gymnasium aufgebaut hat. In dieser „Vorbereitungsklasse“ werden | |
die Hauptfächer Mathe, Deutsch und Englisch gepaukt, außerdem als zweite | |
Fremdsprache Französisch und eine Reihe von Wahlpflichtfächern, die man auf | |
die Kursauswahl am Lessing-Gymnasium abgestimmt hat. Wer die | |
Vorbereitungsklasse mit ordentlichen Noten abschließt, kann in die reguläre | |
11. Klasse am benachbarten Gymnasium wechseln – und dort nach der 12. | |
Klasse schließlich Abitur machen. | |
Bereits ein Jahr nach dem Start dieses offiziellen Schulversuchs der | |
Senatsbildungsverwaltung hatte Schulleiter Fischer mehr Anmeldungen als | |
freie Plätze – und die Schüler, die sich für seine Schule interessierten, | |
hatten andere Zeugnisse: „Etwa ein Drittel der angemeldeten Kinder hatte | |
letztes Jahr mindestens eine Zwei vor dem Komma, davon sechs Schülerinnen | |
mit Gymnasialempfehlung“, sagt Fischer. | |
Von der Spitze soll die Breite profitieren. „Es geht uns ja nicht nur um | |
ein anderes Anmeldeverhalten“, sagt Fischer. „Sondern vor allem darum, dass | |
die Lernmotivation und das Leistungsniveau insgesamt steigen.“ Das passiert | |
für gewöhnlich, wenn man Schülern eine Perspektive aufzeigt. Und die Option | |
Gymnasium motiviert – nicht nur die bildungsorientierten Eltern: 28 Schüler | |
müssen sich für die „Vorbereitungsklasse“ finden, so die Vorgabe der | |
Senatsbildungsverwaltung. Voraussetzung ist der Mittlere Schulabschluss mit | |
Empfehlung gymnasiale Oberstufe. Die Schillerpark-Schule schaffte das auf | |
Anhieb: 24 kamen aus den eigenen Reihen, vier hatten sich von anderen | |
Sekundarschulen für die Vorbereitungsklasse beworben. | |
Die Weddinger Kooperation zwischen Gymnasium und Sekundarschule ist eine | |
Ausnahme. Die CDU, die bis zum September mit der SPD regierte, war stets in | |
Sorge um den Stellenwert der Gymnasien. Dass sich Gymnasien und | |
Sekundarschulen zusammentun, war politisch nicht unbedingt gewünscht. Aber | |
auch viele Schulleitungen von Gymnasien schrecken aus Angst vor dem guten | |
Ruf in der Elternschaft vor Kooperationen mit Sekundarschulen zurück. | |
## Nicht nur die Spitze profitiert | |
Michael Wüstenberg, Schulleiter des Lessing-Gymnasiums, wünscht sich da | |
weniger Berührungsängste. „Das ist eine Begabtenförderung, die den Schüle… | |
und der Schillerpark-Schule nutzt – und uns als selbstbewusstem Gymnasium | |
nicht schadet.“ Die Schüler, die im vergangenen Jahr ans Gymnasium | |
wechselten, würden den Notenschnitt zwar nicht verbessern. „Aber es gibt | |
auch keine Ausreißer nach unten, eine Fünf hat niemand.“ | |
Wüstenberg wünscht sich, man würde diesen Schulversuch ausweiten. Er | |
glaubt, dafür aus dem nun rot-rot-grünen Senat auch „positive Signale“ | |
vernommen zu haben. Die Senatsbildungsverwaltung gibt sich indes noch | |
bedeckt. Der Schulversuch werde laufend ausgewertet, beizeiten werde man | |
dann weitersehen, sagt eine Sprecherin. | |
Wüstenberg hofft auf den Koalitionsvertrag: Dort verspricht der Senat ein | |
„umfassendes Programm zur Begabungsförderung“ erarbeiten zu wollen. Der | |
Weddinger Schulversuch könnte ein Teil davon sein. Gerade auch, weil eben | |
nicht nur die Spitze profitiert. | |
9 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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