# taz.de -- Besuch einer Arabischklasse in Wedding: Der Versuch einer Annäheru… | |
> Arabisch hatte bisher in den Lehrerzimmern keine gute Lobby. Langsam | |
> begreifen Bildungspolitiker, dass das ein großer Irrtum gewesen sein | |
> könnte. | |
Bild: Ziemlich hübsch: das Grundgesetz auf Arabisch | |
Arabisch hatte bisher an Schulen in etwa den Status eines hartnäckige | |
Fettflecks auf einem Synthetikpullover, den man nur bei 30 Grad waschen | |
kann: Das Ziel war, diesen Fleck irgendwie wegzumachen. Und weil das | |
natürlich nicht ging, weil die Muttersprache sich nicht „wegmachen“ lässt, | |
musste zumindest der Makel wettgemacht werden: durch mehr Deutschstunden, | |
mehr Förderunterricht, durch mehr Sozialarbeiter an den Schulen. Kurz: An | |
den Kindern „nichtdeutscher Herkunftssprache“ wurde herumgeschraubt wie an | |
einem kaputten Auto. Was aber, wenn das Auto gar nicht kaputt ist – und der | |
Fehler vielmehr darin liegt, es überhaupt reparieren zu wollen? | |
Man kann kluge Wissenschaftler zitieren, wenn man argumentieren will, warum | |
es gut ist, dass sich diese Erkenntnis in der Berliner Bildungspolitik | |
langsam durchzusetzen scheint. Man kann aber auch einfach Lehrerin Iman | |
Najami die Geschichte des kleinen Mädchens erzählen lassen, das in einer | |
der Arabischklassen für Muttersprachler sitzt, die Najami seit 2015 an der | |
Wedding-Grundschule unterrichtet. | |
## Eine neue Akzeptanz | |
Das Mädchen, sagt Najami, habe sich anfangs völlig verweigert. Stumm saß es | |
auf seinem Platz und sagte genau einen Satz, das letzte Wort klang ein | |
bisschen wie ausgespuckt: „Ich kann kein Arabisch.“ Das sagte es auch zu | |
Hause gegenüber den Eltern. Dabei sprach der Vater Arabisch mit seiner | |
Tochter, die Mutter Deutsch. In der Schule war die Sprache des Vaters aber | |
nicht viel wert: Manche Schüler äfften sie nach, so dass es hart klang. Das | |
habe sich geändert, auf dem Schulhof und in den Fluren, sagt Najami. | |
„Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Arabisch an dieser Schule | |
mittlerweile eine andere Akzeptanz erfährt.“ | |
Im Frühjahr 2015 startete das Projekt Muttersprache Arabisch an vier | |
Berliner Grundschulen, eine davon war die Wedding-Grundschule in der | |
Antonstraße: zwei freiwillige Stunden Arabischunterricht zusätzlich zum | |
normalen Stundenplan. An der Wedding-Grundschule begann man zunächst mit | |
zwei Lerngruppen in der Schulanfangsphase, also in den Klassen eins und | |
zwei. Jedes Schuljahr wird eine neue Lerngruppe aufgemacht, die | |
Arabischklassen sollen bis zur sechsten Jahrgangsstufe „hochwachsen“. | |
Die Veränderungen stellten sich schnell ein, und sie waren grundlegend, | |
sagt Arabischlehrerin Najami. Die Kinder aus den arabischen Familien hätten | |
an Selbstbewusstsein auf dem Schulhof gewonnen: „Die Kinder merken es | |
natürlich, ob man ihnen auf Augenhöhe begegnet – oder eben nicht.“ Und we… | |
die Familiensprache auch in der Schule gesprochen wird, sei das für die | |
Kinder eine enorme Form der Wertschätzung, die besagt: Ihr seid nicht außen | |
vor, ihr findet statt. | |
Und das verstummte Mädchen? Nach ein paar Wochen antwortete sie ihrem Vater | |
auf arabisch. „Sie hat gemerkt: Ich bin ja nicht die Einzige, die mit | |
dieser Sprache konfrontiert ist“, sagt Najami. | |
Nun ist es keinesfalls so, als sei vor dem Arabischprojekt noch niemand auf | |
die Idee gekommen, dass es sinnvoll sein könnte, Zweisprachigkeit jenseits | |
von Prestigesprachen wie Englisch und Französisch auch als Chance zu | |
verstehen. Anfang der 90er Jahre startete das Deutsch-Türkisch-Angebot | |
Zwerz an vierzehn Grundschulen: zweisprachige Alphabetisierung in einer | |
Deutsch-Türkisch-Klasse, fünf Schulstunden Türkisch on top pro Woche. | |
Aktuell sind noch fünf Schulen mit einem solchen Angebot übrig – die | |
übrigen stiegen im Laufe der Jahre „vor dem Hintergrund sinkender | |
Nachfrage“ aus, wie die Senatsverwaltung für Bildung mitteilt. | |
Angelika Suhr sitzt in ihrem Büro in dem riesigen Schulaltbau und wägt die | |
Worte sorgfältig. Die Schulleiterin der Wedding-Grundschule ärgert es, dass | |
das Deutsch-Türkisch-Angebot oft so niedergeschrieben wurde in der Presse. | |
Aber dass es zum Beispiel bis heute nicht gelungen ist, in Berlin das Fach | |
Türkisch ins Lehramtsstudium zu integrieren, anders als etwa in | |
Nordrhein-Westfalen und Hamburg: „Das kann einen schon ärgern“, sagt Suhr. | |
Dementsprechend rar seien fähige Lehrkräfte für Türkisch gesät. Das | |
Deutsch-Türkisch-Projekt sei eben immer auch ein Kampf um eine schöne Idee | |
gewesen. | |
Die Wedding-Grundschule hat die Deutsch-Türkisch-Klassen über die Jahre | |
beibehalten. Derya Ulas-Emirli ist Deutschlehrerin an der Schule, in der so | |
gut wie alle der rund 500 SchülerInnen „nichtdeutscher Herkunftssprache“ | |
sind, wie es im Behördensprech heißt: „98 Prozent, vielleicht auch 99 | |
Prozent, wir haben mehr als 22 Nationen vertreten“, sagt Suhr. Ihre | |
Kollegin Ulas-Emirli hat das Deutsch-Türkisch-Angebot an der Schule mit | |
aufgebaut. Sie sagt: Die Leistungen der Deutsch-Türkisch-Klassen seien | |
besser – „und zwar in allen Fächern“. | |
„Nur logisch“ sei das, findet Ulas-Emirli. Das Selbstvertrauen, das man | |
daraus zieht, wenn man in seiner eigenen Muttersprache gehört wird: | |
Natürlich wirke sich das auf die Lernmotivation und letztlich die Noten | |
aus. | |
Ihre Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen einer Studie zur | |
Staatlichen Europa-Schule Berlin, die Ende November von der | |
Senatsverwaltung für Bildung vorgestellt wurde. An der SESB werden die | |
Kinder von der ersten Klasse an zweisprachig unterrichtet: die Hälfte der | |
Fächer auf Deutsch, die andere Hälfte in der jeweiligen „Partnersprache“ | |
der Schule. Es gibt auch eine Deutsch-Türkische Europaschule. | |
## Die Eltern bedanken sich | |
Die Wissenschaftler stellten fest: Weder litt der Deutscherwerb der | |
bilingual unterrichteten Kinder noch schnitten sie in Mathe oder | |
Naturwissenschaften schlechter ab. Und: Die Kinder fühlten sich ihrer | |
Herkunftskultur stärker verbunden – ohne sich dabei abzukapseln. Sie | |
fühlten sich gleichwertiger. | |
Genau darum gehe es, sagt Schulleiterin Suhr: „Um Teilhabe.“ Auch das | |
Arabischprojekt sei weit mehr als ein Alphabetisierungsprojekt – „es ist | |
ein Integrationsprogramm“. Suhr erzählt von arabischen Eltern, die | |
plötzlich zu den Elternabenden kämen. Die sich interessieren: Was macht | |
mein Kind in der Schule? | |
Iman Najami, die Arabistik studiert hat und selbst Schülerin an der | |
Wedding-Grundschule war, sagt: „Da ist häufig eine große Sprachbarriere, | |
und die fällt nun ein Stück weit weg.“ Najami hat noch einen Kollegen für | |
das Arabischprojekt an der Schule, gemeinsam unterrichten sie insgesamt | |
fünf Lerngruppen. Sie und der Kollege seien so etwas wie das „Bindeglied“, | |
sagt Najami, „zwischen Eltern und Kollegium“. Schulleiterin Suhr sagt, das | |
Interesse sei von Beginn an groß gewesen. Sie sagt: „Die Eltern haben sich | |
bei mir bedankt.“ | |
Es sind nicht nur die Eltern, die wollen, dass ihr Kind Arabisch lernt. Die | |
Kinder wollen es selbst. Freitagmittag, die letzte Stunde vorm Wochenende, | |
und draußen vor den großen Fenstern beginnt es auch noch in dicken | |
Frau-Holle-Flocken zu schneien. Trotzdem schnellen die Arme der etwa | |
fünfzehn Erst- und Zweitklässler in die Höhe, als Iman Najami nach den | |
Buchstaben fragt, die die Kinder schon gelernt haben. Ein Junge presst sich | |
vor Aufregung die Hand vor den Mund, damit er nicht vorsagt, als sein | |
Mitschüler beim „l“ kurz ins Stocken gerät. | |
## Nicht mehr als zwei Lehrer | |
„Natürlich sind zwei Schulstunden Arabisch pro Woche viel zu wenig, wenn | |
man muttersprachliches Niveau in Deutsch und in Arabisch erreichen möchte“, | |
sagt Najami im Lehrerzimmer, als sie die Kinder ins Wochenende und in den | |
Schnee entlassen hat. Fünf Stunden, wie auch die Deutsch-Türkisch-Klassen | |
bekämen, müssten es schon sein. Schulleiterin Suhr sagt, sie würde gern | |
kleinere Kurse anbieten, mit weniger Kindern. Aber mehr als zwei | |
Lehrkräfte, die sich insgesamt zehn Schulstunden Arabisch pro Woche teilen, | |
bekommt sie derzeit nicht für das Projekt. | |
Man sei aber ja auch noch „in der Aufbauphase“, wirft Najami ein, die auch | |
die Leitung des Projekts für die Senatsbildungsverwaltung innehat. Der | |
rot-rot-grüne Koalitionsvertrag verspricht ein „Konzept zur Förderung der | |
Mehrsprachigkeit“. Alles noch vage, alles noch „im Aufbau“, aber man hat | |
das Gefühl: Da ist etwas im Aufbruch. | |
Ein Sinneswandel?, überlegt Deutschlehrerin Ulas-Emirli. Ja, schon, sagt | |
sie. Umso mehr wird man aber in den nächsten Jahren aufpassen müssen, dass | |
das zarte Pflänzchen Arabischunterricht nicht wieder an den Realitäten | |
kaputt geht. Man wird sich überlegen müssen, woher die Lehrkräfte kommen | |
sollen: Wird Arabisch, anders als Türkisch, Wahlfach im Lehramtsstudium? | |
Man wird über die Bezahlung dieser Lehrkräfte nachdenken müssen. Will man | |
sie als – schlechter bezahlte – Honorarlehrkräfte anstellen, oder mit einem | |
ordentlichen Arbeitsvertrag versehen? Derzeit bekommen die Schulen die | |
Stunden für das Arabischprojekt von der Senatsbildungsverwaltung erstattet, | |
in der Regel schließen die Lehrkräfte einen Honorarvertrag mit der | |
jeweiligen Schule. | |
Man wird auch darüber nachdenken müssen, wie es nach der Grundschule | |
weitergehen soll. Aus der Senatsbildungsverwaltung heißt es, Senatorin | |
Sandra Scheeres (SPD) lasse „prüfen, ob das Sprachenangebot der Staatlichen | |
Europa-Schule Berlin ausgeweitet werden kann und ob Arabisch auch zweite | |
Fremdsprache werden könnte.“ | |
## Starke Lobby nötig | |
Türkisch als zweite Fremdsprache bieten noch zwei weiterführende Schulen in | |
Berlin an. Viele Schulen gaben auf, weil die Elternschaft nicht mitzog, | |
dazu kam die schwierige Suche nach geeigneten Lehrkräften. Wenn die | |
Arabischklassen wirklich Erfolg haben sollen, braucht das Projekt also vor | |
allem eine gute Lobby bei den Eltern. Die wiederum schaffen Schulleitungen, | |
die von dem Projekt überzeugt sind – und die man ihrerseits am besten mit | |
Ressourcen, mit Geldern, mit Personal überzeugt. | |
Man wird sich also überlegen müssen: Meint man es ernst mit einer schönen | |
Idee? | |
In Iman Najamis Arabischklasse stehen zwei Mädchen an der Tafel. Die eine | |
schreibt auf Arabisch Papa, die andere auf Deutsch. Die eine schreibt von | |
rechts nach links, die andere schreibt von links nach rechts. Vielleicht | |
beschreibt das ganz schön den Beziehungsstatus, den der deutsch-arabische | |
Unterricht an den Schulen hat. Man weiß noch nicht so recht, wo man am Ende | |
sein wird, aber: Man geht aufeinander zu. | |
22 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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