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# taz.de -- Das Scheitern der Schulreform 2010: Abstimmung mit den Füßen
> Vor fünf Jahren wurde die Hauptschule beerdigt – doch viele Eltern meiden
> Sekundarschulen ohne Oberstufe. Eine Kreuzberger Schule reagiert.
Bild: Abstimmung mit den Händen?
Vor fünf Jahren hat Berlin die Haupt- und Realschule abgeschafft. Seitdem
sind die Sekundarschulen die Alternative zum Gymnasium. Doch während die
Schulen mit eigener Oberstufe vor allem die leistungsstarken SchülerInnen
mit Gymnasialempfehlung abgreifen, bleibt für den Rest – der Rest. Man
könnte auch sagen: Vor fünf Jahren hat Berlin seine Haupt- und Realschulen
umbenannt – in Sekundarschulen ohne eigene Oberstufe.
Ulrike Becker sitzt in ihrem Büro in der Refik-Veseli-Schule an der
Skalitzer Straße und erinnert sich. Als die Schulleiterin 2013 ins Amt kam,
war der Ruf der Kreuzberger Sekundarschule mehr oder weniger ruiniert. „Als
ich anfing, gab es genau null Schüler mit Gymnasialempfehlung und einen
Schüler deutscher Herkunft – die Mischung stimmte nicht“, sagt Becker.
2014 bekam die Schule, auf Druck einer Elterninitiative und mit
Unterstützung des Bezirks, eine eigene Oberstufe genehmigt – und
Schulleiterin Becker eine neue Schülerschaft: Ein Fünftel der diesjährigen
SiebtklässlerInnen hat eine Empfehlung fürs Gymnasium. Der Anteil der
Eltern deutscher Herkunft, denen Becker derzeit bei den Infoabenden zum
gerade laufenden Anmeldezeitraum für das kommende Schuljahr gegenübersitzt:
Die Schulleiterin schätzt ihn auf 80 bis 90 Prozent. „Unser Ziel, eine
durchmischtere Schülerschaft zu erreichen, werden wir im Sommer wohl
erreicht haben.“
Der Fall der Refik-Veseli-Schule zeigt: Es ist eine Abstimmung mit den
Füßen, die die Eltern jedes Jahr vornehmen. Laut Zahlen der
Senatsbildungsverwaltung aus dem vergangenen Jahr meldeten sich 80 Prozent
der SchülerInnen mit einer Empfehlung für das Gymnasium an Sekundarschulen
mit eigener Oberstufe an. Wenn Anfang März die Anmeldezahlen für das
kommende Schuljahr bekannt gegeben werden, dürften sich die
Kräfteverhältnisse nicht wesentlich verändert haben.
Inzwischen arbeitet die zuständige Senatsverwaltung an der Reform der
Schulreform von 2010: Eine Arbeitsgruppe soll Vorschläge für eine
Neuorganisation der Oberstufe an den Sekundarschulen machen, ein Ergebnis
wurde bereits im vergangenen Jahr präsentiert. Sekundarschulen sollen sich
künftig verstärkt zusammentun und gemeinsam eine Oberstufe aufbauen – wie
es nun die Refik-Veseli-Schule mit der Emmanuel-Lasker-Schule in der
Modersohnstraße tut. Auch eine Kooperation mit einem Gymnasium soll möglich
sein, so macht es seit dem laufenden Schuljahr etwa die Schiller-Schule im
Wedding, die mit dem Lessing-Gymnasium einen gemeinsamen Campus geschaffen
hat.
Insgesamt steigt die Zahl der derzeit 42 Sekundarschulen mit eigener
Oberstufe: Bis 2017 sind bereits drei weitere genehmigt oder haben einen
entsprechenden Antrag gestellt, acht hätten „Planungsgespräche
aufgenommen“, heißt es aus der Verwaltung von Bildungssenatorin Sandra
Scheeres (SPD).
Schulleiterin Becker ist sich aber auch sicher: „Eine eigene Oberstufe
alleine hätte uns nicht gerettet.“ Die Schule hatte sich 2013 ein neues
Schulprogramm verordnet: Seitdem gibt es ein Schülerparlament, das sich für
„seine“ Schule einsetzt. Die Schule hat Schwerpunktsetzungen im Bereich
Sport, Mathe-Informatik und vier Fremdsprachen im Lehrplan. Ab dem
kommenden Schuljahr wird eine Montessori-Klasse eingerichtet.
Das neue Schulprogramm spiegelt die neue Schülerschaft? „Eher umgekehrt“,
ist sich Becker sicher. „Ohne diese Angebote hätten wir nicht diese
Schülerschaft.“ Berlin ist dabei, die Hauptschule abzuschaffen.
16 Feb 2016
## AUTOREN
Anna Klöpper
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