# taz.de -- Fahrrad-Volksentscheid: Volle Fahrt voraus | |
> Ein neue Initiative soll zu mehr Gerechtigkeit im Straßenverkehr führen. | |
> Unser Autor sucht nach Gegenargumenten – und scheitert. | |
Bild: Mehr Platz für Radfahrer, aber auch für Busse: Das will das am Dienstag… | |
Das ist jetzt ein Problem. Gegenüber dem Bildschirm, auf dem diese Zeilen | |
zum Fahrrad-Volksbegehren entstehen, hängt die Mahnung eines berühmten | |
früheren „Tagesthemen“-Moderators: „Einen guten Journalisten erkennt man | |
daran, dass er sich mit keiner Sache gemein macht, auch nicht mit einer | |
guten.“ Das Problem ist, dass ebendieser Journalist Vielradler und „Zum | |
Brötchenholen mit dem Auto“-Fahrer-Hasser ist und nun von diesem | |
Volksbegehren denkt: Wer kann das nicht wollen? Doch das wäre ja | |
unjournalistisch. Also Start frei für die Suche nach Gegenargumenten. | |
Zehn Ziele haben die Organisatoren des Volksbegehrens formuliert, das ab | |
Mai Unterschriften sammeln will (siehe Kasten). Dazu gehören sichere | |
Kreuzungen. Die kosten Parkplätze, machen aber das Abbiegen für Autofahrer | |
wesentlich stressfreier: Weg wäre die Angst, gerade im Dunkeln einen Radler | |
oder auf die Fahrbahn hastenden Fußgänger zu übersehen. | |
Radschnellwege soll es geben, vier Meter breit und abseits aller Straßen. | |
Als Beispiel gilt eine Trasse längs der S1 zwischen Potsdamer Platz und | |
Zehlendorf. Das hilft nicht nur dem Radverkehr, sondern auch Autofahrern: | |
Es holt jene Schnellradler von der Straße weg, die sich nicht mit einem | |
nicht mehr benutzungspflichtigen schangeligen Radweg am Bürgersteig | |
abspeisen lassen und Autos die Straße nicht allein überlassen. | |
Fahrradstaffeln von Polizei und Ordnungsamt sind ein weiteres Projekt: Um | |
zugeparkte Radwege schnell wieder frei zu bekommen – aber eben auch, um dem | |
viele Autofahrer ärgernden In-zweiter-Reihe-Parken zu begegnen. Und um | |
Fußgänger vor Radrowdys auf dem Gehweg zu schützen. Profiteure sind damit | |
letztlich alle – bis auf die, die Regeln nicht einhalten. | |
Grüne Wellen für Tempo 20 etwa auf dem Ku’damm sind eine weitere Forderung. | |
Eine Staufalle für Autofahrer? Kaum: Bei durchschnittlich 25 km/h liege die | |
Geschwindigkeit bei einer Autofahrt in Berlin, sage Peter Feldkamp, einer | |
der Organisatoren des Volksbegehrens – und dabei seien die Außenbezirke mit | |
freier fließendem Verkehr eingerechnet. | |
Mehr Platz für Radler soll zugleich auch mehr Platz für Busse bedeuten. Auf | |
dem Ku’damm, so rechnen die Organisatoren vor, ist das Verhältnis zwischen | |
individuellem Autoverkehr und den anderen, also Bussen, Rädern und Taxis, 3 | |
zu 1: drei Spuren zum Parken, Halten und Fahren für die erste Nutzergruppe, | |
eine Spur für den Rest. Künftig soll das Verhältnis 2:2 sein. Busse müssen | |
dann nicht mehr langsam hinter Radfahrern herfahren. 2:2 – das klingt mehr | |
nach gerechtem Unentschieden als nach Auto-Diskriminierung. | |
Glaubt man den Zahlen, die die Volksbegehrer vorlegen, dann ist die Lage in | |
anderer Richtung ungerecht: Kaum 4 Euro pro Einwohner fließen jährlich in | |
Berlin in Radwege, über 83 Euro hingegen in vorwiegend von Autos genutzte | |
Straßen – und das bei einem etwa gleich großen Anteil von Rad- und | |
Autoverkehr. Ungerecht könnten sich statt der Gruppe der Autofahrer auch | |
sämtliche Berliner behandelt fühlen: Denn den erwähnten knapp 4 Euro steht | |
in anderen europäischen Metropolen ein Vielfaches an Radverkehr-Ausgaben | |
gegenüber. Und das nicht nur in den immer wieder zitierten | |
Fahrrad-Modellstädten wie Kopenhagen mit 21 Euro pro Einwohner, sondern | |
auch in Verkehrschaos-Städten wie Paris mit über 13 Euro. | |
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), auch für Verkehr und Umwelt | |
zuständig, hat sich bislang kritisch zu dem Volksbegehren geäußert. Es | |
polarisiere unnötig eine verkehrspolitische Debatte, zitieren ihn die | |
Organisatoren aus Zeitungsartikeln. Geisel lehnte es auch ab, „dass sich | |
eine Verkehrsart radikal gegen alle anderen durchsetzt und alle anderen | |
benachteiligt“. Zu radikal waren die Forderungen auch Teilen der nominellen | |
Radlobby ADFC, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, während sich der | |
Verkehrsclub Deutschland, kurz VCD, dahinter stellte. | |
Zu radikal? Radikal, abgeleitet vom lateinischen „radix“, heißt: an die | |
Wurzeln gehend. Radikal wäre es: Autos kaum noch herzustellen oder in der | |
Innenstadt nur noch Busse, Rettungswagen, Taxis, Handwerker und | |
Versorgungs-Lkws fahren zu lassen. Doch keine einzige derart radikale | |
Forderung, so sympathisch sie auch wäre, findet sich tatsächlich im Katalog | |
des Volksbegehrens. | |
Die beiden Männer, die an diesem Dienstagmorgen das Volksbegehren in einem | |
Moabiter Hotel präsentieren, in dem 2015 auch die CDU ihren Parteitag | |
abhielt, sehen sich auch nicht als Vertreter einer Öko-Minderheit. | |
„Radverkehr ist aus der grünen Wollpulli-Ecke schon lange raus“, sagt | |
Feldmann, „das Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Sein | |
Kollege Strößenreuther sitzt in gut geschnittenem Anzug und Krawatte vor | |
den Journalisten – und bestreitet, sich für die Pressekonferenz verkleidet | |
zu haben: Stricken habe er zwar auch mal gelernt, aber radeln gehe auch im | |
Anzug. | |
23 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Container | |
Matthias Kollatz-Ahnen | |
Uber | |
Volksentscheid Fahrrad | |
Volksbegehren | |
Fahrrad | |
Abgeordnetenhaus | |
Flüchtlinge | |
Container | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Slowenische Lufttaxis: Da fliegt ein Auto | |
Eine slowenische Firma mit 144 Mitarbeitern will den Verkehr | |
revolutionieren: Sie baut Lufttaxis – zusammen mit Uber. | |
ADFC unterstützt Bürgerinitiative: Volksentscheid nimmt Fahrt auf | |
Die Initiative für einen „Volksentscheid Fahrrad“ gewinnt mit dem ADFC | |
einen mächtigen Verbündeten. | |
Abgeordnetenhaus: Die Opposition tritt in die Pedale | |
Für Senator Geisel (SPD) ist das geplante Fahrrad-Volksbegehren eine | |
Verbotsorgie à la Veggie-Day, für die Opposition die Folge mangelnden | |
Senatsengagements. | |
Das war die Woche I: Mehr als nur so Stückchen | |
Die SPD-geführte Verkehrsverwaltung hält nichts vom „Volksentscheid | |
Fahrrad“, die Grünen könnten schon bald unter Zugzwang geraten. | |
Flüchtlingsunterbringung: SPD-Fraktion droht mit Ausstieg | |
In der rot-schwarzen Koalition verschärft sich der Ton weiter, als die CDU | |
im Parlament durchsetzt, eine Entscheidung über modulare Unterkünfte zu | |
vertagen. | |
Flüchtlingsunterbringung: Mitreden heißt nicht mitbestimmen | |
Die Bezirke seien bei den 60 Fertighaus-Standorten der sogenannten Mufs | |
sehr wohl beteiligt worden, würden aber wohl beteiligen mit entscheiden | |
verwechseln. | |
Flüchtlingsunterbringung: Jetzt noch Container | |
Neben den Schnellbauten, den sogenanten Mufs, will der Senat Container | |
aufstellen lassen. Geplant sind mindestens zwei pro Bezirk |