| # taz.de -- Abgeordnetenhaus: Die Opposition tritt in die Pedale | |
| > Für Senator Geisel (SPD) ist das geplante Fahrrad-Volksbegehren eine | |
| > Verbotsorgie à la Veggie-Day, für die Opposition die Folge mangelnden | |
| > Senatsengagements. | |
| Bild: Einer von zu vielen Fahrrad-Unfällen in Berlin – das angekündigte Vol… | |
| Vielleicht tut man ihm unrecht. Aber Andreas Geisel wirkt als | |
| Stadtentwicklungssenator (SPD), als habe er das mit dem Radfahren als | |
| leistungsfähigem Verkehrsmittel noch nicht so ganz verinnerlicht. Berlin | |
| sei eben viermal so groß wie das Radparadies Amsterdam, wo er kürzlich zu | |
| Besuch war, die Wege seien eben nicht wie dort nur fünf oder sieben | |
| Kilometer lang, sagt Geisel an diesem Donnerstag im Plenum des | |
| Abgeordnetenhaus, als es um das Fahrrad-Volksbegehren geht. Ja und?, möchte | |
| man da von der Tribüne rufen: Mit einem mittelprächtigen Rad ist man selbst | |
| vom 14 Kilometer entfernten Zehlendorf aus nur ein paar Minuten langsamer | |
| als mit der S-Bahn am Parlament. | |
| Leider sind solche schnellen Verbindungen – in diesem Fall längs der S25 – | |
| die Ausnahme. Und zu den Forderungen des Volksbegehrens, das Mitte Mai | |
| starten soll (siehe Kasten), gehören darum neben Radwegen an allen | |
| Hauptstraßen, 200.000 neuen Stellplätzen und mehr Polizeieinsätzen gegen | |
| Falschparker auch Fahrradschnellstraßen. Selbst aus der CDU gab es dazu | |
| vergangenes Jahr einen Vorschlag: die freie Bahntrasse längs der S1 zu | |
| nutzen. | |
| Doch von ebendieser CDU kommt jetzt auch wieder ein oft gehörter Satz: | |
| „Jede Form der Fortbewegung hat ihre Berechtigung.“ Oliver Friederici sagt | |
| ihn, der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion. Friederici, ein | |
| kluger Kopf, mag damit vor allem Transporte, Handwerker oder | |
| Krankeneinsätze meinen. Hinter einem solchen Satz können sich aber auch | |
| alle verstecken, deren Leben sich über „Brötchen mit dem Auto holen“ und | |
| „die Kinder mal eben im SUV zur Schule fahren“ definiert. So, als ob jeder | |
| Berliner einen Kubikmeter Luft zur individuellen Verschmutzung zur | |
| Verfügung hätte. Hat er oder sie aber nicht, die Abgase atmet auch der | |
| Nachbar ein. | |
| „Das Volksbegehren ist Notwehr – gegen eine Politik, die Radfahrern und | |
| Fußgängern das Leben jeden Tag schwer macht“, sagt Stefan Gelbhaar, | |
| Verkehrspolitiker der Grünen-Fraktion. Er bestreitet gar nicht, dass der | |
| Senat wie behauptet auch über Radverkehr nachdenken würde und das Ganze | |
| „Radverkehrsstrategie“ nennt – „aber wenn Sie das nicht umsetzen, dann … | |
| das alles nichts wert“. | |
| Senator Geisel wird auch an diesem Donnerstag nicht müde, sich gegen die | |
| vermeintliche Bevorteilung des Radfahrens als nur einer von mehreren | |
| Verkehrsarten zu sträuben. Verbote lehnt er ab, er fühlt sich an den | |
| gescheiterten Grünen-Vorstoß zu einem fleischfreien „Veggie-Day“ erinnert. | |
| Für den Grünen Gelbhaar verkennt Geisel damit völlig die Lage: „Wir haben | |
| derzeit die autogerechte Stadt.“ | |
| Überhaupt ist es ein Vormittag der konträren Wahrnehmungen. Nachdem sich | |
| die SPD-Fraktion für eine Verkehrswende rühmt, attestiert der | |
| Linken-Verkehrsexperte Harald Wolf „eine neue Form der | |
| Realitätsverweigerung“. Denn es könne keine Wende zum Positiven, weg vom | |
| Individualverkehr sein, wenn – nach seinen Zahlen – in den vergangenen fünf | |
| Jahren Busse und Trams immer langsamer geworden sind. „Dieser | |
| Volksentscheid ist das Ergebnis Ihrer Politik und Ihres Handelns in den | |
| letzten Jahren“, hält Wolf dem Senat vor. Und auch er kontert den | |
| SPD-Vorwurf, das Volksbegehren bediene Partikularinteressen: 18-mal mehr | |
| Platz würden Autos beanspruchen, dabei hätten Auto- und Radverkehr einen | |
| ungefähr gleich großen Anteil an den zurückgelegten Wegen in der | |
| Innenstadt. | |
| Geisel und die Redner von SPD und CDU, sie geben auch zu verstehen, dass | |
| die Initiatoren des Volksbegehrens einfach mal Forderungen in die Welt | |
| gesetzt hätten, statt sie mit der – wie auch immer definierten – | |
| Stadtgesellschaft zu diskutieren. Das hätten sie durchaus getan, ist vom | |
| Piraten-Abgeordnete Andreas Baum zu hören, etwa mit der Fußgänger-Lobby | |
| FUSS e. V. Zudem ist der Gesetzentwurf des Volksbegehrens auf der Netzseite | |
| volksentscheid-fahrrad.de für weiteren Input offen. | |
| Es ist da noch ein einzelner Begriff, den Senator Geisel verwendet, als er | |
| über den gestiegenen Anteil des Radverkehrs spricht – dem Abgeordneten Baum | |
| zufolge ist dieser seit 2001 um 50 Prozent gewachsen: Geisel nennt den | |
| Anstieg nicht etwa „beeindruckend“ oder „überwältigend“. Er bewertet … | |
| mit einem Begriff, der sonst in Zusammenhang mit Entwicklungen wie | |
| Epidemien, rechter Gewalt oder Unterrichtsausfall auftaucht: „dramatisch“. | |
| 3 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
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