# taz.de -- Diskussion über Cannabislegalisierung: „Eine recht ungefährlich… | |
> Die Debatte über Hanfkonsum ist zu ideologisch, kritisiert der Leiter der | |
> Bundesopiumstelle, Peter Cremer-Schaeffer. Für eine Legalisierung ist er | |
> aber nicht. | |
Bild: Cannabis – wie Alkohol ein Teil unserer Kultur? | |
taz: „Cannabis ist keine Horrordroge.“ Herr Cremer-Schaeffer, der Mann, der | |
das schreibt, ist kein bekennender Kiffer und auch kein altlinker | |
Grünen-Politiker. Er ist Arzt. Er leitet die Bundesopiumstelle, die für das | |
Bundesgesundheitsministerium den Betäubungsmittelverkehr überwacht und | |
neulich den Antrag aus Berlin-Kreuzberg zur kontrollierten Abgabe von | |
Haschisch und Marihuana abgelehnt hat. Der Mann sind Sie. Ein Sinneswandel? | |
Peter Cremer-Schaeffer: Keineswegs. Dass Cannabis keine Horrordroge ist und | |
übrigens auch keine Einstiegsdroge, das sage ich als Wissenschaftler, der | |
sich seit Langem mit dem Wirkstoff beschäftigt. Ich bin persönlich deswegen | |
übrigens nicht für die Legalisierung, falls Sie das jetzt denken sollten. | |
Das ist das eine. Das andere ist: Die Bundesopiumstelle ist Teil einer | |
Behörde. Sie entscheidet nach geltendem Recht. Die legale Abgabe eines | |
illegalen Stoffs zu Genusszwecken ist mit dem Betäubungsmittelgesetz nicht | |
vereinbar. Wer daran etwas ändern möchte, wer also den Wunsch hat, Gesetze | |
zu ändern, der muss dies an anderer Stelle diskutieren. | |
Zum Beispiel in Ihrem neuen Buch, „Cannabis. Was man weiß, was man wissen | |
sollte“, das Sie, wie Sie betonen, als Privatmann verfasst haben? | |
Es geht mir darum, als Wissenschaftler über die Gefahren von Cannabis | |
aufzuklären – und so eine breite, von Sachargumenten getragene | |
gesellschaftspolitische Debatte anzustoßen. Derzeit wird über Cannabis fast | |
ausschließlich ideologisch und von Vertretern sehr extremer Positionen | |
diskutiert. Da sind die Aktivisten, die mit fragwürdigen Argumenten ein | |
Grundrecht auf Kiffen fordern, und dann ist da eine kleine Gruppe von | |
politischen Hardlinern, die den Untergang des Abendlands fürchtet, sollte | |
es eine Liberalisierung geben. Beides hat mit dem Stand der Wissenschaft | |
nichts zu tun. | |
Woher rührt dieses hochemotionale, ideologische Spaltungspotenzial von | |
Cannabis? | |
Ab den 1930er Jahren gab es in den USA Kampagnen, mit denen Cannabis als | |
Droge gebrandmarkt wurde. Plötzlich stand Cannabis auf einer Stufe mit | |
Heroin und Kokain. In Deutschland glaubte man das auch. Hier hat sich bis | |
1961 niemand die Mühe gemacht, sich wissenschaftlich mit den Folgen des | |
missbräuchlichen Gebrauchs von Cannabis zu befassen. In den 1970er Jahren | |
dann, als bei uns heftig über die Drogenproblematik diskutiert wurde, stand | |
Cannabis bereits auf der Seite der gefährlichen Drogen. Sichtbar konsumiert | |
wurde es vor allem von Hippies. Cannabis war so etwas wie das Markenzeichen | |
dieser Bewegung, die die eher konservativ geprägte Gesellschaft als | |
Bedrohung empfand. Das hat sich festgesetzt. Argumente werden seither nicht | |
mehr gewechselt, auch wenn es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. | |
Wie gefährlich ist Cannabis – aus wissenschaftlicher Sicht? | |
Für Erwachsene ab etwa 20 Jahren ist Cannabis bei gelegentlicher Anwendung | |
eine recht ungefährliche Substanz. Klar, Cannabis kann zur Veränderung der | |
Wahrnehmung führen, man hat Koordinationsprobleme. Bei manchen Konsumenten | |
hat Cannabis daneben Auswirkungen auf die Psyche. Das sind aber keine | |
dauerhaften gesundheitlichen Schäden. Es entsteht auch keine schwerwiegende | |
Abhängigkeit, wenn man nicht täglich Cannabis gebraucht. Für Jugendliche | |
und junge Erwachsene birgt Cannabis dagegen ernste Gefahren. | |
Welche? | |
Im Kinder- und Jugendalter entwickeln sich die Organe, also auch das | |
Gehirn. Wir wissen, dass Cannabis in dieser Phase in den Hirnstoffwechsel | |
eingreift und auch die Hirnstruktur verändern kann. Mit bildgebenden | |
Verfahren kann man diese Veränderungen belegen. Sie äußern sich in Denk- | |
oder Gedächtnisstörungen oder in Unkonzentriertheit. | |
Bilden sich die Störungen zurück, wenn man aufhört zu kiffen? | |
Da sind sich die Wissenschaftler noch nicht einig. Aber es besteht die | |
Gefahr, dass sie dauerhaft bleiben. | |
Wenn Jugendliche Alkohol trinken, ist dies für das Gehirn auch schädlich. | |
Dennoch erlaubt das Jugendschutzgesetz 16-Jährigen, Bier, Wein und Sekt | |
kaufen. Wenn die Eltern dabei sind, dürfen sie sogar ab 14 Jahren Alkohol | |
trinken. | |
Keine Frage, Alkohol ist eine sehr gefährliche und wegen seiner starken | |
Verbreitung die am meisten schädigende Droge überhaupt. Das gilt übrigens | |
nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Es ist | |
ein Irrglaube, legale Stoffe seien weniger gefährlich als illegale. Wir | |
haben fast zwei Millionen Alkoholabhängige in Deutschland. Alkohol hat sehr | |
starke Auswirkungen auf alle Organsysteme, bei dauerhafter Anwendung | |
verkürzt es die Lebenszeit erheblich. | |
Dennoch ist Alkohol ein legales Genussmittel, ebenso wie Nikotin, das | |
weitaus ungefährlichere Cannabis dagegen nicht. Warum messen wir mit | |
zweierlei Maß? | |
Wir haben uns als Gesellschaft entschieden, Alkohol und Nikotin als Teil | |
unserer Kultur zu sehen. Wir akzeptieren, dass Schäden entstehen – und | |
bezahlen diese Schäden auch mit unserem Gesundheitssystem. Jetzt müssen wir | |
überlegen, ob wir Cannabis ebenfalls als Teil unserer Kultur sehen wollen. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1994 gesagt, dass es Aufgabe des | |
Gesetzgebers ist, wie man eine Substanz einstufen will oder nicht. Das | |
müssen wir diskutieren, weil am Ende alle die Konsequenzen dieser | |
Entscheidung tragen können müssen. | |
Nachdem Sie die Risiken von Alkohol mit denen von Cannabis verglichen | |
haben, fällt es schwer, weiterhin gegen die Legalisierung zu sein, richtig? | |
Falsch. Die Argumentation, Cannabis zuzulassen, weil Alkohol | |
gesundheitsschädlicher ist, halte ich für gefährlich. Denn bei einer | |
Legalisierung kämen ja noch die Risiken von Cannabis, zumindest für die | |
Jugendlichen, oben drauf. | |
Na ja … | |
Unser Land würde nicht untergehen deswegen, natürlich nicht. Der Staat | |
würde weiter funktionieren. Aber wir würden riskieren, dass mehr | |
Jugendliche konsumieren. | |
Wieso? | |
Wenn wir Cannabis für Erwachsene freigeben würden, würden viele Jugendliche | |
erst recht nicht mehr einsehen, weshalb sie darauf verzichten sollten. Und | |
ich bin eben der Auffassung, dass der Jugendschutz leichter zu realisieren | |
ist, wenn Cannabis verboten bleibt. | |
Wie hat sich in Ländern wie beispielsweise den Niederlanden der | |
Cannabis-Konsum von Jugendlichen nach der Legalisierung verändert? | |
Sobald Cannabis legal ist, steigt auch der Konsum bei Jugendlichen. Diesen | |
Trend konnten wir in den Niederlanden beobachten, aber auch im | |
US-Bundesstaat Colorado. Dort ist der Konsum übrigens bereits vor rund zehn | |
Jahren gestiegen, als Cannabis für medizinische Zwecke legalisiert wurde. | |
Viele Menschen dachten offenbar, wenn eine Substanz für den medizinischen | |
Gebrauch als hilfreich und wirksam eingestuft wird, dann ist ihre | |
Gefährlichkeit beim illegalen Gebrauch ebenfalls als geringer | |
einzuschätzen. | |
Das erleben wir aktuell in Deutschland. Seit selbst die Drogenbeauftragte | |
der Bundesregierung, eine CSU-Politikerin, sich für Cannabis auf | |
Kassenrezept ausgesprochen hat, erfährt die Debatte über die Legalisierung | |
auch als Genussmittel neuen Aufwind. | |
Wir müssen die Diskussion über Cannabis als Arzneimittel vollständig | |
trennen von der Frage: Cannabis als Genussmittel oder Droge? Wir würden ja | |
auch nicht auf die Idee kommen, Morphium als Genussmittel zu legalisieren, | |
nur weil Morphium in der Schmerztherapie sehr erfolgreich ist. | |
Die Legalisierung in der Medizin befürworten Sie? | |
Der Entwurf für ein entsprechendes Gesetz, der kürzlich vorgelegt wurde, | |
ist richtig. Wir haben ausreichende wissenschaftliche Hinweise, dass | |
Cannabis bei Patienten, bei denen ansonsten keine Behandlungsmöglichkeit | |
mehr besteht, einen Therapieversuch wert ist. Cannabis kann helfen bei | |
Übelkeit und Erbrechen unter Chemotherapie, bei schmerzhafter Spastik bei | |
Multipler Sklerose, bei Appetitlosigkeit bei einer bestehenden | |
Aidserkrankung und gelegentlich auch bei chronischen Schmerzen. Es wird | |
aber auch viele Patienten geben, denen es nicht hilft. Wir dürfen Cannabis | |
nicht zu einer Substanz erklären, die Probleme in der Medizin lösen hilft, | |
die wir bisher nicht lösen konnten. Cannabis ist eine zusätzliche Option | |
für einige Patienten, um ihre Symptome zu lindern. | |
Herr Cremer-Schaeffer, haben Sie selbst mal gekifft? | |
Nein. Aber ich habe als Arzt auch Hunderte Menschen mit Morphium behandelt, | |
ohne dass es an mir bisher angewendet wurde. Man kann über Cannabis eine | |
Meinung entwickeln, ohne es selbst konsumiert zu haben. | |
25 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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