# taz.de -- Bremer Cannabis-Aktivist: Der Gratwanderer | |
> Aktivist Hubey kämpft für die Legalisierung von Cannabis. In Bremen | |
> betreibt er einen Versand für ambitionierte Hobbygärtner. | |
Bild: Wurde durch eine Razzia in seinem Versandhandel politisiert: Hubey. | |
BREMEN taz | Hubey rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Er ist unruhig. | |
Angespannt, als würde er gleich dazwischengrätschen wollen, was er sich | |
aber dann doch verbietet. Hubey nennt sich der Mann im Netz, der eigentlich | |
Beypinar-Ehlerding heißt. Er ist ein Bremer Versandhändler, der sich | |
durchaus mit einiger Virtuosität auf der Schwelle zur Illegalität bewegt. | |
Und diese Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss kann dafür sorgen, dass | |
sich die Schwelle verschiebt – etwas, oder um sehr viel. | |
Sehr viel, das fände der Mann, der sich Hubey nennt, zweifellos am besten: | |
Bremen plant die Cannabis-Legalisierung. Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün | |
steht sie als Ziel. Bürgermeister Carsten Sieling hat damit bundesweit | |
Schlagzeilen gemacht, dass er sich als erster Regierungschef eines | |
Bundeslandes dafür ausgesprochen hat, den kontrollierten Haschisch-Verkauf | |
einzuführen. Aber ob allgemein oder nur als Medikament, das ist die Frage, | |
die von den Deputierten für Gesundheit und Verbraucherschutz noch abzuwägen | |
ist. Und jetzt reden die alle nur über Patienten und Psychosen. | |
„Die Konsumenten ohne Probleme werden gar nicht thematisiert!“, echauffiert | |
sich Hubey in der Hearing-Pause. Schnell bildet sich ein Grüppchen um den | |
großen Mann mit der schwarzen Schirmmütze, bestehend aus einer weißhaarigen | |
Frau und zwei Schuljungen. Die Jungen sind wie Hubey Mitglieder im | |
Hanfverband und machen ein Schulprojekt zur Cannabis-Legalisierung in | |
Bremen. Sie wollen von Hubey wissen, wie viel die derzeitigen | |
Strafverfahren gegen Cannabis-Konsumenten insgesamt kosten, und wirken | |
erleichtert, dass wenigstens einer nicht über Psychosen und schwere | |
Suchtstörungen redet, sondern über Cannabis als Heil- und Genussmittel. | |
Hubey hat keine Rastalocken. Er trägt ein violettes Hemd, darüber ein | |
schwarzes Jackett, der grau-weiße Bart und die Haare sind akribisch | |
rasiert. Bei näherem Hinsehen erkennt man einen breiten goldenen Schmuck an | |
seinem rechtem Ohr und durchsichtige Hörgeräte. Die trägt er, weil er | |
früher zu laut Musik gehört hat. | |
Wenn Hubey sich unter die geladenen ExpertInnen mischt, wirkt er souverän. | |
Cannabis ist sein Thema. Da lässt er sich nix erzählen, auch wenn er seine | |
Erfahrungen und sein Wissen nicht von der Uni hat. Den Kampf für die | |
Legalisierung führt er auf der Straße, gewaltfrei, auf Demos wie der | |
Hanfparade oder dem Global Marijuana March, den er in Bremen seit vier | |
Jahren allein organisiert. | |
Hoffen auf das kleine Bundesland | |
Dieses Jahr hofft er auf besonders viel Publikum. Die Demo könnte sogar die | |
größte in Deutschland werden, denn seit der Bremer Bürgermeister | |
angekündigt hat, die Legalisierung voranzutreiben, hoffen viele | |
LegalisiererInnen auf das kleine Bundesland. In Bremen könnte zum ersten | |
Mal in Deutschland an einigen staatlichen Stellen Cannabis an Erwachsene | |
verkauft werden – wenn alles klappt. | |
Viele Versuche sind bisher gescheitert, der letzte war ein Volksbegehren | |
zur Legalisierung von Cannabis in Bayern. Das bayerische Verfassungsgericht | |
hat das abgelehnt mit der Begründung, dass eine Legalisierung nicht mit dem | |
Bundesrecht vereinbar sei. Das war im Januar. | |
In Berlin hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ein Jahr lang | |
versucht, eine Ausnahmeerlaubnis für den Verkauf von Cannabis zu bekommen. | |
Dafür hat es einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
Medizinprodukte gestellt. Es bestehe ein öffentliches Interesse am Ende des | |
Verbots, argumentierte das Bezirksamt. Es gehe darum, die | |
Drogenkriminalität in den Griff zu bekommen. Das Bundesinstitut lehnte den | |
Antrag ab und verwies – wie das bayerische Verfassungsgericht – auf das | |
Bundesrecht. Nur dort, genauer im Betäubungsmittelschutzgesetz, könne die | |
Legalisierung von Cannabis erreicht werden – durch eine Gesetzesänderung. | |
Hubey hält das derzeit nicht für realistisch: „Es gibt zwar viel | |
Aktivismus, aber die Regierung blockiert die Legalisierung“, sagt Hubey. | |
Dennoch lässt er sich nicht entmutigen. Wenn die Legalisierung in Bremen | |
erst einmal auf dem Weg ist, will er „der Mann aus der Praxis“ sein und dem | |
Senat mit Rat und Tat zur Seite stehen – so wie seinem Freund Andreas | |
Müller, einem prominenten Befürworter der Legalisierung und Redner auf dem | |
diesjährigen Global Marijuana March in Bremen. | |
Der Jugendrichter | |
Müller, Jugendrichter in Bernau bei Berlin, hat vor zehn Jahren ein | |
Normenkontrollverfahren gegen das Cannabis-Verbot vor dem | |
Bundesverfassungsgericht angestrengt. Er ist überzeugt, dass eine | |
Initiative im Bundesrat den Anstoß für eine Gesetzesänderung geben kann. | |
Auf der ExpertInnenanhörung sitzt der Jugendrichter auf der langen | |
Expertenbank und wettert in die U-förmige Sitzanordnung der | |
Bürgerschaftsabgeordneten. Er kritisiert die Strafverfolgung von | |
Jugendlichen, die ihm vor der Anhörung gestehen, dass sie kiffen. Bei ihm | |
fühlten sie sich aufgehoben, weil sie wüssten, dass er für die | |
Legalisierung eintritt, sagt der Jugendrichter. „Wir brauchen Offenheit im | |
Umgang mit diesem Thema, um früher Prävention zu schaffen“, sagt Müller mit | |
dröhnender Stimme. Die Bürgerschaftsabgeordneten sind mucksmäuschenstill. | |
Jugendschutz ist auch ein Anliegen von Hubey. „Ich bin Ausbilder, habe 2 | |
Kinder, mache Sport und ich kiffe. Na und?!!“ steht auf seinem | |
Facebook-Profil. Als Jugendlicher hätte er einer von denen sein können, die | |
vor Jugendrichter Müller auf der Anklagebank sitzen. Mit elf Jahren rauchte | |
er heimlich das erste Mal das Haschisch seines Vaters, ein paar Jahre | |
später trennten sich seine Eltern. Hubey zog mit seinem türkischstämmigen | |
Vater nach Istanbul. Es ist Ende der 70er, das türkische Militär hat gerade | |
erst geputscht. Der Alltag in der türkischen Metropole wird beherrscht von | |
Repression – sogar Kinder verschwinden, wenn sie sich regimekritisch | |
äußern. | |
Zu Beginn spricht Hubey kein Türkisch und nach zwei Jahren hat er immer | |
noch keine Klasse abgeschlossen. Deshalb geht er zurück nach Bremen und | |
zieht zu seiner Mutter. Doch bald überwirft er sich mit ihr und landet | |
schließlich mit 16 Jahren in einer betreuten Jugendeinrichtung. Dort kifft | |
er jeden Tag und schmeißt die Schule. Die Tage vertreibt er sich mit | |
Taekwondo, Boxen und mit seiner Gang „Die Sippe“. | |
Heute vertreibt Hubey Cannabis-Zubehör: Er ist Leiter des Onlineversandes | |
und Franchise-Unternehmens Udopea. Vier Shops in Deutschland verkaufen | |
seine Ware, einer am Bremer Sielwall, den er über 20 Jahre selbst geleitet | |
hat. Jetzt arbeitet er nur noch in seinem Büro, das in einem Gewerbegebiet | |
liegt. Hier lagert Ware in vielen gelben Kästen: zahllose kleine Artikel | |
wie Blättchen, Feuerzeuge, Pfeifchen, Pfeifenbürsten und falsche Penisse. | |
Es riecht süßlich. | |
In einem großen, kühlen Lager, das direkt an das Shisha-Bedarf-Lager von | |
Hubeys Bruder angrenzt, stehen Artikel für die Großzucht: Lüftungs- und | |
Bewässerungsanlagen, Schläuche, solche Dinge. Sie hätten „viele kleine | |
Kunden, die interessiert Pflanzen züchten“, sagt Hubey. Dass seine Kunden | |
Marihuana-Pflanzen ziehen, dürfe er nicht sagen. Damit verstoße er gegen | |
das Gesetz. | |
Offiziell versorgt Hubey darum „HobbygärtnerInnen und Menschen mit | |
ausgefallenen Rauchgewohnheiten“. Wenn ihn jemand nach Cannabis fragt, muss | |
er das Verkaufsgespräch abbrechen. Genauso muss er sein politisches | |
Engagement klar vom Geschäft trennen. Diese Gratwanderung schafft er | |
scheinbar mühelos. Er spricht so offen über viele Tabus, dass man eine | |
Vorahnung von einer Gesellschaft mit legal verfügbarem Cannabis bekommt. | |
In Hubeys Erzählungen klingt es so, als seien die Bremer Behörden in den | |
80ern und 90ern der Tolerierung des Cannabis-Konsums schon viel näher | |
gekommen als heute. „Überall wurde gekifft“, sagt er. In den Headshops hing | |
der schwere Cannabis-Rauch und unter der Theke wurde gedealt. Eher pro | |
forma führte die Polizei Razzien durch. Strafverfahren wären nur selten | |
eröffnet worden, sagt Hubey, der selbst in Walle 1989 die „Blubberdiele“ | |
betrieben hatte. Zwei Jahre später lernte er seinen heutigen | |
Geschäftspartner „Ede“ kennen, der ihm 1991 den Shop am Steintor überlie�… | |
Großrazzia im Growshop | |
„Erst seit 2012 ist die Verfolgung in Bremen massiv geworden“, sagt Hubey. | |
Der deutsche Hanfverband erklärt die Verschärfung mit dem Versuch der | |
Polizei, GroßproduzentInnen zu erwischen. Möglicherweise im Zuge dieser | |
Strategie führte die Polizei im Jahr 2014 in Hubeys Growshop am Steintor | |
eine Großrazzia durch und beschlagnahmte Kundendaten. Kurz darauf | |
durchsuchte sie Wohnungen und sammelte Material für Strafverfahren gegen | |
Hubeys KundInnen. | |
Der Einsatz sei ein unrechtmäßiger Eingriff in den Datenschutz gewesen, | |
findet Hubey. Um ein oder zwei Großproduzenten zu schnappen, hätten die | |
Bremer Justizbehörden Daten von mehr als 20.000 KundInnen beschlagnahmt. | |
Das war der Moment, in dem er politisch aktiv wurde. Bei der Hanfparade | |
2014 in Berlin enterte er das Rednerpult. | |
Hubey ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, er wohnt draußen im | |
Wald bei Vahrenhorst. Derzeit kifft er fast jeden Tag, pur durch die Pfeife | |
am liebsten, aber eigentlich nur am Abend. Vor der Arbeit, nein, das sei | |
nicht seins. | |
Seine Ehefrau kifft nicht und seine Kinder auch nicht, sagt Hubey. Und ein | |
wenig scheint er das zu bedauern. | |
12 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Eva Przybyla | |
## TAGS | |
Bremen | |
Cannabis | |
Legalisierung Marihuana | |
Kiffen | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Kiffen | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Cannabis | |
Cannabis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hanfdemo in Bremen: So seh'n Sieger aus | |
Der Bremer Ableger des „Global Marijuana March“ findet gut gelaunt und mit | |
prominenten Gästen am Hot Spot der Legalisierungsdebatte statt | |
Entschärfte Prohibition: Bremen entspannt sich | |
Bremens Drogenpolitik soll gelockert werden, beschließt die Bürgerschaft. | |
Der Hanfverband ist entzückt, die CDU hingegen eher weniger. | |
Stressfreier kiffen in Bremen: Weniger Verfolgung wagen | |
In Bremen unternimmt die rot-grüne Regierungskoalition einen Vorstoß für | |
die kontrollierte Abgabe von Cannabis und weniger Repression für Kiffer. | |
Debatte um Cannabis-Legalisierung: Volle Dröhnung | |
Kiffen hilft dabei, Bezüge zu entdecken und den richtigen Ton zu treffen. | |
Beim Noch-mal-Drüberlesen setzt dann die Ernüchterung ein. | |
Legalisierung von Cannabis: „Ein Verbot vergrößert Risiken“ | |
Der Kriminologe Henning Schmidt-Semisch erklärt, warum die | |
Drogen-Prohibition gescheitert ist und warum Verbote die Gefahr von | |
Rauschmitteln erhöhen. | |
Bremer Haschisch-Politik: Lieber nur als Medizin | |
Bei einer Expertenanhörung zum Umgang mit Cannabis überwiegen zunächst im | |
Haus der Bügerschaft die kritischen Stimmen. | |
Diskussion über Cannabislegalisierung: „Eine recht ungefährliche Substanz“ | |
Die Debatte über Hanfkonsum ist zu ideologisch, kritisiert der Leiter der | |
Bundesopiumstelle, Peter Cremer-Schaeffer. Für eine Legalisierung ist er | |
aber nicht. | |
Legalisierung von Cannabis in Uruguay: Der Staat kann endlich Dealer werden | |
Nun also doch: Die letzte Hürde für den staatlich kontrollierten Verkauf | |
von Marihuana in Uruguay ist genommen. |