# taz.de -- Schlagloch Arbeit 4.0: Rente für die Überflüssigen | |
> Die Automatisierung vernichtet Arbeitsplätze. Wer profitiert tatsächlich | |
> von der vierten technischen Revolution? | |
Bild: Der Mensch würde hier nur stören: Porschewerk in Leipzig. | |
Das selbstfahrende Auto ist keine Utopie mehr: „In zwei Jahren ist es so | |
weit“, verkündete Tesla-Chef Musk dieser Tage auf der Consumer Electronic | |
Show in Las Vegas, dem Mekka der Mobilitäts- und Elektronik-Freaks. Aber | |
die Roboter auf Rädern sind nur die vergleichsweise harmlose Speerspitze | |
dessen, was auf uns zurollt: „Der Unterschied zwischen Mensch und Computer | |
wird in Kürze aufgehoben sein“, weiß Thimoteus Höttges, der neue | |
Vorstandsvorsitzende der Telekom. Und: „Die Frage, ob wir das wollen, | |
stellt sich nicht“, so vertraute er dem Zeit-Chefredakteur an: „das kommt | |
einfach.“ | |
Er jedenfalls freut sich schon, weil ihm zu Hause bald schon „Pepper“, der | |
Haushaltsroboter der Firma Softbank, sagen wird, wo er seine Brille liegen | |
gelassen hat, oder ihn fragt: Warum bist du so mies drauf heute morgen? – | |
„vom Algorithmus her überhaupt kein Problem“ – und ihm dann sein | |
Lieblingslied singt. | |
Was sich derzeit mit dem Schlagwort Industrie 4.0 oder „Internet der Dinge“ | |
ankündigt, visiert den logischen Endpunkt der neuzeitlichen Technik an. | |
Werkstücke, die ihren Weg durch die Produktion selbsttätig steuern; | |
logistische Netze, die vom Lager bis zur Lieferantendrohne fast ohne | |
Menschen auskommen; Kühlschränke, die nachbestellen, wenn die Butter zur | |
Neige geht; Erntemaschinen, die ohne Fahrer Quadratkilometer große Felder | |
bearbeiten; Autos, die mit sanfter Stimme schnurren, welches Schnäppchen | |
mich in der nächstgelegenen Straße erfreuen könnte; | |
Textproduktionsalgorithmen, die Sportreportagen oder Anwaltstexte schreiben | |
– all das ist teils in Entwicklung, teils durchdringt es schon heute | |
unseren Alltag. | |
Die technische Abschaffung von Arbeit, Anstrengung und Unerwartetem werde | |
die Welt „sicher machen für kleine dicke Männer“ – spottete vor langer … | |
George Orwell. Aber solche Kulturkritik ist heute ebenso antiquiert und | |
wirkungslos wie Hannah Arendts Horror vor einer Gesellschaft, in der | |
„Arbeit und die in ihr erreichbare Lebenserfahrung zunehmend aus dem | |
menschlichen Erfahrungsbereich ausgeschaltet wird“, Homo sapiens nur noch | |
Gleitmittel in einem geschlossenen System von automatisierter Produktion | |
und permanenter Konsumstimulation sei und zu einer Tiergattung regrediere. | |
Kulturkritik kapituliert, wenn Thimoteus Höttges den „Faust“ interpretiert: | |
„Stillstand ist das Schlimmste“, habe uns Goethe darin sagen wollen. Nun | |
ja, was soll man da noch sagen: Das kommt eben einfach. | |
Aber lassen wir die elitären Reflexionen über Kulturschwund beiseite und | |
wenden wir uns dem Problem zu, das auch die technologisch Visionärsten | |
nicht verleugnen: der kommenden Arbeitslosigkeit. Für die USA hat der | |
MIT-Ökonom Andrew McAfee in seinem einflussreichen Buch über die „vierte | |
ttechnologische Revolution“ geschätzt, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts | |
bis zu 50 Prozent der Arbeitsplätze durch das Vordringen der „künstlichen | |
Intelligenz“ wegrationalisiert werden könnten. | |
## Glaube schwankt | |
Für Deutschland beginnen die Schätzungen bei 12 Prozent. Und angesichts des | |
Vordringens der Algorithmen auch in die Dienstleistungs- und | |
Gesundheitsindustrien beginnt der liberaltechnokratische Glaube zu wanken, | |
jeder Technologieschub werde auch neue Jobs mit sich bringen. | |
Um „den sozialen Frieden zu erhalten und Konsumenten in die Lage zu | |
versetzen, Produkte zu kaufen“, werde über kurz oder lang das | |
„bedingungslose Grundeinkommen“ kommen, glaubt Höttges. Und auch der zum | |
Zukunftsguru avancierte McAfee plädiert für dessen Einführung. | |
Kein Grund zu linker Freude: Den Leistungseliten, die seinen Vorträgen | |
lauschen, nimmt McAfee die Angst vor „Sozialistischem“ mit | |
Power-Point-Porträts der Ultraliberalen Hayek und Friedman: sie, nicht Marx | |
oder Lenin seien die Vordenker eines arbeitslosen Einkommens. Und das | |
ergibt auch Sinn: denn unter den Bedingungen des globalen | |
Konkurrenzkapitalismus ist eine Überflüssigen-Rente die billigste Lösung | |
für die technologische Arbeitslosigkeit – und die einzige, die alles lässt, | |
wie es ist. | |
Die Klassiker des Sozialismus, aber auch John Maynard Keynes versprachen | |
sich von der Vollautomatisierung der Produktion etwas anderes: | |
Zeitwohlstand für Kultur, Spiel, Selbstbetätigung, Muße und die Beteiligung | |
an der Politik, kurz: die allseitige Entfaltung der menschlichen | |
Fähigkeiten – aller Menschen. So etwas klingt altbacken und abwegig in | |
einer Zeit, in der in Europa einerseits der Kampf um den Achtstundentag | |
wieder aktuell wird, andererseits Millionen von jungen Menschen ohne | |
Arbeit, ohne Bildung, ohne Zukunft bleiben. | |
## Spaltung der Gesellschaft | |
Ein allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sieg des | |
Kapitalismus über das humanistische Versprechen der Aufklärung endgültig | |
besiegeln und die hochtechnisierten Gesellschaft auf Dauer spalten: in eine | |
produktive, hochtechnisierten Kernbelegschaft mit Premium-Konsum und eine | |
mit Rationen zum physischen Überleben versehene und im Übrigen mit | |
virtuellen Genüssen und Gadgets stillgestellte Unterschicht ohne Ansprüche, | |
Qualifikation oder Perspektiven. | |
Ein Jahrhundert lang hat die europäische Arbeiterbewegung für die | |
allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit gekämpft und für eine | |
Bildungsrevolution, die allen Menschen die Chance gibt, zu qualifizierten | |
Lenkern einer hochtechnischen Produktion zu werden und zu mündigen Bürgern, | |
die in der Lage sind, über die Richtung des Fortschritts zu entscheiden. | |
Heute, am Vorabend einer finalen Beschleunigung dieses Fortschritts, ist | |
das keine gewerkschaftliche und auch keine sozialdemokratische Forderung | |
mehr. Im uninspirierten Grünbuch der Arbeitsministerin über „Arbeit 4.0“, | |
das in unscharf beschwichtigender Manier von „Chancen und Risiken“ der | |
vierten technologischen Revolution redet, kommt das Wort | |
Arbeitszeitverkürzung nicht vor. In den Gewerkschaften träumen ein paar | |
intellektuelle Einzelkämpfer noch davon. | |
Der Begriff „Entfremdung“ findet sich allenfalls in den Minderheitsvoten | |
von Hinterbänklern in Enquetekommissionen. Die prekären Kreativen warten | |
auf das Grundeinkommen. Zum Jubiläumsjahr sind wie immer einige | |
Marx-Biografien in Arbeit. Und Herr Höttges freut sich auf Pepper. | |
14 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Matthias Greffrath | |
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