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# taz.de -- Debatte Kreative im Kapitalismus: Sternenstaub und Volkswirtschaft
> Für die eigene Arbeit brennen. Die Kreativwirtschaft galt lange als
> neoliberale Vorzeigebranche. Doch nun formiert sich Widerstand.
Bild: Die Kreativen sollen Arbeitszeiten nicht so genau nehmen, es geht ja um S…
Wer „was mit Medien“ macht, gehört zu einer viel beachteten Erwerbsgruppe.
Lange galten Künstler als geniale Sonderlinge, die Arbeits- und
Lebenskonzepte abseits der kleinbürgerlichen Normalkultur praktizieren.
Heute sind sie zu einem Rollenvorbild geworden. Auch die Wissenschaft und
die Politik stricken an diesem Mythos mit. Das hat gute Gründe.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist der am stärksten wachsende
Wirtschaftszweig hierzulande. Sie reicht von den klassischen Künsten bis
hin zur Werbung, Architektur und Computerspielentwicklung und ist aus der
urbanen Ökonomie nicht mehr wegzudenken. In Berlin ist laut
Kulturverwaltung mindestens jedeR zehnte Erwerbstätige im Kreativ- oder
Kultursektor beschäftigt, in Hamburg sind es 8 Prozent. Den steilsten
Anstieg verzeichnet derzeit München.
Es ist offensichtlich: Je mehr Kultur, desto attraktiver wird eine Stadt im
globalen Wettbewerb der „Creative Cities“. Als zukunftsweisend gilt heute,
wer auf die Produktivität von Start-ups und den ökonomischen Sternenstaub
von Künstlern setzt. Folgerichtig hört und liest man in vielen Analysen,
dass Künstler und Kreative Vorreiter einer neuen Arbeitswelt seien.
Allerdings herrscht keine Einigkeit darüber, worin diese Vorreiterfunktion
genau besteht. Vielmehr steht hinter den Debatten ein Streit über die Frage
nach dem Subjektideal unserer Zeit.
Dieser Streit kreist um den Dualismus vom Künstler als antikapitalistischem
Ausnahmesubjekt versus den Unternehmer als kapitalistischen Erneuerer.
Spätestens seit der Zeitdiagnose der französischen
SozialwissenschaftlerInnen Luc Boltanski und Ève Chiapello, „Der neue Geist
des Kapitalismus”, scheint unter KapitalismuskritikerInnen festzustehen,
dass die von Boltanski/Chiapello identifizierte „Künstlerkritik” dem
neoliberalen Projekt zur vollständigen Blüte verholfen hat. Diese von
KulturproduzentInnen traditionell geübte Kritik an der kalten und
fremdbestimmten Welt des Industriekapitalismus ist seit den 1980er Jahren
aber in eine schwere Krise geraten.
## Flexibilität als Inspiration
Im Ergebnis wurden die Grundlagen der Künstlerkritik – Autonomie,
Authentizität und die Emanzipation von der bürgerlichen Berufsmoral – zum
kapitalistischen Anforderungsprogramm: JedeR soll heute für die eigene
Arbeit brennen, Arbeitszeiten nicht so genau nehmen, Geld nicht ganz so
wichtig, Selbstverwirklichung dafür umso wichtiger. Diesem kreativen
Imperativ haben Kulturschaffende zum Durchbruch verholfen. Eingeschleppt im
Zuge der 1968er Bewegung, ist er heute bis in die letzte Pore der
Gesellschaft vorgedrungen.
JedeR will und soll kreativ sein, so beschreibt es der Kultursoziologe
Andreas Reckwitz. Da sich Kulturarbeitende nach dieser Logik freiwillig auf
unsichere Arbeitsverhältnisse einließen und zudem ihre Interessen nicht
organisierten, machten sie prekäre Arbeit gesellschaftsfähig. Denn
Selbstverwirklichung sei zu einer Herrschaftsideologie geworden.
Anscheinend sind die genialen Sonderlinge von einst ideologisch vereinnahmt
worden, ohne es zu merken. Schlimmer noch: Indem sie sich neuen kulturellen
sowie ökonomischen Imperativen unterwerfen, tragen sie, so die weit
verbreitete Annahme, zum kulturellen Erfolg des flexiblen Kapitalismus bei.
Neben dieser Gesellschaftskritik existiert ein ebenso populärer
wirtschaftswissenschaftlich inspirierter Blick auf das Verhältnis von
KulturproduzentInnen und Kapitalismus. Darin werden Kreative als
gesellschaftliche Hoffnungsträger für eine moderne Wissensökonomie
beansprucht. Mit ihren flexiblen Arbeitsverhältnissen inspirieren sie
moderne Arbeitsformen und innovative Geschäftsmodelle. Pate dieser Idee ist
der US-amerikanische Ökonom Richard Florida mit seinem im Jahr 2002
erschienenen Buch „The Rise of the Creative Class“. In diesem Horizont gilt
die Kultur- und Kreativwirtschaft als ein dynamisches
wirtschaftspolitisches Feld.
In Deutschland wird das Argument der „Creative Class“ herangezogen, um die
volkswirtschaftliche Produktivität der zu kreativen Unternehmern erklärten
Kulturschaffenden hervorzuheben. Passend dazu wird in den regelmäßig
erscheinenden Kulturwirtschaftsberichten seit den 1990er Jahren immer
wieder betont, dass ökonomische und kulturelle Wertschöpfung miteinander
korrespondierten. Eine lebendige Kulturszene ist zum Standortvorteil
geworden. In dieser Sichtweise artikuliert sich ein Paradigmenwechsel:
Galten Künstler bis in die 1980er Jahre als sozialpolitisch schützenswerte
Sozialbürger, so werden Kreative heute als „Kulturunternehmer“ angerufen,
die für eine wirtschaftliche und kulturelle Erneuerung des Gemeinwesens
sorgen (sollen).
## Neue Künstlerkritik
Gegen das Etikett „Kreativunternehmer“ regt sich allerdings einiger
Widerspruch. In Zeiten steigender Preise, der Wohn- und
Arbeitsraumverknappung lässt sich in der freien Kunst- und Kulturszene ein
Politisierungsschub beobachten. Bei der neu artikulierten Künstlerkritik
handelt es sich nicht um Einzelstimmen. Hier sprechen kollektiv
organisierte AkteurInnen, die frustriert sind durch die sich verschärfenden
ökonomischen Rahmenbedingungen – und verärgert über die Inszenierung von
Kultur als Stadtmarketinginstrument. Ihr programmatischer Konsens ist, sich
gegen die Inszenierung als Creative Class zu sperren. „Kreativwirtschaft“
ist für viele eher ein wirklichkeitsfremdes, die prekären Arbeits- und
Sozialverhältnisse der Mehrheit beschönigendes Etikett – oder der Begriff
steht für sie gar für einen verfälschenden Diskurs.
Bereits im Jahr 2008 widersetzte sich in Hamburg die Initiative „Not in our
Name, Marke Hamburg“ einer stadtpolitischen Vereinnahmung von
Kulturschaffenden als Imagefaktor. Auch in Berlin gibt es eine neue
Künstlerkritik. Auslöser war die Kunstausstellung „Based in Berlin“ (2010…
Sie war im Auftrag der Berliner Kulturverwaltung als „Leistungsschau“ von
in Berlin ansässigen Emerging Artists konzipiert. Die soziale Empörung
darüber schlug hohe Wellen. Zahlreiche Gegenveranstaltungen wurden
initiiert, unter anderem von der Kunsthochschule Weißensee. Im Dialog mit
der Berliner Kulturverwaltung diskutiert die neue Künstlerkritik
Strategien, um die freie, also nicht institutionsgebundene Kunst- und
Kreativszene Berlins zu fördern.
Auffällig ist, dass sich die künstlerkritischen Initiativen nicht
prinzipiell gegen den Markt positionieren. Zwar wird darauf beharrt, dass
die Gleichsetzung der Kunstszene mit der Kulturwirtschaft deren Auslöschung
bedeute. Trotzdem wird eine volkswirtschaftlich motivierte Perspektive auf
künstlerisch-kreative Arbeit nicht kategorisch abgelehnt. Vielmehr nutzen
die Initiativen die diskursive Wende und nehmen die Idee der „Creative
City“ in die Pflicht. Die Forderungen zielen nicht darauf ab, Künstler nur
symbolisch wertzuschätzen. Im Gegenteil verwahrt man sich gegen eine
pauschale Anerkennung für nichts.
Tatsächlich bringt sich die neue Künstlerkritik als Verfechterin einer
Gesellschaftskritik in Stellung, die sich gegen eine Ökonomisierung nicht
nur der Kunst ausspricht. Die durchaus handfeste, programmatische Forderung
lautet: Umverteilung und ökonomische Anerkennung. Als interessenpolitische
Strategie bedienen sich ihre VertreterInnen unter anderem der, wie sie es
selbst nennen, Lobbyarbeit. Sie suchen den Dialog mit Parlamentariern, um
gruppenspezifische Interessen und eine Mittelerhöhung für die freie Szene
politisch durchzusetzen. Herausragende Bedeutung hatten die Bemühungen um
die sogenannte City Tax, eine Hotelbettensteuer, die seit Jahresbeginn 2014
in Berlin erhoben wird und deren Erlöse der Kulturszene zugutekommen
sollen.
## Solidarische Interessenpolitik
Nun wäre es sicher übertrieben, diesen Initiativen eine ähnliche
Durchschlagskraft zu bescheinigen, wie sie die Künstlerkritik der späten
1960er Jahre entwickelt hat. Ob deren zweifelhafter Erfolgsstory wäre ihnen
das vielleicht auch gar nicht zu wünschen. Zweifellos jedoch ist die neue
Künstlerkritik ein Versuch, sich als solidarische, interessenpolitische
Koalition zu formieren. Der Trend geht weg von einer klassischen
Interessenvertretung zu hybriden Interessenorganisationen.
Dass in Berlin jüngst politische Vereinbarungen zur ökonomischen Stärkung
der freien Kunst- und Kulturszene getroffen wurden, ist ein Erfolg der
neuen Künstlerkritik. Nicht zuletzt ist sie auch Ausdruck einer neuen,
kreativen Mitbestimmungsfantasie.
9 Mar 2016
## AUTOREN
Alexandra Manske
## TAGS
Kapitalismus
Kreativszene
Kreativwirtschaft
Arbeit
ARD
Roboter
Industrie 4.0
Schwerpunkt TTIP
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