# taz.de -- CSU-Politiker Neumeyer über Integration: „In Bayern zeigt man Ge… | |
> Kürzung der Sozialleistung als Drohung, Karten fürs Schwimmbad als | |
> Belohnung: Martin Neumeyer plädiert für einen klaren Umgang mit | |
> Flüchtlingen. | |
Bild: Ein Gebirgsschütze und zwei in Waakirchen lebende pakistanische Flüchtl… | |
taz: Herr Neumeyer, Sie kommen gerade vom arabischen Friseur gegenüber. | |
Sind Sie zufrieden mit dem Haarschnitt? | |
Martin Neumeyer: (fährt sich über den eher kahlen Kopf) Also, bei mir | |
ist‘sja eigentlich wurscht. Ich gehe wegen der Stimmung hin. Beim | |
arabischen Friseur ist es lauter, lebendiger. Für mich ist das wie | |
Kurzurlaub mit Kamm und Schere. | |
Vor sieben Jahren sind Sie durch einen „Betriebsunfall“ zu Ihrer Aufgabe | |
gekommen. | |
Stimmt. 2008 hatte die CSU die absolute Mehrheit verloren und musste mit | |
der FDP koalieren. Die FDP wollte einen Integrationsbeauftragten, andere | |
Bundesländer hatten den schon. Zuerst dachte man an einen Künstler oder | |
Schauspieler. Integration – das war noch so ein Orchideenfach. Damals ging | |
es vor allem um die Türken zweiter, dritter Generation. Kein Mensch dachte | |
da an Flucht und Asyl. Horst Seehofer brachte mich ins Spiel, weil ich | |
damals die Arbeitsgruppe „Islam und Integration“ leitete und schon | |
Erfahrung hatte mit der muslimischen Community in Bayern. Ich musste bei | |
der FDP ein Casting durchlaufen, so ein „Bayern sucht den Superintegrator“. | |
Anfangs war Ihr offener Religionsdiskurs nicht allen geheuer. Sie heißen in | |
Ihrer Partei auch „Türkenmartin“? | |
Jaja. „Teppichflieger“ und „der Kalif“ sind noch so Namen. Das stört m… | |
nicht. Ich will Brücken bauen. | |
Wie bauen Sie die denn? | |
Ich bin viel unterwegs, gerade jetzt, rede mit Kommunalpolitikern, mit | |
Studenten, Senioren, kirchlichen und muslimischen Gruppierungen, | |
Ehrenamtlichen und Mitarbeitern in Unterkünften. Ich höre genau hin, und | |
was die Menschen mir sagen, vermittle ich weiter. | |
Hat sich Ihr Status jetzt vom politisch korrekten Aushängeschild zu einem | |
Funktionsträger mit Einfluss gewandelt? | |
Ich bin immer noch Ehrenamtlicher. Aber seit Juli 2015 ist mein Büro in der | |
Staatskanzlei angesiedelt, die Regierung hat die Brisanz erkannt. | |
Jetzt bringt Bayern ein eigenes Integrationsgesetz auf den Weg. Was soll es | |
bringen? | |
Es soll Einheimischen und Migranten nutzen. Bayern nimmt richtig Geld in | |
die Hand, 3,2 Milliarden Euro. Davon sollen 1.800 Lehrerstellen geschaffen | |
werden, dazu neue Stellen für mehr Polizisten, Justizbeamte, | |
Verwaltungsbeamte. Der soziale Wohnungsbau wird unterstützt. Wir werden | |
mehr Deutsch- und Integrationskurse für Flüchtlinge anbieten, sogar schon | |
in der Erstaufnahme. Wir wollen neue Ausbildungsmöglichkeiten schaffen. | |
Allein im Freistaat planen Wirtschaft, Handwerk und Handel, bis 2019 60.000 | |
bleibeberechtigte Migranten zu beschäftigen. Aber dafür verlangen wir eben | |
auch etwas. | |
Was denn? | |
Wir denken darüber nach, Migranten einen Vertrag unterschreiben zu lassen, | |
in dem sie sich verpflichten, die deutsche Rechts- und Werteordnung | |
anzuerkennen. Demokratie, Gleichberechtigung der Frau, Rechtsstaat statt | |
religiöser Rechtsprechung – bei all diesen Punkten muss klar sein: Wir | |
machen die Vorgaben, und die sind nicht verhandelbar. | |
Haben Sie den Eindruck, dass unter den Flüchtlingen welche sind, die | |
ernsthaft verhandeln wollen? | |
Aus meinen vielen Begegnungen weiß ich, dass viele gläubige Muslime das | |
ganze Leben durch einen religiösen Filter sehen. Die Trennung von Staat und | |
Religion auch innerlich ganz zu akzeptieren fällt ihnen schwer. Für sie ist | |
oft der Punkt der Gotteslästerung schneller erreicht, das habe ich nach dem | |
Attentat auf Charlie Hebdo gehört. Wir aber haben ein Blasphemiegesetz, das | |
spät greift. Die Gleichberechtigung der Frau wird schon ein Thema werden, | |
weil sie aufgeweicht werden kann mit Begriffen wie „Gleichwertigkeit“. In | |
einem Kommuniqué des Zentralrats der Muslime stand einmal: „Wir werden uns | |
an Eure Gesetze halten, solange wir in der Diaspora sind.“ Das ist zu | |
wenig. Wir sind kein Religionsstaat. Gott sei Dank. (In dem Moment geht | |
draußen eine Frau mit Gesichtsschleier vorbei.) Sehen Sie, vor einem halben | |
Jahr hätte ich noch gesagt, ein Verbot der Verschleierung so wie in | |
Frankreich ist für uns kein Thema. Jetzt wird es wohl kommen. | |
Warum? | |
Weil Verschleierung nicht zu unserer Auffassung von Gleichberechtigung der | |
Frau passt. Aber auch, weil die Anschläge in Paris die Menschen | |
sensibilisiert haben. Solche Vermummungen wirken wie Barrieren. Das | |
erschwert das Zusammenwachsen. Wir sagen: In Bayern zeigt man Gesicht. | |
Laut Leitantrag soll auch mit Sanktionen gearbeitet werden. Wer nicht | |
Deutsch lernt, fliegt? | |
Nein. Doch es kann zu Kürzungen von Sach- oder Geldleistungen kommen, wenn | |
sich jemand dem Spracherwerb verweigert. Es ist halt so: Ohne Sprache keine | |
Chance! Wer zu uns kommt, muss signalisieren, dass er sich mit uns | |
unterhalten will. Sonst kommt er doch in die Gesellschaft nicht rein. Und | |
beim Wollen muss man eben manchmal mit Druck nachhelfen. Meinen Sie, bei | |
uns hätten sich die Leute freiwillig Katalysatoren in die Autos bauen | |
lassen oder würden von allein ihren Müll trennen? | |
Mit Druck allein setzt man aber noch keine Integration durch. | |
Nein. Wir müssen die Menschen an unserem Leben teilhaben lassen. Da dürfen | |
wir nicht rein rational bleiben. Integration läuft nicht allein über Kurse | |
und Faltblätter. Viele der Migranten stammen gar nicht aus Lese-, sondern | |
aus Erzählkulturen. Wir müssen die Menschen emotional erwischen, ihre | |
Anstrengung wertschätzen. | |
Wie geht das? | |
Warum nicht den erfolgreichen Abschluss eines Deutschkurses belohnen mit | |
Freikarten fürs Schwimmbad? Oder den Beitritt in einen Sportverein | |
schenken? Sich einfach mal mit einem Migranten auf einenÇay zusammensetzen | |
und ihm zeigen: Ich interessiere mich für dich! Einen Menschen einfach mal | |
in den Arm nehmen. | |
Sie haben den Leitantrag vom letzten Jahr kritisiert, der verlangte, | |
Migranten sollten auch zuhause deutsch sprechen. | |
Das war Quatsch. Wir können ja nicht Videokameras in jede Küche und jedes | |
Badezimmer montieren. Umgedreht kritisieren wir das ja auch nicht, wenn | |
deutsche Auswanderer zu Hause noch deutsch sprechen. | |
Leitkultur hin, Integrationsgesetz her, die Flüchtlinge werden auch uns | |
verändern. | |
Natürlich. Zwar sagen viele, auch in meiner Partei: Ich will mich nicht | |
verändern. Aber das wird nicht funktionieren. Schon allein dadurch, dass | |
wir mit ihnen den öffentlichen Raum teilen. Es werden deutsch-arabische | |
oder deutsch-afrikanische Ehen entstehen. Und schon hat man eine deutliche | |
Veränderung in den Familien. Zudem verändern wir die Migranten ja auch. Ich | |
war jüngst beim Rückkehrerstammtisch in Istanbul, da gehen die | |
„Deutschländer“ hin, die Türken, die hier gelebt haben. Die sagen: Uns | |
fehlen jetzt die Christkindlmärkte. Der Weihnachtsmarkt der Deutschen | |
Schule in Istanbul war voll. Da gehen viele Türken hin, um Christstollen zu | |
essen. | |
Sie reden gerne unverblümt. Vor zwei Jahren haben Sie in einem Bierzelt | |
gesagt: An den Fußball-WM-Stadien in Katar klebt das Blut syrischer Kinder. | |
Ja, da war‘smucksmeiserlstill im Zelt. Aber schauen Sie: Katarische | |
Unternehmen unterstützen mit großer Wahrscheinlichkeit und von ihrer | |
Regierung gebilligt die IS-Truppen in Syrien. Und wir schauen uns dann in | |
der Weihnachtszeit, so locker vom Hocker, von hier aus das Fußballspiel an | |
oder fliegen sogar noch hin, als ob nix ist? Pardon, da ist mir zum Kotzen. | |
So was wollen die Leute nicht hören. | |
Muss aber sein. Auch den Wahnsinn mit den klimatisierten Stadien. Da reden | |
wir von Klimaschutz und CO2-Ausstoß, und dann so was! | |
Herr Neumeyer, jetzt reden Sie daher wie ein Linker! | |
Nein, wie ein Realist! | |
Sind Sie eigentlich für eine Obergrenze? | |
Wir müssen über eine reden. Jedes Land hat eine gewisse Aufnahmefähigkeit. | |
Es geht nicht um den guten Willen. Die Flüchtlinge brauchen Wohnungen, | |
Kita-, Schul- und Ausbildungssplätze. Dafür brauchen wir Lehrer, Ausbilder, | |
Juristen, Verwaltungsbeamte, Ehrenamtliche. Sogar Ayman Mayzek, der | |
Vorsitzende vom Zentralrat der Muslime, spricht davon, dass wir eine | |
technische Obergrenze erreicht haben. | |
30 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
margarete moulin | |
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