# taz.de -- Wenn Bauern sich ums Tierwohl sorgen: Arme Schweine | |
> Niedersachsens Landwirtschaftskammer wirbt für mehr Platz im Stall – | |
> dabei ist lange bekannt, dass naturnah gehaltene Tiere gesünder sind. Nur | |
> zahlen will dafür keiner. | |
Bild: „Stroh ist der Schlüssel zum Erfolg“ - zufriedene Schweine fressen e… | |
HANNOVER taz | Naturnah gehaltene Schweine neigen weniger zu Kannibalismus | |
als ihre auf engstem Platz konventionell gehaltenen Artgenossen. Zu dieser | |
bahnbrechenden Erkenntnis ist die Landwirtschaftskammer Niedersachsen durch | |
ein zweijähriges, vom Bundeslandwirtschaftsministerium gefördertes und | |
damit letztlich vom Steuerzahler finanziertes Projekt gekommen. | |
„Beschäftigungsmaterial, Besatzdichte und Lüftung“ seien entscheidenden | |
Faktoren dafür, dass Mastschweine wenig Stress verspürten und sich nicht | |
gegenseitig anfressen, sagt der Leiter des Fachbereichs Tierhaltung der | |
Kammer, Ludwig Diekmann. Allerdings: Neu ist das alles mitnichten. | |
In Nordrhein-Westfalen hatte die damalige grüne Landwirtschaftsministerin | |
Bärbel Höhn schon 2004 per Erlass festgelegt, dass die als hoch intelligent | |
geltenden Schweine im Stall mindestens einen Quadratmeter Platz haben | |
sollten. Außerdem wurde „Beschäftigungsmaterial“, also Spielzeug wie etwa | |
Sisal-Seile, verbindlich vorgeschrieben. Verhindert werden sollte so, dass | |
sich die Tiere wohl aus Langeweile gegenseitig die Ringelschwänze bis ins | |
Rückenmark hinauf wegfressen – tödliche Infektionen sind oft die Folge. | |
Doch Höhns wegweisender Erlass wurde schon 2005 von ihrem CDU-Nachfolger | |
Eckhard Uhlenberg kassiert. Zu bürokratisch, zu teuer seien Höhns | |
Vorschriften, befand der Christdemokrat, der selbst konventioneller | |
Landwirt ist – besonders die Regelung, dass jedes einzelne Tier 20 Sekunden | |
persönliche Zuwendung am Tag verdient habe, wurde im Wahlkampf als | |
„Kuschelerlass“ verspottet. | |
Seither hat die Ökonomisierung in der Schweinehaltung Vorfahrt. Um das | |
Anfressen zu verhindern, werden die Ringelschwänze „kupiert“, also schlicht | |
abgeschnitten. Und: Industriell gehaltene Schweine leben etwa in | |
Niedersachsen – mit rund neun Millionen Tieren Deutschlands Mastland Nummer | |
eins – auf 0,7 Quadratmetern pro „Einheit“ in drangvoller Enge. | |
Zwar müssen die Tiere „verformbares Material“ wie Holz oder Hartgummi oder | |
„Wühlmaterial“ in ihrem Stall vorfinden. Fachleute allerdings halten diese | |
„Oder“-Regelung für nicht tierfreundlich: „Stroh ist der Schlüssel zum | |
Erfolg“, sagt der Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche | |
Landwirtschaft, Ottmar Ilchmann. Zur artgerechten Schweinehaltung gehörten | |
neben „Beschäftigungsmaterial“ und Stroh auch verschiedene „Klimazonen�… | |
sagt der Landwirt: Der Schlafbereich sollte warm, ein Außenbereich kühl | |
sein. „Das wichtigste aber bleibt Stroh“, meint auch der agrarpolitische | |
Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorf. Der 62-Jährige | |
betreibt selbst einen Bio-Bauernhof: „Ich habe meinen Schweinen noch nie | |
die Schwänze abschneiden müssen.“ | |
Trotzdem ist die Einstreu in der konventionellen Landwirtschaft nicht | |
vorgesehen. Die Schweinehalter fürchten die Kosten des Ausmistens – | |
stattdessen leben die Tiere auf Spaltenböden, durch die der Kot automatisch | |
abfließt. Ostendorf sieht deshalb die großen Handelsketten in der Pflicht – | |
für bessere Haltungsbedingungen müssten Landwirte pro Schwein mehr | |
verdienen können. | |
Denn aktuell ist Schweinemast vor allem eins: ein knallhartes Geschäft. | |
Insider schätzen, dass konventionell wirtschaftende Bauern an einem | |
gemästeten Schwein oft gerade einmal fünf Euro verdienen. „Futter, Stall, | |
der Transport – das verursacht alles Kosten“, sagt auch Ludwig Diekmann von | |
der Landwirtschaftskammer dazu. „Verbraucher, die beim Discounter Fleisch | |
kaufen, haben das Recht verwirkt, die Massentierhaltung zu kritisieren“, | |
findet er. Nötig seien bessere Erlöse: Ob die nun über höhere | |
Einzelhandelspreise oder staatliche Beihilfen zu Stande kämen, sei ihm | |
„egal“, sagt Diekmann. | |
Niedersachsens Landwirtschaftsminister Meyer versucht bereits, über eine | |
„Ringelschwanzprämie“ gegenzusteuern: 16,50 Euro pro Tier erhält jeder | |
Erzeuger, der auf das Abschneiden der Ringelschwänze verzichtet. Letztlich | |
sei aber Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt gefordert – | |
schließlich hat Europa das Abschneiden der Schwänze längst untersagt: | |
Möglich wird es nur durch Ausnahmeregelungen aus Berlin. „Wir erwarten als | |
Land“, sagte Meyer der taz, „dass der Bund endlich ein Datum für das Ende | |
des Kupierens festlegt“. | |
18 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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