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# taz.de -- Pro & Contra deutsche Flüchtlingspolitik: Weiß sie, was sie tut?
> Erst pocht Merkel auf Solidarität mit Flüchtlingen, dann gibt es
> plötzlich wieder Grenzkontrollen. Ziemlich verwirrend.
Bild: Was denn nun? Mal sollen Soldaten Notunterkünfte aufbauen, mal die Poliz…
## JA!
Der Zickzack war richtig: Erst hat Kanzlerin Merkel die deutschen Grenzen
geöffnet – um sie Sonntag vorübergehend wieder zu schließen. [1][Dieses Hin
und Her] ist ehrlich. Merkel gesteht ein, dass es in der Flüchtlingsfrage
keine fertigen Lösungen gibt.
Kritiker wenden ein: Was soll das? Man wusste doch vorher, dass Deutschland
nicht alle Flüchtlinge aufnehmen kann. Aber dies unterschätzt die
symbolische Macht der Merkel-Aktionen. Der Kanzlerin ist es gelungen, den
Diskurs in Deutschland und Europa zu verschieben.
Dieser symbolische Wandel findet dreifach statt. Erstens: Indem Merkel die
Grenzen öffnete, hat Deutschland anerkannt, dass sich [2][eine humanitäre
Katastrophe] abspielt, die beispiellose Maßnahmen verlangt. Bis dahin hatte
man an der Fiktion festgehalten, die verzweifelten Syrer ließen sich
zurückdrängen.
Zweitens: Bevor Merkel die Grenzen öffnete, wurde jeder einzelne Flüchtling
als Bürde definiert. Als pro Tag 12.000 Flüchtlinge in München eintrafen,
verschoben sich die Maßstäbe. Sosehr die Bayern klagen: Die eigentliche
Nachricht ist, dass die deutsche Gesellschaft große Flüchtlingsströme
bewältigt, wenn von der Bahn bis zur Bundesregierung alle zusammenarbeiten.
Drittens: Als größtes Land musste Deutschland vorangehen, wenn es zu einem
Wandel in der europäischen Flüchtlingspolitik kommen sollte.
Trotzdem ist es richtig, die Grenzen vorübergehend wieder zu schließen.
Deutschland kann zwar viel mehr Flüchtlinge aufnehmen, als Konservative
meinen. Aber das Land wäre überfordert, wenn die Grenzen unkontrolliert
offen blieben.
Dennoch bleiben die zwei Wochen Grenzfreiheit nicht folgenlos. So hatten
viele Bundesbürger bisher kein Verständnis, dass man Milliarden an die UNO
überweisen müsste, damit sie die Flüchtlinge vor Ort im Nahen Osten
unterstützt. Doch jetzt ist vielen klar, dass die Flüchtlinge zu uns
kommen, wenn wir ihnen nicht vor Ort helfen. (Ulrike Herrmann)
## NEIN!
Angela Merkel gilt hierzulande als gute Taktikerin. Aber das ist nur
möglich, weil die Deutschen den außenpolitischen Schaden, den sie
anrichtet, nicht wahrnehmen. Das betrifft die Ukraine-Frage ebenso wie die
Eurokrise, die erst EZB-Chef Mario Draghi gegen den deutschen Starrsinn
beendete. Merkel sieht Krisen nicht kommen, und wenn sie kommen,
entscheidet sie falsch.
Das ist in der Flüchtlingskrise nicht anders. Die UN klagt seit Langem über
die Unterfinanzierung der Flüchtlingslager für Syrer im Nahen Osten.
Gehandelt hat Merkel aber erst, als die Flüchtlinge vor der deutschen
Haustür standen: [3][auf dem Bahnhof in Budapest]. Und dann unilateral
beschlossen, alle aufzunehmen.
So menschlich richtig die Entscheidung ist, war sie politisch fatal, weil
sie nicht hinreichend als Ausnahme kommuniziert wurde. Noch am Freitag
bekannte die Kanzlerin, das Asylrecht kenne keine Obergrenzen bei der
Aufnahme.
Den Syrern kann man keinen Vorwurf machen, dass sie dies als Signal
verstehen, nach Deutschland zu kommen. Vielleicht kann Deutschland
[4][500.000 von ihnen im Jahr aufnehmen], vielleicht mehr. Aber es ist
keine Lösung, sämtliche syrischen Flüchtlinge aus der Türkei, Jordanien und
dem Libanon nach Deutschland zu verlagern.
Wer das versucht, destabilisiert die sozialen Sicherungssysteme. Und er tut
den Flüchtlingen keinen Gefallen, weil es unmöglich ist, genügend Jobs für
sie zu schaffen. Wie immer debattiert Merkel aber nicht, sondern setzt auf
Beschwichtigungsparolen: „Wir schaffen das.“
Ihre Entscheidungen in der Flüchtlingsfrage sind Merkels erster großer
innenpolitischer Fehler. Wie seinerzeit Draghi in der Eurofrage hat nun
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit der Aussetzung von
Schengen sie vorerst davor bewahrt, an der Krise zu scheitern. Aber es muss
beunruhigen, dass die Kanzlerin in schweren Krisen auf Idealismus statt
Realpolitik setzt. (Martin Reeh)
14 Sep 2015
## LINKS
[1] /Plaene-der-Bundesregierung/!5231971/
[2] /NGO-Mitarbeiter-ueber-Lager-in-Ungarn/!5231948/
[3] /Fluechtlinge-am-Budapester-Bahnhof/!5229651/
[4] /!5230320/
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
Martin Reeh
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