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# taz.de -- Essay Hilfe für Flüchtlinge: Das große Geben
> Zehntausende werden in Deutschland von Helfern mit Applaus begrüßt.
> Übertriebenes Gutmenschentum? Oder die große Party der
> Völkerverständigung?
Bild: Die Kleiderkammern sind voll – was für ein großartiges Symbol
Ich bin stolz, ein … Nein, halt, man muss nicht jeden Mist mitmachen. Nicht
einmal in Zeiten, in denen es tatsächlich mal angebracht ist, ein positives
Gefühl für sein Heimatland zum Ausdruck zu bringen. Denn Zehntausende
Flüchtlinge suchen hier in diesem unserem Land Schutz, Asyl, Rettung. Ihre
Hoffnung heißt Germany, heißt Alemania. Was für eine Ehre für ein Land,
dessen Ruf vor nicht allzu langer Zeit noch ein ganz anderer war.
Entscheidend mit dazu beigetragen hat die überwältigende Hilfsbereitschaft,
die die Menschen hierzulande den Flüchtlingen entgegenbringen. Die
begeisterten wie begeisternden Empfänge für die Ankommenden an den
Bahnhöfen in München, Dortmund, Frankfurt, Hamburg oder Saalfeld sind nur
die Spitze einer Bewegung, die schon seit Wochen tut und macht, was sie nur
kann.
Es sind längst Zehntausende, die ihre Zeit, ihr Geld, Essen, Kleidung oder
eine Unterkunft in der eigenen Wohnung spenden. So viele, dass lokale
Initiativen inzwischen nur noch einen Hilferuf starten können: bitte nicht
noch mehr!
Bitte keine Hilfsdienste mehr ohne vorherige Anmeldung. Bitte keine
Kleiderspenden, denn das Boot …, ach nein, die Kleiderkammer ist voll.
Welch großartiges Symbol! Es belegt nicht nur das mittlerweile von vielen
Politikern vor sich her gemurmelte Mantra: Wir schaffen das! Nein, wir
schaffen sogar noch viel mehr.
Was aber treibt all die Engagierten an? Hört man sich unter den
freiwilligen Helfern um, erkennt man vor allem vier Motive.
Da ist zunächst das Glück, endlich etwas tun zu können. Seit Jahren liest
und sieht man die Berichte über den Krieg in Syrien, das Elend in
afrikanischen Staaten, die Dramen auf den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer.
Sie machen rat-, ja hilflos. Diese Hilflosigkeit lässt sich nun in aktive
Hilfe umwandeln. Weil es so einfach ist, den Menschen eine Flasche Wasser
in die Hand zu drücken, die nahezu unmittelbar vor der eigenen Tür stehen.
Aus den abstrakten Dramen der Nachrichtenwelt werden Menschen. Da muss man
doch, da kann man doch gar nicht anders.
Zum Zweiten ist da ein historisches Wissen. Und dabei geht es keineswegs
nur um die Nazi-Vergangenheit, sondern um die Erfahrung von Flucht und
Migration, die bei vielen in Deutschland lebenden Familien präsent ist. Mal
sind das die Erzählungen der Großeltern aus dem Zweiten Weltkrieg, mal ist
es die Erinnerung an die eigene Flucht, sei es aus dem Iran vor 25 Jahren
oder aus Syrien vor zwei Monaten.
## Wut als Antrieb
Ein dritter Antrieb ist Wut. Vor allem dort, wo – wie in Berlin – die
politisch Verantwortlichen Wochen brauchten, um endlich halbwegs adäquat zu
handeln.
Und viertens geht es um ein Statement. „Wir können denen nicht das Handeln
überlassen“ ist ein viel gehörter Satz. Gemeint sind die Nazis und ihre
„besorgten Bürger“, die gegen Asylsuchende nicht nur demonstrieren.
Mittlerweile brennt nahezu täglich irgendwo in Deutschland ein
Flüchtlingsheim. Vielen freiwilligen Helfern ist es ein Anliegen, dass der
Hass der Rechtsextremen nicht den Meinungsmainstream der Republik
dominiert. Noch ist offen, wie dieser Wettbewerb ausgeht. Doch bisher haben
die Flüchtlingshelfer Erfolg.
Das zeigt schon der zähe Wandel von Angela Merkel, die anfangs lange
schwieg, die erst nach einem wahren Shitstorm in allen Medien klare Worte
gegen die Nazis fand und die sich nun am Wochenende dazu hinreißen ließ,
die Grenze zu öffnen. Es ist kaum vorstellbar, dass die Kanzlerin, der ein
Gespür für populistische Mehrheiten nachgesagt wird, so eine Entscheidung
getroffen hätte, wenn sie nicht darauf hätte vertrauen können, dass sie
damit den Nerv der Deutschen trifft.
Tatsächlich hätte sie ja auch ganz anders entscheiden können, so wie in den
frühen 1990er Jahren. Auch damals brannten in Deutschland
Asylbewerberheime. Auch damals gab es viele Engagierte, die sich als
Nachtwachen anboten, sich an Lichterketten und Demonstrationen beteiligten.
Doch damals ist es den Flüchtlingsunterstützern nicht gelungen, politische
Mehrheiten zu gewinnen. Im Gegenteil: eine ganz Große Koalition aus CDU,
CSU, SPD und FDP beschloss 1993 die radikale Einschränkung des Grundrechts
auf Asyl.
22 Jahre später gibt es eine andere Ausgangssituation. Zum einen, weil das
Asylrecht ja bereits so sehr ausgehöhlt ist, dass eine weitere Verschärfung
kaum denkbar scheint. Zum anderen aber auch, weil das Land nicht mehr durch
die Nachwehen der Wiedervereinigung verunsichert ist, sondern – auch weil
es von der Finanzkrise in anderen EU-Staaten profitiert – wirtschaftlich
gut dasteht. Wir können es uns leisten, die Flüchtlinge mit Wohlwollen
aufzunehmen.
## „Appell zur Empathie“
Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Wirkung der sozialen Medien. Denn
Facebook und Twitter sind keineswegs nur voll mit dem braunen Müll der
Hetzer. Sie erleichtern auch enorm, die Engagierten zu vernetzen, konkrete
Bedarfslisten zu verbreiten und spontane Initiativen zu starten.
Das ist keineswegs ein auf Deutschland beschränktes Phänomen. Ada Colau,
die Bürgermeisterin von Barcelona, forderte in einem anrührenden Beitrag
auf Facebook vor anderthalb Wochen angesichts des Flüchtlingsdramas einen
„Appell zur Empathie“. Wenige Tage später hatte sich ein Netzwerk
spanischer Städte für Flüchtlingshilfe gegründet. In Island forderten
Zehntausende per Facebook die Regierung auf, mehr zu tun. In Österreich
wurden ein Autokonvoi nach Budapest organisiert. Und selbst in Ungarn gibt
es lokale Initiativen, die ganz im Gegensatz zu ihrer rechtsnationalen
Regierung Hilfsprojekte auf die Beine stellen.
Natürlich gibt es schon Nörgler, die die große Hilfsbereitschaft als
übertriebenes Gutmenschentum abtun. Es gibt Zweifler, die zu Recht fragen,
ob die Offenheit Bestand hat, wenn noch viel mehr Menschen kommen. Und es
gibt Kritiker, die den engagierten Massen vorwerfen, sie würden nur kommen,
weil es gerade schwer angesagt sei, dabei zu sein. Dass Flüchtlingshilfe
nur ein gerade schwer angesagtes Event sei, das ganz nebenbei einen
Goodfeel-Moment garantiert, einen Hauch von Sinnstiftung, die man sonst in
Yogakursen oder Shakraseminaren suchen muss.
Gut möglich, dass an all dieser Kritik etwas dran ist. Aber: ja und? Es ist
tatsächlich ein Fest der Völkerverständigung, das da gerade läuft. Und eine
Party muss man feiern, solange sie läuft. Auch wenn immer die Gefahr droht,
dass man danach mit einem heftigen Kater aufwacht.
7 Sep 2015
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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