| # taz.de -- Flüchtlinge in Ungarn: „Hast du was zu essen?“ | |
| > Am Rande der Gemeinde Röszke kümmern sich Freiwillige um die | |
| > Flüchtlingsversorgung. Die Bedingungen sind unmenschlich. | |
| Bild: Patroullierende ungarische Soldaten an der Grenze zu Serbien. | |
| Röszke taz | Jan Pinos steht auf den Schienen und lächelt. Der junge Mann | |
| aus Prag hält ein Transparent hoch, mit dem er auf Arabisch Entwarnung | |
| gibt: „Das Abnehmen der Fingerabdrücke bedeutet nicht, dass ihr aus anderen | |
| Ländern nach Ungarn zurückgeschoben werdet.“ Er habe sich mit dem besten | |
| Asylanwalt beraten, versichert er. | |
| Manche der Männer und Frauen, die sichtlich erschöpft gerade die ungarische | |
| Grenze überquert haben, bleiben stehen und radebrechen auf Englisch, um | |
| sich zu versichern, dass das stimmt. Das ist das Erste, was die Flüchtlinge | |
| in Ungarn wissen wollen. „Hast du was zu essen?“ Dann kommt die Frage nach | |
| den Fingerabdrücken. Allein am Samstag sollen laut Polizei 4.330 | |
| Flüchtlinge die Grenze überschritten haben – so viele wie noch nie an einem | |
| Tag. | |
| Das letzte Loch im ungarischen Grenzzaun klafft dort, wo die | |
| Eisenbahntrasse bei der Ortschaft Röszke die Grenze überquert. Gruppen von | |
| 10, 20, 30 Menschen kommen ohne Unterbrechung herüber. Dann setzen sie sich | |
| erschöpft hin und wollen wissen, wie es weitergeht. | |
| Von den Soldaten, die mit der Kalaschnikow über der Schulter und Spürhunden | |
| an der Leine entlang des eisernen Vorhangs patrouillieren, erfahren sie | |
| nichts. Auch die Polizisten, die hier Dienst tun, fühlen sich nicht | |
| zuständig. Information und Erstversorgung liegen in der Hand der | |
| Zivilgesellschaft. | |
| ## „Welcome!“ | |
| Eva Zahradníčková aus Brünn ist mit einer Freundin gekommen und | |
| dokumentiert die Ereignisse für ein tschechisches Magazin. In erster Linie | |
| ist sie aber Freiwillige. Sie schenkt den Eintreffenden ein freundliches | |
| Lächeln und sagt: „Welcome!“ | |
| Am Wochenende hat sie versucht, mit ein paar anderen den Müll zu entfernen, | |
| der sich entlang der Gleise angesammelt hat: Decken, Kleidungsstücke, | |
| Dosen, Milchpackungen und Brottüten. Essen und medizinische Versorgung gebe | |
| es im Auffanglager, sagt Eva Zahradníčková allen, die nach dem Weg fragen. | |
| Eine Viertelstunde die Gleise entlang. | |
| Was dort auf die Flüchtlinge wartet, gleicht einem Campingplatz auf einer | |
| Müllhalde. „Das ist wie Srebrenica“, dachte die Bosnierin Zlata Halvadži�… | |
| Sie ist vor 20 Jahren aus Srebrenica geflohen und lebt in Graz. Dort hat | |
| sie einen Lastwagen mit Obst und Konserven organisiert und nach Röszke | |
| gebracht. | |
| Dominik Peireder aus St. Pölten ist mit Bauholz, einem Zelt, 150 | |
| Schlafsäcken und ebenso vielen Isomatten gekommen. Dazu Kinderkleidung, | |
| Schuhe, Hygieneartikel. „Alles im Freundeskreis gesammelt“, sagt der | |
| Elektronik-Techniker. | |
| ## Pachtvertrag für einen Acker | |
| Mit Klaus Baumgartner aus Linz, den er seit einem Spendenaufruf für das | |
| Lager Debrecen über Facebook kennt, hat er einen Lkw gefüllt und ist dem | |
| Ruf der menschlichen Solidarität gefolgt. Bis Samstag, so erzählt er, „war | |
| hier alles illegal. Jetzt haben wir einen Pachtvertrag für den Acker eines | |
| Bauern.“ | |
| Die Zeltstadt dient als Erstversorgungszentrum. Zentrale Leitung gibt es | |
| keine. Jede Gruppe bringt sich irgendwie ein. Die Gefahr der Überversorgung | |
| besteht offenkundig nicht. Im Gegenteil: Es gibt etwas zu essen und | |
| notdürftige medizinische Versorgung. Die ungarische Caritas und der | |
| Malteserorden sind da. Aber fast alle anderen sind Freiwillige aus | |
| Nachbarländern oder selbst so weit entfernten Staaten wie England. | |
| Gruppen von Flüchtlingen sitzen auf den Bahngleisen, vor Zelten oder | |
| irgendwo im spärlichen Schatten. Dieses Lager bietet nur eine | |
| Verschnaufpause, maximal ein Nachtlager. | |
| An der Straße steht eine Gruppe von Polizisten mit Mundschutz und dirigiert | |
| eine Menschenschlange in zwei Busse. Diese bringen sie in ein Anhaltelager, | |
| das wenige Kilometer entfernt hinter Stacheldraht wartet. Maximal 36 | |
| Stunden dürfen die Flüchtlinge dort angehalten werden. | |
| ## So kann man Tiere halten | |
| „Aber es dauert oft länger“, weiß Peter Bouckaert, Emergencies Director v… | |
| Human Rights Watch. Er hat Aufnahmen vom überfüllten Lager auf seinem | |
| Smartphone. Freiwillige und Journalisten haben keinen Zutritt. „ So kann | |
| man bestenfalls Tiere halten“, urteilt Bouckaert. | |
| Vom Lager Röszke kommen die Asylsuchenden zur Migrationsbehörde, die ihnen | |
| die Fingerabdrücke abnimmt. Danach werden sie zum Budapester Keleti- | |
| Bahnhof gebracht und können dort einen Zug nach Österreich nehmen. Ungarn, | |
| so Bouckaert, „ist die schwierigste Etappe der langen Reise“. | |
| 13 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
| Tibor Racz | |
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