# taz.de -- Flüchtlinge in Serbien und Ungarn: Verzweifelt im „Dschungel“ | |
> Im serbischen Subotica sind Flüchtlinge in einer Fabrik untergebracht. | |
> Sie sind auf dem Sprung nach Ungarn. Einige wurden ausgeraubt. | |
Bild: Flüchtlinge in Subotica. | |
SUBOTICA/RÖSZKE taz | Farhad Ali aus dem syrischen Aleppo fürchtet, knapp | |
vor dem Ziel zu scheitern. Er steht auf dem Busbahnhof von Subotica und | |
überlegt mit seinen Freunden, wie es weitergehen soll. Das serbische | |
Städtchen, bekannt für seinen guten Wein, liegt knappe 30 Kilometer vor der | |
ungarischen Grenze, also der EU-Außengrenze. | |
Faris Hassan, der für den Roten Halbmond im Irak gearbeitet hat und Imod | |
Zidu, ein Jeside aus Sanjar, dessen Familie vom IS ermordet wurde, sind | |
verzweifelt. Sie waren schon knapp vor der Grenze und seien dort von | |
serbischen Polizisten ausgeraubt worden. Faris Hassan habe sein Papier | |
gezeigt, das ihm 72 Stunden Aufenthalt in Serbien gewährt. Das habe der | |
Polizist zerrissen. Geld weg, Handy weg, Papiere weg. Sie haben gehört, | |
dass man entlang der Gleise über die Grenze kommt. Aber zuletzt hätten sie | |
es bei Nacht und Regen probiert und mussten wieder umkehren. | |
Die Zeit drängt, denn am Dienstag treten in Ungarn die neuen Fremdengesetze | |
in Kraft, die illegalen Grenzübertritt zum Strafdelikt machen. Drei Jahre | |
Haft drohen all jenen, die jetzt noch zu Tausenden bei Röszke die Grenze | |
überqueren. | |
Dort, wo die Bahntrasse quert, klafft noch die letzte Lücke im 175 | |
Kilometer langen Zaun, der inzwischen unüberwindlich wirkt. Armeesoldaten | |
in Tarnuniformen patrouillieren jetzt bereits mit Spürhunden entlang des | |
Zauns. | |
## Smartphone gerettet | |
Der Englischlehrer Farhad Ali, ein junger sportlicher Mann, ist vor zwei | |
Wochen allein in Syrien aufgebrochen. Der Weg über die Türkei, Bulgarien | |
und Serbien war beschwerlich und teuer. Auch in Bulgarien sei die Polizei | |
korrupt und habe ihn ausgeraubt. Sein Smartphone und etwas Geld konnte er | |
retten. Das Smartphone ist der wichtigste Besitz eines Flüchtlings. Es | |
erlaubt den Kontakt mit der Familie, speichert Dokumente und hilft, | |
Informationen über die nächste Etappe zu bekommen. | |
Inzwischen reist Farhad mit einer Gruppe, die unterwegs zusammengefunden | |
hat. Er spricht von „meiner Familie“. Da ist eine junge Frau mit einem | |
kranken Kleinkind, ein irakischer Kurde, ein Jeside, mehrere Syrer. „Wir | |
wollen zusammenbleiben“. Deswegen ist es schon schwierig, einen Bus von | |
Subotica in den Grenzort Horgos zu bekommen. Im Bus sei immer zu wenig | |
Platz für so viele Leute. Farhid ist besorgt. Er weiß, dass die neuen | |
Gesetze kommen und dann alles noch schwieriger wird. | |
Etwas außerhalb von Subotica dient eine ehemalige Ziegelfabrik als Lager. | |
„Dzungla“, also Dschungel, nennen es die Serben. Es sind vor allem | |
Afghanen, die unter den baufälligen Gemäuern in Campingzelten hausen. Sie | |
wirken resigniert. | |
Der 34-jährige Qaisar aus Jallalabad hat auf seiner 20-tägigen Reise über | |
den Iran, die Türkei, Lesbos und Mazedonien schon 3000 Euro ausgegeben: „Am | |
schwierigsten ist es, nach Ungarn zu kommen“. Auch er weiß von den neuen | |
Gesetzen und will noch in der Nacht aufbrechen. | |
## 300 Euro für 400 Kilometer | |
Zurück in Röszke. An der ÖMV-Tankstelle an der Autobahnabfahrt geht es zu, | |
wie auf einem Autokorso. Hier drängt sich Stoßstange an Stoßstange. | |
Praktisch unter den Augen der Polizei läuft hier nach Einbruch der | |
Dunkelheit der Schleppermarkt. | |
Ein kleiner Mann in hellen Hosen brüllt herum: „Kein Auto darf leer wieder | |
wegfahren“. Er ist der Chef der lokalen Schleppermafia. Ein Regiment von | |
Fahrern (und vereinzelt auch Fahrerinnen) arbeitet für ihn. Sie müssen | |
ihren Pkw vollladen und die knapp 400 Kilometer bis Hegyeshalom an der | |
österreichischen Grenze fahren. Pro Passagier sind 300 Euro fällig. | |
Ein Fahrgeld geht an den Chauffeur, der große Rest muss an den Boss | |
abgeführt werden, erzählt István, einer der Fahrer, der bei einer Zigarette | |
gesprächig wird. Der Boss kennt alle Fahrer beim Namen. Er warnt sie, dass | |
bei den Autos die Lichter in Ordnung sein müssen. Man dürfe die | |
Aufmerksamkeit der Polizei nicht erregen. | |
In einer Nacht kann man zwei Touren schaffen. Ein gutes Einkommen für die | |
Fahrer, eine fantastische Bereicherung für den Chef. Und das Geschäft wird | |
noch besser. Als bekannt wird, dass Bayern keine Flüchtlinge mehr aus | |
Österreich hereinlasse, explodieren die Schleppertarife in Ungarn. Jetzt | |
kann die Durchquerung des Landes 1000 Euro kosten. | |
14 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
Tibor Rácz | |
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