# taz.de -- An der Grenze Österreich-Deutschland: Honeymoon auf der A8 | |
> In Salzburg schlafen Flüchtlinge in der Bahnhofs-Tiefgarage, andere | |
> machen sich zu Fuß auf der Autobahn auf zur Grenze. Reportage aus dem | |
> Chaos. | |
Bild: Ungemütlich: Flüchtlinge übernachten im Salzburger Bahnhof. | |
Salzburg/Piding taz | Das Chaos mündet am Sonntagabend in der Tiefgarage | |
des Salzburger Hauptbahnhofs. Seit vergangener Woche haben die Behörden | |
hier ein Notlager eingerichtet. Nach Mitternacht kommen hier zwar noch Züge | |
aus Wien an, aber über die Grenze, ins 150 Kilometer entfernte München, | |
geht dann kein Anschlusszug mehr. Und so strandeten die Flüchtlinge in den | |
vergangenen Nächten hier und übernachteten in der Beton-Etage unter dem | |
Bahnhofsvorplatz. Seit 17 Uhr fährt an diesem Tag überhaupt keine Bahn mehr | |
nach Deutschland. Bis fünf Uhr morgens soll die Blockade auf den Schienen | |
vorerst andauern, es wird dann sieben Uhr, bevor Züge wieder fahren. | |
Eilig belegen die Freiwilligen mit den Caritas-Westen hier Toasts mit Käse, | |
fahren Einkaufswagen voll Plastikbechern und Kaffee in die Garage. In einer | |
Nische, gegenüber vom Kassenhäuschen, verarzten sie notdürftig Menschen. Es | |
seien viele mit Verletzungen dabei, erzählt eine Helferin. Alle hier seien | |
sie überrascht worden von den deutschen Behörden. Geflüchtete steigen nun | |
zu Hunderten aus den Zügen. Es ist 20.48 Uhr. Wann sie weiterziehen ist | |
ungewiss. | |
Es herrscht ein Höllenlärm, am improvisierten Buffet verteilen die Helfer | |
Brot, Obst und Suppe, irgendwann nur noch Sandwiches. Etwa 500 Geflüchtete | |
kauern hier auf Feldbetten, kauen Weißbrot und Pflaumen, wirken angespannt. | |
Sie sind müde, aber sie sind nicht am Ziel. Kinder schreien. Stirnrunzelnd | |
werden Smartphones bedient. Die Geflüchteten wollen weiter, erklärt Gharbi | |
Hichem, ein junger tunesischstämmiger Salzburger aus dem Dolmetscherteam. | |
„Viele Geflüchtete haben ihren Fingerabdruck in Ungarn abgegeben – und | |
jetzt Angst, von Österreich wieder dorthin abgeschoben zu werden.“ | |
Einigkeit herrscht unter den Geflüchteten, dass sie das Land mit dem | |
Grenzzaun nie mehr betreten wollen. „Hungary is death.“ Ungarn ist der Tod, | |
sagt Fuad, der 49-jährige Handy-Elektroniker aus Aleppo mit Schnauzbart und | |
eindringlichem Blick, als er von der Flucht erzählt. In Ungarn habe er 200 | |
Euro gezahlt – an falsche Polizisten. Er will weiter. In Holland, hat er | |
gehört, soll es am schnellsten möglich sein, die Familie nachzuholen. Die | |
Ehefrau, drei Töchter die zur Schule gehen und ein Sohn im Studium. In | |
Deutschland dauere das doch zwei Jahre, oder? – „I don‘t know.“ | |
## Sie plagt die Ungeduld | |
Für die Durchreisenden ist am Sonntag Endstation in der Tiefgarage der | |
Mozartstadt, manche planen den nächsten Schritt. Wer sich hier als | |
Journalist einer deutschen Tageszeitung outet, wird schnell angesprochen, | |
etwa von dem einen dünnen Syrer, Anfang 20, im grünen Hemd und mit der | |
üblichen Bananentasche: Er hat Verwandtschaft in Deutschland. Wie viele | |
Plätze man denn im Auto hätte. „Das wollen‘s natürlich“, kommentiert e… | |
Freiwillige: „Geld ham‘s ja.“ | |
Auch die syrischen Jungs am Taxistand vor dem Bahnhof starren in ihre | |
Telefone, auch sie plagt die Ungeduld. „Kein Taxi will uns mitnehmen“, sagt | |
Mahmoud*, es sei zu viel Polizei an den Grenzen. Mahmoud ist gut | |
informiert. Er glaubt den Grund für die Einstellung des Zugverkehrs zu | |
kennen: „Auf al-Dschasira habe ich gesehen, dass in München am Hauptbahnhof | |
Bombenalarm war.“ Mit seinem Handy und al-Dschasira ist Mahmoud besser | |
informiert als der Journalist, der sich allein auf den Weg zum Auto macht. | |
Durch die etwas finsteren Blöcke des Salzburger Bahnhofsviertels marschiert | |
eine blonde Endvierzigerin, zwei syrische Männer im Schlepptau, hinten dran | |
trippeln zwei kleine Kinder. „Nachdem ihr ja die Grenze zugemacht habt“, | |
sagt sie, habe sie sich spontan entschlossen zu helfen. Ihre Tochter sei | |
kürzlich ausgezogen. Zum ersten Mal überlasse sie deren Zimmer nun | |
Geflüchteten: „Das ist besser, als die Decken in die Tiefgarage zu geben.“ | |
Vom Hauptbahnhof sind es nur ein paar Kilometer zur Autobahn, und von dort | |
nur ein paar Kilometer bis zur deutschen Grenze. Die Kontrollen treffen den | |
Rückreiseverkehr – in Bayern geht in dieser Woche die Schule wieder los. | |
Innenminister Thomas De Maizière hat das Schengener Abkommen auch mit dem | |
Ziel außer Kraft gesetzt, um „wieder Ordnung an der Grenze“ herzustellen. | |
Nun ziehen sich die roten Lichter eine Autoschlange in | |
Schrittgeschwindigkeit den Walser Berg hinauf. Dahinter beginnt | |
Deutschland. Es ist gegen 22 Uhr. | |
Ein Schild kündigt an: „Berlin 708 km“. Im Scheinwerferlicht der sich | |
stauenden Autos tauchen Schatten auf, die achtköpfige Familie Al Nour* aus | |
Damaskus stapft bergan. Der 55-jährige Familienvater, sauber aufgeföhnte | |
Frisur, blaue Steppjacke, seine drei Töchter, deren Schwiegersöhne und sein | |
Jüngster, 15 Jahre alt: Sie laufen schon länger, seitdem sie jemand aus | |
seinem Auto geworfen hat. Sie haben seit drei Tagen nicht geschlafen, aber | |
marschiert seien sie ohnehin viel, an der mazedonischen Grenze, durch | |
Serbien. Da schaffen sie das hier auch noch. | |
Nein, die deutsche Polizei fürchteten sie nicht, erklärt Vater Al Nour in | |
gutem Englisch. Sie hätten alle ihre Pässe dabei. Er habe dreißig Jahre als | |
Barmann im Sheraton Hotel gearbeitet, ein schönes Leben in einem schönen | |
Land, wie er erzählt. Dann habe der Krieg sein Haus zerstört. Die 1.200 | |
Euro pro Person für die letzte Schleuser-Etappe durch Ungarn und Österreich | |
seien sein letztes Geld gewesen, er deutet auf die jungen Pärchen vor sich, | |
die an der Leitplanke neben den Autos entlanglaufen: „It‘s their | |
Honeymoon.“ Das ist ihre Hochzeitsreise. Al Nour lacht kurz auf. Am | |
deutschen Nachthimmel steht der große Wagen, von der Seite wärmen die | |
Abgase eines LKWs. | |
## Planen werden gelüftet, Pässe kontrolliert | |
Dann blenden vor ihnen Leuchtwesten auf: Polizisten mit Taschenlampen | |
kommen der Großfamilie entgegen, an der Ausfahrt Bad Reichenhall haben sie, | |
BeamtInnen von Landes- und Bundespolizei, eine improvisierte Kontrollzone | |
eingerichtet – die Zollstation von früher existiert nicht mehr. Mehr | |
neugierig als forsch wird Familie Al Nourmvon den BeamtInnen empfangen. Sie | |
ist, wie es Bundespolizei-Pressesprecher Rainer Scharf ausdrückt, der erste | |
Fahndungserfolg der PolizistInnen, die seit etwa einer Stunde akribisch | |
jedes passierende Auto beäugen. Und jeden Lieferwagen mit | |
südosteuropäischem Kennzeichen herauswinken. Planen werden gelüftet, Pässe | |
kontrolliert. | |
Die KollegInnen der Landespolizei erzählen, sie seien aus der Bereitschaft | |
gerufen worden. Regulär hätten sie erst am Dienstag wieder Schicht gehabt, | |
doch es werden noch weitere Einheiten hinzugezogen – die Grenzstreifen | |
sollen in den nächsten Tagen „aufwachsen“, wie es die Zentrale in Potsdam | |
ausdrückten. | |
Mehrmals erklärt Al Nour den BeamtInnen ruhig und mit Haltung, dass er die | |
Farbe des Schleuserwagens nicht mehr wisse und wieviel sie gezahlt hätten. | |
Die Beamtin nickt, ein wenig bewundernd. Seine Kinder und Schwiegersöhne | |
stehen immer noch in der Reihe und rauchen. Der Bus, der sie abholen und in | |
die Clearingstelle Piding bringen soll, lässt auf sich warten. Neben den | |
Polizeiwagen stehen etwa zwanzig zivile Autos mit osteuropäischen | |
Kennzeichen: Es sind abgestellte Schleuserfahrzeuge. Bisher habe man nur in | |
Stichproben kontrolliert, sagt Polizeisprecher Scharf, auch in den Zügen. | |
Die neue Weisung aus dem Innenministerium ermögliche ihnen nun, alle | |
Grenzübertritte systematisch zu kontrollieren. „Mit vorerst offenem Ende.“ | |
* (Namen geändert) | |
14 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Krone | |
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