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# taz.de -- Konzentrationslager im Kolonialismus: Täler der Verzweiflung
> Gibt es eine klare Linie der Kontinuität von Windhuk über Pretoria bis
> Auschwitz? Nein, sagt der Historiker Jonas Kreienbaum.
Bild: Blick in ein für gefangene Buren von den Engländern errichtetes Konzent…
Das Konzentrationslager sei eine englische Erfindung, erklärte Adolf Hitler
im Berliner Sportpalast am 30. Januar 1940. „In einem englischen Gehirn ist
die Idee geboren worden. Wir haben nur im Lexikon nachgelesen und haben das
dann später kopiert.“ Die Lager, auf die Hitler anspielte, waren während
des Südafrikanischen Krieges (1899–1902) entstanden, mit dem Großbritannien
versuchte, die unabhängigen Burenrepubliken des Transvaal und Oranje
Freistaat ins Empire zu integrieren.
Britische Militärs hatten etwa 100 sogenannte concentration camps errichten
lassen, in denen sie über 200.000 afrikanische und burische Zivilisten
internierten. In Teilen der Kolonialgeschichtsforschung, die in den letzten
Jahren nicht zuletzt durch Entschädigungsforderungen gegenüber dem
deutschen Staat angestoßen wurde, erscheint vielmehr ein anderes koloniales
Beispiel als Vorbild für die nationalsozialistischen Lager: der Einsatz von
Konzentrationslagern in der deutschen Kolonie Südwestafrika während des
Krieges gegen Herero und Nama (1904–1908).
Die sechs sogenannten Gefangenenkraale, die auf Anweisung des
Reichskanzlers Bernhard von Bülow im „Schutzgebiet“ errichtet wurden,
ließen sich als Vorläufer von Konzentrationslagern wie Dachau oder
Buchenwald und – so manche Historiker – sogar als Vorbild für reine
Vernichtungslager wie Treblinka sehen. Aber wie viel hatten diese
kolonialen Konzentrationslager der Jahrhundertwende tatsächlich mit den
späteren NS-Lagern gemein? Gab es eine Kontinuität der Lager „von Windhuk
nach Auschwitz“, wie es der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer formuliert
hat?
Zunächst scheinen die Gemeinsamkeiten offensichtlich. In allen Fällen
handelt es sich um eigens errichtete, meist umzäunte Lager, die
zeitgenössisch allesamt als Konzentrationslager bezeichnet wurden. In den
bald überfüllten kolonialen Lagern hausten die Internierten in notdürftig
errichteten „Eingeborenenhütten“ oder alten Zelten, die häufig in mehreren
Lagen übereinandergelegt werden mussten, um einen nennenswerten Schutz zu
gewähren.
Sie litten darunter, „wie Ochsen in Stacheldrahtzaun“ bewacht zu sein, wie
sich einige Herero-Älteste beschwerten. Und sie litten unter dem Mangel an
Kleidung und Nahrung, die zeitweise nur aus Mehl und Salz bestand, und
unter der unzulänglichen medizinischen Versorgung. Krankheiten brachen aus,
die Lager wurden zu „wahren Tälern der Verzweiflung“, wie es der burische
Lagergeistliche August Daniel Lückhoff ausdrückte. Bald kam es wie später
in den NS-Lagern zum Massensterben, das in Südafrika etwa 50.000, in
Deutsch-Südwestafrika über 7.000 Leben forderte.
## Systematische Verwüstung
Aber betrachtet man den Kontext und vor allem den Zweck der verschiedenen
Lagersysteme genauer, löst sich das eindeutige Bild auf. Die kolonialen
Lager entstanden im Kontext von langwierigen Kriegen, die die
Kolonialmächte vor ernsthafte Probleme stellten. Die Buren, Nachfahren
europäischer Einwanderer seit dem 17. Jahrhundert, führten den Krieg in
Südafrika bald als Guerillas. Sie vermieden offene Schlachten mit den
überlegenen britischen Truppen, griffen stattdessen isolierte
Transportkolonnen an, um dann schnell wieder zu verschwinden.
Um den mobilen burischen Kommandos das Operieren zu erschweren, ließen die
britischen Oberbefehlshaber Lord Roberts und später Lord Kitchener gezielt
das Versorgungssystem des Gegners attackieren. Die umkämpften Gebiete
wurden systematisch verwüstet, Farmen niedergebrannt und alle Bewohner
dieser Landstriche deportiert und in die neu errichteten, bewachten
concentration camps gebracht. So sollte es den burischen Guerillas
unmöglich gemacht werden, sich bei sympathisierenden Farmern zu verstecken,
sich mit Nachschub oder Informationen zu versorgen und so letztlich dem
Widerstand die Basis entzogen werden. Die Lager waren also primär ein
militärisches Mittel zur Beendigung eines langwierigen Kolonialkrieges.
Das gilt ebenfalls für die Lager in Deutsch-Südwestafrika. Hier hatte der
deutsche Oberbefehlshaber Lothar von Trotha den im Januar 1904
ausgebrochenen Krieg gegen die Herero als Vernichtungskrieg geführt, der in
weiten Teilen der Forschung heute mit stichhaltigen Argumenten als Genozid
betrachtet wird. In Berlin war diese Kriegsführung auf Widerstand gestoßen,
unter anderem weil sie eine effektive Beendigung des Krieges nicht zu
leisten schien. Reichskanzler Bülow ordnete daher im Dezember 1904 einen
Kurswechsel an und regte in diesem Zuge auch die Errichtung von
„Konzentrationslagern für die einstweilige Unterbringung & Unterhaltung der
Reste des Herero-Volkes“ an.
Die Lager, in die nun alle gefangenen Herero und später auch Nama verbracht
wurden, sollten vor allem sicherstellen, dass die „Kriegsgefangenen“ nicht
fliehen und sich erneut den „Aufständischen“ anschließen würden. Durch d…
effektive „Sammlung“, an der sich auch die bereits seit 1829 im südlichen
Afrika tätige Rheinische Missionsgesellschaft aktiv beteiligte, und die
Internierung der Gegner in Lagern sollte also die faktische Beendigung des
Krieges erreicht werden.
Eine vergleichbare Konstellation findet sich im NS-Kontext nicht. Die
nationalsozialistischen Konzentrationslager entstanden 1933 nicht als
militärisches Mittel zur Beendigung eines Krieges, sondern als
innenpolitische Instrumente zur Bekämpfung politischer Opposition, was ein
fundamentaler Unterschied ist. Erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs im
Zuge der enormen Ausweitung und Umgestaltung des NS-Lagersystems bildete
sich eine signifikante funktionale Gemeinsamkeit zu manchen kolonialen
Lagern heraus.
Ab 1942 begann das Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS, die
Lagerhäftlinge systematisch als Zwangsarbeiter vor allem an
Rüstungsunternehmen zu vermieten. Eine vergleichbare Praxis hatte sich
knapp 40 Jahre zuvor in Südwestafrika herausgebildet. Auch hier konnten
Unternehmen – und auch Privatpersonen – internierte Herero und Nama gegen
eine Leihgebühr als Zwangsarbeiter mieten. Ab 1905 betrieben große Firmen
wie die Hamburger Reederei Woermann und die Stettiner Eisenbahnbaufirma
Lenz & Co, die in der Kolonie tätig waren, sogar eigene Lager für ihre
kriegsgefangenen Arbeiter. Diese Unternehmenslager erinnern durchaus an die
betriebsnahen Außenlager, die das nationalsozialistische KZ-System nach
1942 prägten.
## Tod durch Zwangsarbeit
Wie in den NS-Lagern verstärkte die Zwangsarbeit auch in Südwestafrika das
Sterben in den Lagern. So schrieb der deutsche Missionar Heinrich Vedder
aus Swakopmund: „Kranke findet man wenige, weil alles, was sich noch
bewegen kann, zur Arbeit getrieben wird und in der Nacht stirbt.“ Dennoch
wäre es falsch, hier von einer gezielten „Vernichtung durch Arbeit“
auszugehen. Anders als die jüdischen KZ-Häftlinge, die nur kurzzeitig von
der direkten Ermordung ausgenommen wurden, um als Zwangsarbeiter die
Kriegswirtschaft zu stärken, die aber den Krieg nie überleben sollten,
plante die deutsche Kolonialmacht die internierten Herero und Nama auch für
die Nachkriegszeit als Arbeitskräfte ein.
Das Massensterben in den kolonialen Lagern in Südafrika wie in
Südwestafrika war nicht die Folge einer gezielten Vernichtungspolitik. Die
hohen Todesraten von insgesamt wohl über 40 Prozent in den deutschen und
bis zu 25 Prozent in den britischen Lagern war die Folge von logistischen
Problemen bei der Versorgung, dem Desinteresse der verantwortlichen
Militärs an Gefangenenfragen, mangelndem Wissen über Krankheiten wie Masern
und Skorbut und dem Wunsch der Arbeitskraftausbeutung der Internierten. Im
südlichen Afrika die Erfindung des Vernichtungslagers zu wähnen verkennt
die historische Realität.
Eine Entsprechung zu Treblinka oder Belzec, deren einzige Funktion es war,
praktisch alle Ankommenden binnen weniger Stunden umzubringen, gab es im
kolonialen Kontext nicht. Mit Blick auf die fundamentalen funktionalen
Unterschiede zwischen den britischen Lagern in Südafrika und den
NS-Konzentrationslagern stellt sich die Frage, was Hitler, Himmler oder
Theodor Eicke, der als erster Leiter der Inspektion der Konzentrationslager
großen Einfluss auf die Ausgestaltung des NS-KZ-Systems ausübte, eigentlich
von den Briten hätten abschauen sollen. Hitlers Hinweis auf das schlichte
Kopieren einer englischen Idee ist nichts weiter als ein Propagandamanöver
im Zuge des Krieges gegen England.
Aber auch die deutschen Lagererfahrungen in Südwestafrika konnten kaum als
Modell dienen. Erstens überwogen auch hier, mit Ausnahme der Vermietung von
Zwangsarbeitern, die funktionalen Unterschiede eindeutig. Zweitens hatten
die deutschen Lager auf dem Boden des heutigen Namibia es anders als die
britischen kaum in die europäische Presse geschafft, und sie waren in den
1930er Jahren weitgehend vergessen. Und drittens gibt es keine Hinweise,
dass die wenigen Personen, die wie Franz Xaver Ritter von Epp persönliche
Erfahrung in Südwestafrika vorzuweisen hatten und später eine Rolle in
Nazi-Deutschland spielten, die Errichtung von Konzentrationslagern
propagierten. Epp stellte sich als Reichsstatthalter in Bayern 1933/34
vielmehr gegen die Ausweitung des von Himmler kontrollierten Lagersystems.
Nimmt man zusammen, dass ehemalige Kolonialakteure keine Rolle bei der
Gestaltung der NS-Lager spielten, die deutsche koloniale Lagererfahrung im
„Dritten Reich“ weitgehend vergessen war und sich koloniale und
nationalsozialistische Konzentrationslager in entscheidenden Punkten stark
voneinander unterschieden, erscheint eine Kontinuität der
Konzentrationslager von Afrika nach Auschwitz wenig wahrscheinlich.
16 Jul 2015
## AUTOREN
Jonas Kreienbaum
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