# taz.de -- Deutsche Kolonialverbrechen in Namibia: Rechnung noch nicht beglich… | |
> Vor hundert Jahren führte Deutschland einen Kolonialkrieg in Namibia. Die | |
> Bundesregierung weigert sich immer noch, dem Volk der Herero Reparationen | |
> zu zahlen. | |
Bild: Hereros erinnern an Kolonialverbrechen an ihrem Volk vor hundert Jahren | |
Deutsch-Südwestafrika im August 1904: Am Waterberg versammelt sich ein | |
Großteil der aufständischen Herero - vermutlich in Erwartung eines | |
Friedensangebotes der deutschen Kolonialherren. Seit Ende des 19. | |
Jahrhunderts vertreiben diese die Herero von ihrem Land, eine Politik, | |
gegen die sich die Viehzüchter nun wehren. Die kaiserliche Schutztruppe | |
kesselt die versammelten Herero ein, die aber größtenteils ausbrechen und | |
fliehen können. Zurückbleibende werden willkürlich erschossen oder in Lager | |
gepfercht, die schon damals Konzentrationslager hießen. Sie wurden für den | |
Bau von Eisenbahnlinien ausgebeutet. Historiker bewerten diese Vernichtung | |
des Herero-Volkes, den Kolonialkrieg von 1904 bis 1908, inzwischen als | |
ersten Genozid der deutschen Geschichte. | |
Namibia im August 2004 in Okakarara am Waterberg: 100 Jahre nach den | |
Gräueltaten der deutschen Kolonialtruppe bekennt sich | |
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) zu "unserer | |
historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der | |
Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben". Doch die Ministerin | |
geht noch weiter: "Die damaligen Gräueltaten waren ein Völkermord, für den | |
man heute vor Gericht verurteilt würde." Für ihre anklagende Rede erntete | |
Wieczorek-Zeul herbe Kritik der Opposition. Diese kritisierte den "teuren | |
Gefühlsausbruch" der Ministerin, der "die entscheidende Wende zu Lasten | |
Deutschlands" im Streit um Reparationszahlungen bedeuten könne. | |
Wieczorek-Zeul saß auf einem Pulverfass, die Lunte in der einen und das | |
zündende Streichholz in der anderen Hand. Der Knall war in Namibia wie in | |
Deutschland überfällig: Deutsche Regierungsvertreter umgingen stoisch das | |
Wort "Völkermord". Da war die Rede von der "besonderen historischen und | |
moralischen Verantwortung gegenüber Namibia" oder auch von "Versöhnung". | |
Dies wurde bereits im April 1989 vom Deutschen Bundestag einstimmig | |
beschlossen und auch 2004 mit einer Entschließung "Zum Gedenken an die | |
Opfer des Kolonialkrieges" bekräftigt. Doch die Auseinandersetzung mit der | |
Forderung nach Wiedergutmachung kolonialen Verbrechens blieb unangetastet. | |
Seit der Unabhängigkeit Namibias 1990 verfolgen die Herero offen | |
Reparationsforderungen. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) lehnte während | |
seines Namibia-Besuchs 1995 ein Treffen mit Herero-Vertretern kategorisch | |
ab. Drei Jahre später ließ sich Bundespräsident Roman Herzog (CDU) immerhin | |
zu der Feststellung verleiten, dass das Verhalten der Deutschen "nicht in | |
Ordnung" gewesen sei. Auf die Frage, warum sich die Bundesrepublik für ihre | |
kolonialen Verbrechen nicht entschuldige, antwortete auch der grüne | |
Außenminister Joschka Fischer im Oktober 2003 barsch, er könne "keine | |
Äußerung vornehmen, die entschädigungsrelevant wäre". | |
Schon im September 2001 reichte die Interessengemeinschaft "Herero Peoples | |
Repara$tions Corporation" unter der Führung von Kuaima Riruako in den USA | |
Klagen gegen die Bundesregierung und deutsche Unternehmen ein und forderten | |
drei Milliarden Euro als Entschädigung. Ende 2004 aber wiesen die | |
US-Gerichte die Klagen ab, doch die Forderung der Herero nach Entschädigung | |
besteht weiter. | |
Herero-Chef Riruako fordert direkte Verhandlungen zwischen der deutschen | |
Bundesregierung und den Herero, ohne die Beteiligung der Regierung | |
Namibias. Er ist ein Hardliner der Reparationsforderung, der wo er nur kann | |
Stimmung gegen eine deutsch-namibische Annäherung macht, die außerhalb | |
seiner Vorstellung liegt. Er fordert direkte Zahlungen an die Herero. Die | |
namibische Regierung lasse Entwicklungsgelder nämlich nur dem Mehrheitsvolk | |
der Owambo zukommen. Riruako will das Geld aus Deutschland dafür einsetzen, | |
den sieben Prozent Herero in Namibia ihr Land von den zumeist weißen | |
Farmern zurückzukaufen. Und damit wird die Zurückhaltung der deutschen | |
Bundesregierung deutlich: Auf einmal befindet man sich mitten im | |
namibischen Landkonflikt. Wie fast überall in Afrika ist die Landfrage | |
verbunden mit Macht. Wer sie zu instrumentalisieren vermag, berührt durch | |
gegenwärtige Interessen auch leicht die Vergangenheit und stellt gute | |
bilaterale Beziehungen auf die Probe. | |
Die namibische Regierung tut sich schwer mit den Forderungen der Herero: | |
Man wolle nicht eine einzige ethnische Gruppe durch Reparationszahlungen | |
bevorzugen. Von der deutschen Entwicklungshilfe profitierten schließlich | |
alle Namibier, gleich welcher ethnischen Zugehörigkeit. Immerhin litten | |
nicht nur die Herero unter der kolonialen Gewaltherrschaft, sondern auch | |
ganz besonders Nama, Damara, Himba und die San. Damit argumentiert die | |
namibische Regierung auf der gleichen Linie wie die Bundesregierung. Hier | |
wolle man seiner "besonderen Verantwortung" dadurch gerecht werden, dass | |
man dem namibischen Staat mehr Pro-Kopf-Entwicklungshilfe zahlt als anderen | |
Ländern. Ministerin Wieczorek-Zeul ließ es sich im Mai 2005 nicht nehmen, | |
20 Millionen Euro für eine "Versöhnungsinitiative" anzubieten. Viele Herero | |
waren jedoch enttäuscht, so wurden sie von dem geplanten Geldsegen einfach | |
überrumpelt, ohne vorher nach ihren Vorstellungen gefragt zu werden. Auch | |
die namibische Regierung lehnte diese Initiative zunächst mit der | |
Begründung des erhöhten Gesprächsbedarfs im eigenen Land ab, und so kam es, | |
dass erst November 2007 das "Memorandum of Peace and Understanding" | |
unterzeichnet wurde. Nun sieht diese Initiative explizit keine | |
Reparationszahlungen vor, sondern eine "Verbesserung der Lebensbedingungen | |
in den Siedlungsgebieten derjenigen Volksgruppen, die unter der deutschen | |
Kolonialherrschaft in besonderer Weise gelitten haben", so die | |
Parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann. | |
Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich noch immer mit der Frage nach | |
Wiedergutmachung. Die Fraktion Die Linke brachte das Thema in einem Antrag | |
im Juni 2007 auf die Tagesordnung. Doch auch Initiator Hüseyin Aydin (Die | |
Linke) lehnt individuelle Reparationszahlungen ab und tritt für die | |
Förderung von Entwicklungsprojekten ein. Was während der Debatte im | |
Bundestag zu beobachten war: Es äußerte sich keines der | |
Kabinettsmitglieder. | |
Versucht die Bundesregierung, die Auseinandersetzung um eine angemessene - | |
auch materielle - Wiedergutmachung auszusitzen? Die Salamitaktik der | |
Bundesregierung macht zumindest eines deutlich: Ein Dialog auf Augenhöhe, | |
die Grundlage einer jeden Versöhnung, hat noch nicht begonnen. Die deutsche | |
Erinnerungskultur beschränkt sich auf die Gräuel des Zweiten Weltkrieges. | |
Erst langsam sickert eine Wahrnehmung für die koloniale Vergangenheit | |
Deutschlands in das kollektive Bewusstsein der Nation. Dabei zeichnen | |
unsere Städte vielerorts Spuren des deutschen Kolonialismus: Architektur, | |
Denkmäler und Straßennamen machen deutlich, das Kolonialismus nicht nur | |
dort, sondern auch hier ganz real war und es bis heute noch ist. | |
Oft sind es zivilgesellschaftliche Gruppen, die aktiv sind, das öffentliche | |
Stadtbild zu verändern. So nahmen im Jahr 1996 Eine-Welt- und | |
Solidaritätsgruppen in Bremen den Besuch des namibischen Präsidenten Nujoma | |
zum Anlass, das 1932 als "Kolonial-Ehrenmal" errichtete Monument in Gestalt | |
eines Elefanten durch eine Gedenktafel für die "Opfer der deutschen | |
Kolonialherrschaft in Namibia" umzuwidmen. Vom Kolonial- zum | |
Anti-Kolonial-Denkmal. In München wurde kürzlich eine Straße "Hererostraße" | |
benannt. In Berlin, der Kolonialmetropole des Deutschen Reiches, ist eine | |
entwicklungspolitische Organisation seit einigen Jahren um eine kritische | |
Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe bemüht. Insbesondere dort, wo | |
Kolonialmilitärs wie Adolf Lüderitz, Gustav Nachtigal (Lüderitzstraße und | |
Nachtigalplatz, beide Afrikanisches Viertel in Wedding) und Adolph Woermann | |
(Woermannkehre in Neukölln) geehrt werden. Vertreter der Parteien im | |
Berliner Abgeordnetenhaus wollen nun eine Initiative anstoßen, die auf eine | |
breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den kolonialen Spuren im | |
Stadtbild zielt. Eine Möglichkeit sei dabei, politische Bildungsarbeit an | |
Schulen zum Thema Kolonialismus und Rassismus zu fördern. Ein | |
entsprechender interfraktioneller Antrag ist jedoch nicht vor der | |
Winterpause zu erwarten. | |
Was in Deutschland erst wieder in die breite öffentliche Debatte geholt | |
werden muss, ist in Namibia regelmäßig Gegenstand politischer und | |
gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Bis heute ist das Trauma der | |
Vernichtung in der kollektiven Erinnerung der Herero lebendig, die | |
Herero-Identität kreist um das Jahr 1904. Bis jetzt standen die Herero mit | |
ihren Ansprüchen allein, doch inzwischen zieht auch eine andere Gruppe | |
nach, die unter der Verfolgung der deutschen Kolonialherren zu leiden | |
hatte: Die Nama fordern seit 2006 ebenfalls offiziell Reparationen. | |
Grundlage jeglicher Forderung ist die UN-Völkermordkonvention, die keine | |
Verjährung dieses Kapitalverbrechens vorsieht. Ein entschädigungsrelevantes | |
formal-juristisches Schuldbekenntnis wird jedoch vom deutschen | |
Außenministerium nach wie vor abgelehnt. | |
5 Jan 2008 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Rietdorf | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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