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# taz.de -- Neil Youngs Album „The Monsanto Years“: Mit Gitarre gegen Pesti…
> Mit der guten alten Gibson gegen Chemie und genetisch verändertes
> Saatgut: „The Monsanto Years“ – Neil Young und sein wütendes neues Wer…
Bild: Hände hoch in Las Vegas: Neil Young.
Es sei ein schlechter Tag, um den Kopf in den Sand zu stecken, wo so viele
Menschen Hilfe bräuchten, um ihr Land vor den Gierigen zu schützen, die es
ausplündern wollen, beklagt Neil Young im Auftaktsong „A New Day For Love“
und seine immer etwas unsicheren Leads gehen am Ende des Songs so schräg in
den Schädel wie schon lange nicht mehr.
Was zunächst noch wie eine eher unkonkrete Absichtserklärung klingt, wie
eines dieser x-beliebigen Hippiebekenntnise, die im Ungefähren wabern, nur
um weiterhin in Ruhe einen durchziehen zu können, kommt dann aber doch
richtig zur Sache: „Monnnnnn-sannnnnn-toooooooo / Let our farmers grow what
they want to grow!“
Er zieht mit seiner alten Gibson Les Paul gegen Monsanto zu Feld, gegen
jenen Chemie- und Biotechnologiekonzern also, der schon im Vietnamkrieg das
Entlaubungsmittel Agent Orange geliefert hat, das in den kontaminierten
Gebieten bis heute für erhöhte Krebsraten und Fehlbildungen bei
Neugeborenen verantwortlich gemacht wird. Young meint jedoch die aktuellen
Milliardengeschäfte mit genmodifizierten Pflanzen, die schon seit geraumer
Zeit in der Kritik stehen.
Der Konzern hält das Patent auf Glyphosat, das zurzeit wohl effektivste
Herbizid, und praktischerweise auch diverse Patente auf gentechnisch
manipulierte Pflanzen wie Mais, Soja, Raps und Baumwolle, die gegen die
Wirkung von Glyphosat resistent sind. Ein Farmer, der A sagt, muss also
auch B sagen. Und offenbar haben sich nicht nur in den USA viele Bauern für
diese teuflisch geniale Kombipackung und die dazugehörigen Knebelverträge
entschieden. Monsanto ist der absolute Weltmarktführer.
Das Problem ist, und dagegen stänkert Neil Young auf Albumlänge an, dass
die Patentgesetze in einigen Ländern den Farmern verbieten,
Ernteüberschüsse wieder auszusäen. Das Saatgut gehört Monsanto und muss
also jedes Jahr erneut beim Konzern gekauft werden. Bei Zuwiderhandlungen
hagelt es Patentrechtsklagen, die schnell mal Haus und Hof kosten.
## Üppige Schmiergelder
Zu allem Überfluss gehen Experten, etwa die Internationale Agentur für
Krebsforschung, mittlerweile davon aus, dass der Giftstoff eben doch nicht
so unbedenklich für den Menschen ist, wie jahrelang auch dank üppig
fließender Schmiergelder behauptet werden konnte, sondern „wahrscheinlich
krebserregend“.
Das sind die Rahmenbedingungen für diese flammende Anklage. Und flammend
ist sie wirklich. „From the fields of Nebraska to the banks of the Ohio /
The farmers won’t be free to grow what they want to grow / When corporate
control takes over the American farm / With fascist politicians and
chemical giants walking arm in arm“, schnaubt er bereits auf der
Vorabsingle „A Rock Star Bucks A Coffee Shop“.
Und auf dem dazugehörigen Video gibt er sich einige Mühe, ein
entsprechendes Schiefmaul zu ziehen. Endlich liegen die Dinge wieder klar,
endlich gibt es wieder ein eindeutiges Feindbild, gegen das man seine
Gitarre in Stellung bringen kann. Diese Maschine killt skrupellose
Firmenbosse. Allein die Musik will hier gar nicht so recht passen, ein
schunkelnder Shuffle, der sich auch noch in scheinheiliger Flöterei
gefällt, es hat fast den Eindruck, die bräsige Form soll die knallharte
Anklage etwas abfedern.
Neil Young, dieser unsichere Kantonist, der von sich selbst behauptet hat,
er habe „zu jeder politischen Frage mindestens zwei oder drei Meinungen“,
der auch schon mal mit dem alten Westerner Ronald Reagan sympathisierte und
der nach 9/11 allzu dienstfertig die Bush-Rhetorik vom wehrhaften Amerika
nachbetete, das nun an einem Strang zu ziehen habe gegen das Böse in der
Welt, dieser Redneck-Hippie spielt jetzt also wieder mal den
Weltverbesserer.
## Rhapsodisches Ökomärchen
Wie am Anfang seiner Karriere. Und wie zuletzt auf der Platte zum E-Mobil,
„Fork In The Road“, oder dem Konzeptalbum „Greendale“, dem rhapsodischen
Ökomärchen, in dem seine Protagonisten einem umweltzerstörenden
Energiekonzern das Handwerk legen wollen. „Save the planet for another day
/ Don’t care what the government say.“
„The Monsanto Years“ hat aber eine ganz andere Qualität. Hier herrscht das
Prinzip der Massierung. Wie bei einem heidnischen Ritual oder einer Demo
spricht er immer wieder dieselben Losungsworte. Saat ist Leben und gehört
Gott respektive Mutter Erde, also jedem – nicht Monsanto.
Der böse Firmenname wird immer wieder aufgerufen und beschworen. Dahinter
steckt eine mystische Vorstellung, gewissermaßen die
Rumpelstilzchen-Methode. Wer das Übel benennt, kann es auch bannen. Nur
darum geht es hier. Die Lyrics wirken wie auf Flugblätter gepinselt. Ein
Reim findet fast nicht statt, Metrum und Versform werden sehr frei
umspielt. Wenn die Zeile zu lang wird, geht sie eben auf der nächsten
weiter. Enjambement kann man das nicht nennen, das setzt ästhetisches
Kalkül voraus, wo es hier nur um die Botschaft geht.
## Leicht kitschig
Und die kann mal erstaunlich scharf sein, aber, wenn er sich in
nostalgischen Altherrenreminiszenzen verliert, wie in dem Titelsong, auch
schon mal beeindruckend kitschtriefend: „When you shop for your daily bread
and walk the aisles of Safeway, Safeway / Find the package to catch your
eye that makes you smile at Safeway, at Safeway / Choose a picture of an
old red barn on a field of green / With the farmer and his wife and
children to complete the scene at Safeway, at Safeway.“ Es bleibt nur noch
die Erinnerung an bessere Zeiten, wenn man ihnen nicht langsam mal das
Handwerk legt.
Young kämpft für die richtige Sache, wählt dafür aber nicht die richtigen
musikalischen Mittel. Anstatt mit seiner stets taumelnden, aber doch nicht
fallenden Grandpa-Garagen-Truppe Crazy Horse ein neues Krachwerk wie damals
„Ragged Glory“ oder in jüngster Vergangenheit „Psychedelic Pill“
einzutrümmern, richtig Dampf abzulassen und so den Parolen einen adäquaten
musikalischen Gegenwert zu geben, holt er sich Promise of the Real zu
Hilfe, die Band um Willie Nelsons Söhne Lukas und Micah, und setzt
ausgerechnet musikalisch auf Differenziertheit und Diversifikation.
Die Americana-Jungspunde versuchen sich als Rumpeltruppe, aber dafür sind
sie viel zu abgewichst. Wenn für Poncho Sampedro bei seiner Riff-Auslegware
vor allem die dichte Textur und Quadratmeter zählen, sorgen sich die beiden
Nelsons viel zu sehr um das Muster. Hier noch ein kleiner Fill, dort noch
ein Solo und da wird die Chorusmelodie gedoppelt. Das nimmt dem ganzen
Projekt ein bisschen von seiner Wirkungsmacht, zumal der Folk- und
Countryeinfluss der Band deutliche Spuren hinterlässt, verschwiemelte
Pedal-Steel-Melodien immer inklusive. Die larmoyante Folk-Elegie „Wolf
Moon“ gehört auch unmittelbar hierher.
## Too rich for jail
Ein paar Mal ziehen sie aber an einem Strang, bei „Big Box“ zum Beispiel,
dem eher resignativen Monitum gegen verbrecherische Kapitalgesellschaften
(“Too big to fail, too rich for jail“), die als achtminütiges Epos
daherkommt, wo sich dem genialsten Dilettanten an der Stromgitarre endlich
mal genügend Raum bietet für seine notorischen Dreifingersuchsoli.
Schöner ist nur noch „Rules Of Change“. Der Song fällt zwar im Chorus
ebenfalls in eine falsche Gefühligkeit, aber das mächtig heranwankende,
dumpf dräuende Signalriff ist ein passendes Äquivalent zur geballten Faust.
Die halb kaputten, überforderten Röhren seines Verstärkers wirbeln endlich
mal genügend akustischen Mölm auf. Da können die Gebrüder Nelson noch so
schöne Melodielinien spielen, das düster brutzelnde Distortiongewitter halb
im Off ist das, was zählt. Und man stellt sich unweigerlich die Frage, was
für einen Klabautermann Crazy Horse daraus gemacht hätten.
4 Jul 2015
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
Rock'n'Roll
Landwirtschaft
Konzert
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Glyphosat
Landwirtschaft
Dubstep
Protest
Schweiß
Manipulation
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