# taz.de -- Saatgut mit Open-Source-Lizenz: Tomatenanbau ohne Konzerne | |
> Sunviva ist eine Tomate ohne Eigentumsrechte. Die Entwickler*innen | |
> hoffen, langfristig eine Konkurrenz für die großen Konzerne zu werden. | |
Bild: Demo gegen Patente | |
BERLIN taz | Rein äußerlich sieht Sunviva aus wie eine normale | |
Cocktailtomate in Gelb. Doch im Vergleich zu anderen Tomaten hat sie eine | |
Besonderheit: Sie steht unter einer Open-Source-Lizenz und darf keinen | |
exklusiven Nutzungsrechten unterworfen werden. | |
„Die Idee kam aus der IT“, erzählt Johannes Kotschi von der Organisation | |
Open Source Seeds. Wie sich in den achtziger Jahren viele | |
Informatiker*innen für freie Software einsetzten und Open-Source-Programme | |
wie Linux oder LibreOffice entwickelten, finden die Initiator*innen, dass | |
es auch Open-Source-Samen geben muss. | |
Zusammen mit einem interdisziplinären Arbeitskreis aus Jurist*innen, | |
Botaniker*innen und Agrarwirt*innen entwickelte Kotschi im Sommer 2016 eine | |
freie Lizenz für Saatgut. „Wir wollen damit gegen die Privatisierung von | |
Saatgut kämpfen. Saatgut muss der Allgemeinheit gehören, es ist die | |
Grundlage der Lebensmittel“, so Kotschi. | |
Üblicherweise unterliegt Saatgut sogenannten geistigen Eigentumsrechten. In | |
Europa gehören rund 95 Prozent der Gemüsesamen den fünf größten Produzenten | |
von Saatgut: Monsanto, Bayer, Syngenta, Limagrain und KWS. Zu diesem | |
Ergebnis kam eine Studie der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament | |
aus dem Jahr 2014. | |
## Landwirt*innen müssen Saat jedes Jahr neu kaufen | |
Oft sind die Pflanzen unfruchtbar gezüchtet worden, sodass sie nur zur | |
Aussaat, aber nicht zur Vermehrung genommen werden können. Landwirt*innen | |
müssen also jedes Jahr erneut ihre Saat bei den großen Herstellerkonzernen | |
einkaufen und können nicht, wie früher üblich, von den Pflanzen Samen | |
abzweigen und für die neue Aussaat nehmen. | |
Bei Sunviva ist das anders. Sie läuft unter einer Open-Source-Lizenz, bei | |
der im Unterschied zu normalen Lizenzen keine Eigentumsrechte bestehen, | |
sondern ein Produkt von diesen befreit wird. Somit ist die uneingeschränkte | |
Nutzung gestattet. Gibt ein*e Züchter*in einer neu entwickelte Sorte eine | |
solche Lizenz, so verliert diese*r unwiderruflich alle Rechte an der | |
Züchtung. Bei allen gewerblichen Tätigkeiten müssen aber die Auflagen der | |
Lizenz eingehalten und dürfen nicht durch zum Beispiel | |
Sortenschutzbestimmungen oder Patentrechten beschränkt werden. | |
Die Organisation Open Source Seeds versteht sich als Dienstleister. Sie | |
gehört zu Agrecol, einem Verein zur Förderung der standortgerechten | |
Landwirtschaft in Entwicklungsländern. Möchten Züchter*innen ihre neue | |
Sorte vor Privatisierungsrechten schützen, so können sie sich an Open | |
Source Seeds wenden. | |
So wie das Netzwerk des ökologischen Freiland-Tomatenprojekts der Uni | |
Göttingen. Unter der Beteiligung von vielen Menschen und Organisationen | |
wurde im Rahmen des Projektes die Sorte Sunviva als Gemeinschaftswerk | |
gezüchtet. Das ökologische Zuchtprojekt kommt seit jeher ohne geistige | |
Eigentumsansprüche auf ihre Züchtungen aus. „Die Open-Source-Lizenz passte | |
daher ganz gut zu unserer Idee“, berichtete Bernd Horneburg, der als | |
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Pflanzenzüchtung an der Uni | |
Göttingen Teil des Projekts ist. | |
Sunviva ist seit April 2017 auf dem Markt. Da sie wetterresistent und | |
unempfindlich gegenüber Kraut- und Brandfäule, einer klassischen | |
Tomatenkrankheit, sein soll, haben auch unerfahrene Gärtner*innen viel | |
Freude an ihr. Ungewöhnlich hoch ist daher auch die Nachfrage. Ein paar | |
Hundert Tüten mit Sunviva-Saatgut wurden bereits direkt verkauft. | |
„Allerdings fragen primär Privatpersonen wie Hobbygärtner*innen oder | |
Umweltaktivist*innen die Sunviva-Tomate nach“, sagt Max Rehberg vom | |
ökologischen Saatguthändler Culinaris. Das liege auch daran, dass die Samen | |
der Tomate nach der Aussaatzeit auf den Markt kamen. | |
## Als Alternative zu Monsanto-Saatgut interessant | |
Culinaris ist zurzeit noch der einzige Saatgutproduzent, der die | |
Sunviva-Tomate anbietet. Langfristig sei es allerdings das Ziel, | |
Open-Source-Saatgut im großen Stil zu vertreiben und neben dem privaten | |
Saatgut eine zweite Säule des Vertriebs zu errichten. | |
Auch andere Händler*innen interessieren sich für Sunviva, insbesondere als | |
Alternative zu Saatgut von Monsanto. Da es sich hierbei allerdings um eine | |
Open-Source-Tomate handelt, muss auf der Verpackung auf die besondere | |
Lizenz verwiesen werden. Für viele Händler*innen sei das eine | |
Markteintrittshürde, so Rehberg. Besteht ernsthaftes Interesse an der Saat, | |
so sollte die Deklarierung aber kein Problem sein. | |
29 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Yvonne Elfriede Hein | |
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