# taz.de -- Kapitel deutscher Kolonialgeschichte: Von Papenburg nach Tanganjika | |
> In „Goetzen/Liemba“ inszeniert die Theatergruppe „Das letzte Kleinod“… | |
> Geschichte eines Dampfers aus Papenburg, der bis heute in Tansania fährt | |
Bild: Vieles hat sich hier erschreckend wenig verändert: die „Liemba“ auf … | |
Bremen taz | Mit einem Raunen endet das Stück: „It was a long time ago ...“ | |
Gemeint ist der Stapellauf des Dampfschiffs „Goetzen“ vor 100 Jahren, fern | |
der Heimat. Gebaut in Papenburg, wurde es 1915 auf dem Tanganjika-See in | |
Tansania, dem damaligen Deutsch-Ostafrika, zu Wasser gelassen. Dorthin | |
gebracht wurde es in Einzelteilen, verteilt auf mehrere Tausend Kisten. Ein | |
Jahr dauerte der Zusammenbau vor Ort. | |
Ursprünglich für den Warentransport in der Kolonie gebaut, wurde das nach | |
dem Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, Gustav Adolf Graf von Goetzen, | |
benannte Schiff im Ersten Weltkrieg in ein Hilfskriegsschiff umgebaut. 1916 | |
dann, die Kolonie war längst verloren, wurde es versenkt – die wichtigsten | |
Teile gut eingefettet, damit es eines Tages wieder gehoben werden konnte. | |
Das besorgten dann die Belgier, die das Schiff in „Liemba“ umtauften. Bis | |
heute befährt es so den Tanganjika-See. | |
Eine Geschichte wie gemacht für die freie Theatergruppe [1][“Das letzte | |
Kleinod“]. Eine, die ihren Ausgang in den Weiten der norddeutschen | |
Tiefebene nimmt und hinausführt in die weite Welt. Um schließlich von | |
Jens-Erwin Siemssen und seinem Team wieder zurückgebracht zu werden. | |
Allerdings nicht nach Papenburg, sondern zum heimischen Bahnhof in | |
Geestenseth, wo das Stück „Goetzen/Liemba“ am Mittwoch auf und um einen | |
Flachwagen herum unter freiem Himmel Premiere feierte. Station macht es | |
auch in Hamburg, Bremerhaven und Hannover. | |
Seit 24 Jahren inszeniert „Das letzte Kleinod“ Orte und ihre Geschichten, | |
meist entstehen die Stücke aus mündlicher Überlieferung. Auch diesmal | |
reiste Siemssen mit seinem Team mehrfach an die Originalschauplätze, führte | |
Dutzende Interviews. Und wieder ist es ein Minimum an Requisite, in diesem | |
Fall ein paar Eimer und einige Knüppel, aus denen Siemssen und sein | |
überwiegend tansanisches Ensemble vom Helm über Gewehre und eine Kirche bis | |
zum Schiff selbst eine kleine Welt entstehen lassen. | |
Aber dann ist es doch, wieder einmal, ein bisschen anders dieses Mal, | |
entsteht ein neuer Blick auf eine alte Geschichte, die unlängst schon von | |
einer Papenburger Truppe für die Bühne aufbereitet wurde. Siemssen | |
verschränkt die Geschichte der „Goetzen/Liemba“ mit der Gegenwart vor Ort, | |
verschneidet die Verhältnisse heute mit den Ereignissen von damals und | |
erschafft so ein beinahe impressionistisches Gemälde. | |
Immer wieder verschwimmen darin die Zeitbezüge im Licht der untergehenden | |
Sonne. Zwar gibt es Jahreszahlen, auch Abschnitte, in denen technische | |
Details aus dem Schiffbau erläutert werden. Dazwischen allerdings schimmern | |
tansanische Facetten, die zeitlos scheinen. Was an der Unschärfe von Oral | |
History liegen mag, vielleicht aber auch daran, dass vieles sich seit der | |
Kolonialzeit erschütternd wenig verändert hat. | |
Allem voran die Armut, aus der sich von Cholera über Malaria bis | |
Prostitution ohne Weiteres fast alles ableiten lässt, was das Leben in | |
Tansania für so viele bis heute dauerhaft prekär sein lässt. Während Europa | |
nach wie vor im Herrenduktus auftritt: Die Hotels in Daressalam, erzählt | |
der Tourist aus Deutschland: Top. Aber das Bier kostet glatt so viel wie | |
ein afrikanischer Tageslohn ... | |
Zwischen diesen Vignetten finden sich immer wieder wunderschöne Lieder von | |
Shaul Bustan, der schon die Musik für „Exodus“ besorgte. Mal solo, mal im | |
Chor gesungen, zusammengestellt und einstudiert auf traditionellen | |
Instrumenten wie dem Daumenklavier Kalimba und der archaischen Violine | |
Zeze, bewegen sie sich zwischen Worksongs und Spirituellem, zwischen | |
afrikanischer Tradition und europäischem Barock. | |
In der Pause dann gibt es einen kleinen Imbiss, während die Sonne hinter | |
den Bäumen versinkt: Dagaa, kleine Fische, in würziger Soße mit Maisgrieß | |
serviert. Nein, es ist kein Betroffenheitstheater, auch wenn zum Essen eine | |
Benefiz-CD mit der Musik des Stücks angeboten wird. Bei aller Kargheit der | |
Mittel ist „Goetzen/Liemba“ lebensprall und voller faszinierendem | |
Bühnenstoff. Da fällt es nicht weiter ins Gewicht, dass der Text mal | |
untergeht – im Wertftgehämmer, im Sprachgewirr aus Deutsch, Englisch und | |
Kisuaheli. Und im Kriegstumult, wenn das Wasser bis ins Publikum spritzt. | |
Hamburg: Sa, 4.7., bis Mo, 6.7, je 21.30 Uhr, Hansahafen, Australiastraße | |
50b | |
Hannover: 10. bis 13.7., je 21.30 Uhr, Leinhausen, Bahnbetriebsgelände, | |
Einbecker Straße 4 | |
Bremerhaven: 16. bis 21.7., je 21.30 Uhr, Columbusbahnhof, Steubenstraße 7 | |
4 Jul 2015 | |
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[1] http://www.das-letzte-kleinod.de | |
## AUTOREN | |
Andreas Schnell | |
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