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# taz.de -- Rohstoffquelle Elektroschrott: Staub zu Staub
> Unsere Autorin begleitet ihr Handy zum Recyclinghof in Lustadt. Dort
> sieht sie zu, wie aus Schrott wieder ein Rohstoff wird.
Bild: Viel zu wertvoll, um in der Mülltonne zu landen.
LUSTADT taz | Mein Handy ist ein kompakter Kasten in Silber. Nicht so
elegant und flach wie die Smartphones, mit denen heute fast jeder
ausgestattet ist, sondern ein Gerät der ganz alten Riege. Stabiles
Plastikgehäuse, dicke Gummitasten, schwerer herausnehmbarer Akku –
jahrelang hat es verlässlich funktioniert, kürzlich gab es den Geist auf.
120 Millionen Handys lagern laut dem Marktforschungsinstitut YouGov
ungenutzt in deutschen Haushalten herum. Gold, Silber, Kupfer, Seltene
Erden und andere Metalle verbergen sich in ihrem Innern – eine weitgehend
ungenutzte Quelle zur Wiederaufbereitung begehrter Rohstoffe.
Summiert man den geringen Goldanteil von 24 Milligramm pro gehortetem
Mobiltelefon, kommt man auf riesige Mengen: Allein mehr als zwei Tonnen
Gold liegen in den häuslichen Elektrosammlungen der Deutschen – ein Schatz,
an dem die Recyclingindustrie sehr interessiert ist. Das Handy in einen
Briefumschlag packen und dem Recyclinghof zusenden – dieses Modell der
Rückführung in den Kreislauf der Wiederverwertung interessierte mich.
Die Post bietet in Kooperation mit dem Recyclingunternehmen Alba
beispielsweise einen kostenlosen Versand zur Recyclinganlage Lustadt an.
Seit dem Start von „Electroreturn“ im Februar 2012 sind in Lustadt rund
23.500 Umschläge angekommen. Darin: etwa 20.200 Handys. Nur ein Bruchteil
also und in der Summe der darin enthaltenen Rohstoffe winzige Mengen: Um an
300 Gramm Gold ranzukommen, müssen etwa 50.000 Telefone ausgeschlachtet
werden, ganz zu schweigen vom Vorkommen der anderen Rohstoffe.
An drei Zerlegestraßen wird elektronisches Gerät auseinandergenommen;
moderne Goldschürfer sind am Werk. Mein Handy soll dort enden, und ich will
ihm ans Ende seiner Tage folgen, bis es zu Staub zerfällt.
Das kleine Gerät liegt vor mir auf dem Tisch des Großraumwagens im ICE.
Stunden fahren wir durchs Land – bis wir freie Sicht über die hügelige
Pfalz haben. Hier, knapp 40 Kilometer südlich von Mannheim, ist Lustadt.
Sandsteinhäuser reihen sich aneinander, Wein rankt an Mauern empor, in den
Gärten zupfen, schneiden, graben die Leute sich den Sommer herbei.
Der Recyclinghof findet sich am Ortsrand, dahinter beginnt Wald, dahinter
windet sich der Rhein Speyer entgegen. Große Hallen stehen da, der
Recyclinghof Lustadt war einmal eine Türenfabrik: rostige Container mit
ineinander verkeilten Geräten, Fernsehern, Computern aus einem vergangenen
Jahrzehnt, Kabeln.
## Die Handys kommen vor allem aus Süddeutschland
Manfred Fahrner ist hier wichtig, sein Kennzeichen ein offiziell wirkender
Anzug – kein Blaumann –, weißes Hemd, marineblaue Schirmmütze mit der
Aufschrift: Alba Recycling GmbH. Seit 2005 ist er dort Vertriebsleiter im
Bereich Elektronikrecycling. „Den Elektroschrott, den wir hier verarbeiten,
beziehen wir hauptsächlich aus süddeutschen Kommunen“, sagt er. „Aber es
kommen auch immer mal wieder Lieferungen von Electroreturn aus Berlin.“
Auch mein Handy hätte unter diesen Sendungen sein können. Stattdessen trage
ich es selbst über das Gelände des Recyclinghofes – sicher und geschützt in
meiner Jackentasche. Ein langjähriger Begleiter, voller Adressen und
Kurznachrichten, eine Art Tagebuch, etwas Intimes. Bekleidet mit dem
grellgelben Stück Stoff – Warnwesten sind Pflicht – gehen wir in Richtung
einer großen grauen Halle, das Rattern schwerer Maschinen schlägt uns
entgegen, die Lärmquelle ist unser Ziel.
Maschinen, die sich über ausgemusterte Geräte hermachen. Fahrner ruft gegen
den Lärm an: „Hier findet die mechanische Behandlung statt.“ In
„hochwertig“ und „minderwertig“ wird der gelieferte Schrott separiert.
## Auf den Leiterplatten sind die wertvollen Metalle
Mein Handy gehört zur ersten Kategorie, denn es trägt eine Leiterplatte in
sich – auf der konzentrieren sich die wertvollen Metalle. Erst wenn der
Container mit den hochwertigen Materialien voll ist, wird sein Inhalt
behandelt. Und das passiert vielleicht einmal im Monat, heute werden nur
die simplen Elektrogeräte verarbeitet.
Ein Berg Schrott fällt sofort ins Blickfeld, ein Keyboard ragt daraus
hervor, ein Kassettenrekorder, eine alte Kaffeemaschine, Kabelstränge,
Kupferdrähte – das ehemalige Inventar Tausender Haushalte. Welchen Menschen
erleichterten diese Geräte das Leben? Welche Stimme begleitete das
elektronische Klavier, das hier nun seine letzte Ruhe findet? Unter all den
großen und kleinen Geräten sehe ich vieles, was zum Alltag des Menschen
gehört.
Ein Bagger schlägt seine Krallen krachend in den Müllberg und schnappt so
viel Schrott, wie er greifen kann. Er presst die Gegenstände zusammen, sie
bersten und landen auf einem Fließband. Ein Mann mit orange Helm steht
daneben und schaut, ob noch wertvolle Teile unter den Einzelstücken sind.
Dann beginnt der eigentliche Bearbeitungsprozess.
## Ein Kamera entscheidet bei der Sortierung
Schrottstücke – einst gepflegter Hausrat – werden zerkleinert und nach
Stoffgruppen getrennt. Vier Männer in Schutzkleidung stehen am Laufband –
nur einer trägt einen weißen Mundschutz – und sortieren alles aus, was den
Nachfolgeprozess stört: Batterien etwa, Videokassetten. Wertvolle Teile,
wie Messing- oder Kupferdrähte, einzelne Handys und kleinere Festplatten,
werden aussortiert. Sie werden heute nicht bearbeitet. Nach der manuellen
Zerlegung werden die Teile in grob und fein getrennt, eine Kamera erkennt
die Farbe und separiert Kunststoff von Metall.
Vor einer blauen Maschine, aus der es geräuschvoll bläst, halten wir. „Ein
Luftstrom bearbeitet und trennt die metallischen Partikel hier weiter. Es
wird die Spreu vom Weizen getrennt“, sagt Fahrner. In einen Behälter
rieseln die Aluminiumpartikel – wie Silberperlen –, in einen anderen das
Kupferkonzentrat.
Wir verlassen die Halle und kommen in einen Raum, der einer kleinen
Werkstatt gleicht. Auf einem Wagen liegen vier, fünf Päckchen:
„Electroreturn“ heißt es auf den Aufklebern – hier endet die Reise der
Telefone auf einer Art OP-Tisch.
## Ein Kiste mit „Wundertüten“
Ein älterer Herr steht an einem Tisch und öffnet mit gekonnter
Hebelbewegung ein Handy nach dem anderen, sortiert die Akkus beiseite. Der
Moment ist da – ich krame mein Handy hervor und lege es auf die
Arbeitsplatte. Der Mann schaut kurz auf, nimmt es an sich und hebelt es
auf. Es klemmt ein wenig. „Scheint schon ein paar Jahre hinter sich zu
haben“, sagt er. Den Akku und einzelne Plastikteile legt er in eine Kiste,
die Leiterplatte, matt-metallisch, in eine andere.
Ein Eisenkorb mit einigen Dutzend Umschlägen steht dort – der Post der
letzten Wochen. „Jeder Umschlag ist wie eine Wundertüte“, sagt Fahrner und
öffnet einen Brief. Er ist leer. „Da war jemand schneller.“ Auf dem Postweg
nach Lustadt kommt das manchmal vor. Ist der Container mit den hochwertigen
Materialien voll, ist auch der Tag der Bearbeitung gekommen. Dann
durchlaufen auch die Handys jenen Zerkleinerungs- und Sortierungsprozess,
den ich am Beispiel des minderwertigen Schrotts verfolgen konnte.
Was bleibt, sind Kunststoffgranulat, Aluminiumpartikel und Kupferkonzentrat
– rötlich schimmerndes Metallpulver, in dem sich winzige Bestandteile
anderer Metalle verbergen. Kupferhütten sind für die weitere Aufarbeitung
zuständig: Dort wird das körnige Konzentrat eingeschmolzen und durch die
Elektrolyse zum reinen Stoff Kupfer verarbeitet. Ein schlammiges Gemisch
ist das Nebenprodukt, Anodenschlamm, aus dem Edelmetalle gewonnen werden:
Gold, Silber, Palladium oder Platin.
Auch wenn immer mehr Wert darauf gelegt wird, Abfall zu verwerten – das
Handyrecycling ist noch nicht weit verbreitet. „Bisher sind Handys die
kleinste Rohstoffquelle in unseren Anlagen“, sagt Fahrner.
## Zwei Tonnen Gold in den Handys
Zwei Tonnen Gold lagern im Innern der privat gehorteten Handys. Selbst wenn
alle diese Geräte wiederverwertet würden: Nur ein Bruchteil des weltweiten
Bedarfs der Edelmetalle wäre gedeckt. Smartphones, Tablets und PCs
verschlingen jährlich 320 Tonnen des goldenen Rohstoffs – und der Bedarf an
den Geräten steigt wegen immer kürzerer Produktzyklen weiter. Wird ein
Smartphone ersetzt, bleibt das alte meist ungenutzt liegen und findet
selten den Weg in die Hallen der Recycler.
Mein Handy ist nun Teil dieses Kreislaufs – und für mich beginnt eine neue
Ära. Obwohl ich mich lange gewehrt habe, habe ich jetzt auch ein
Smartphone, aber eines mit einem sprechenden Namen: ein Fairphone. Seine
Herstellung soll so durchsichtig wie möglich sein, bevorzugt mit Rohstoffen
aus kontrollierten Minen. Aber konsequent „fair“ können auch sie nicht
gewonnen werden. Ethisch korrekt ist kein Handy.
Mein Gewissen aber ist nach dem Besuch des Recyclinghofes ein wenig besser,
weil aus seinen Partikeln etwas Neues entstehen kann.
30 May 2015
## AUTOREN
Elisabeth Bauer
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