| # taz.de -- Debatte Spionage in Deutschland: Heiße Liste | |
| > Die Aufklärung des BND-Skandals kommt keinen Millimeter voran. Deshalb | |
| > muss das Verzeichnis der monierten Suchbegriffe ans Tageslicht. | |
| Bild: Die neue BND-Zentrale in Berlin. | |
| Die Lage ist ernst. Und weiter unklar. Mehrere Wochen nach Beginn der | |
| BND-Affäre gibt es noch immer kein verlässliches Bild vom Ausmaß illegaler | |
| Aktivitäten bei der Kooperation des Bundesnachrichtendiensts mit der | |
| ausschweifenden Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA. | |
| Anders als in den USA, wo die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste | |
| schärfer ist, werden die wirklich wichtigen Informationen dem politischen | |
| Souverän vorenthalten. Während die Deutschen eher die Wiedervereinigung von | |
| Bettina und Christian Wulff beschäftigt, kommt die Aufdeckung des Skandals | |
| keinen Millimeter voran. | |
| Mauschelei und verdeckte Karten, offene Lügen und unausgesprochene | |
| Nachrichtensperre statt brutalstmöglicher Aufklärung. Ist eigentlich alles | |
| erlaubt, wenn es um Geheimdienste geht? Nein, alles muss auf den Tisch der | |
| parlamentarischen Kontrollorgane. Notfalls muss die Einsicht in die | |
| entscheidende Liste der Selektoren – das sind Suchbegriffe, die der BND in | |
| seine Überwachungssysteme einspeisen sollte – in Karlsruhe eingeklagt | |
| werden. | |
| Der Untersuchungsausschuss muss wissen: Welche Filter hatte der BND ab wann | |
| im Einsatz, um von der NSA zugelieferte Selektoren zu überprüfen? Welche | |
| Selektoren wurden herausgefischt, welche nicht, zu welchen hat der BND | |
| bereitwillig Erkenntnisse übermittelt und dabei gegen deutsche Gesetze und | |
| deutsche Interessen verstoßen? | |
| ## Milliarden Datensätze | |
| Haben BND-Führung und Kanzleramt angesichts der bekannt gewordenen | |
| Spionagetätigkeit der NSA in Deutschland kontrolliert, ob die Kooperation | |
| rechtens ist? Ab wann lagen BND-Führung und Kanzleramt erste Hinweise vor, | |
| dass die NSA die Zusammenarbeit für illegale Aktivitäten missbraucht? Sind | |
| BND und Kanzleramt daraufhin aktiv geworden, und wenn nicht, warum nicht? | |
| Sind parlamentarische Anfragen wissentlich falsch beantwortet worden, und | |
| wer trägt dafür die Verantwortung? | |
| Snowden hat es so formuliert: Die Nachrichtendienste arbeiten „außerhalb | |
| der Wahrnehmung und Kontrolle gewählter Volksvertreter und der Justiz“. | |
| Und: Auf dem Spiel steht „das Modell einer freien Gesellschaft“. Das ist | |
| kein hohles Pathos, das ist der verzweifelte Versuch, das Ausmaß dieses | |
| Skandals begreiflich zu machen. Wenige Zahlen machen die Tragweite klar: | |
| Der BND hat jeden Monat Milliarden Datensätze erfasst. Die NSA hat | |
| Millionen von Selektoren eingespeist. Und der BND hat, viel zu spät, | |
| festgestellt, dass Tausende dieser Selektoren illegal oder zumindest | |
| problematisch waren. | |
| Die Einsicht in die heiße Liste der vom BND monierten Selektoren wird damit | |
| zum Angelpunkt. Angeblich ist diese Liste gelöscht worden, angeblich gibt | |
| es keine Kopie, angeblich auch keinen Ausdruck, auch sonst keinerlei | |
| Back-up, sondern nur noch vage Erinnerungen des BND-Mannes „T.“. | |
| ## Weder Verbrecher noch Idioten-Truppe | |
| Für wie blöd hält man die Öffentlichkeit und die Kontrollorgane? Und wie | |
| lange lassen die sich für blöd verkaufen? Die Weigerung, selbst den zur | |
| Geheimhaltung verpflichteten Abgeordneten im Untersuchungsausschuss Zugang | |
| zu den Daten zu verschaffen, zeigt das ängstliche Mauern im Kanzleramt. | |
| Merkels Kurs: Schadensbegrenzung, das Verhältnis zu den USA pflegen. Und | |
| vor allem: Schweigen! Selbst der Verdacht der Wirtschaftsspionage und | |
| Hinweise, dass auch der Vorzeigekonzern Siemens ausgespäht wurde, locken | |
| die Kanzlerin nicht aus der Reserve. | |
| Jenseits der politischen Arena illustriert der Skandal erneut die | |
| Abhängigkeit des deutschen Dienstes von der NSA, die technologisch, | |
| personell und finanziell in einer ganz anderen Liga spielt. Weil der BND in | |
| erheblichem Maß auf Amtshilfe und Informationen der NSA angewiesen ist, | |
| sieht er nicht so genau hin, wenn der befreundete Dienst Grenzen und | |
| Gesetze verletzt. Als bloßer Wurmfortsatz wird er auch nicht ernst | |
| genommen. | |
| Dazu passt die Haltung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber ihren | |
| Sicherheitsorganen. Die werden entweder als Verbrecherorganisationen | |
| beschrieben, die unsere Freiheit bedrohen und, so die infantile | |
| Radikalparole, schleunigst abgeschafft werden müssen, oder alternativ gern | |
| als BND-Idiotenstadl, der für Pech und Pannen bei der Aufklärung | |
| verantwortlich ist. Die Tätigkeit der Dienste wird wahlweise skandalisiert | |
| oder für inkompetent erklärt. | |
| ## Weniger NSA, mehr BND | |
| Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Deutschen begriffen, dass die | |
| Bedeutung der Sicherheitsbehörden erheblich gewachsen ist. Und ihre | |
| Aufgaben: Was passiert wirklich in der Ukraine? Wer hat die malaysische | |
| Passagiermaschine abgeschossen? Welche Gefahr bilden Rückkehrer aus Syrien | |
| oder dem Irak? Wie ist die Sicherheitslage für deutsche Touristen in | |
| Ägypten oder der Zentralafrikanischen Republik? Welche Karikaturisten und | |
| Satiriker stehen auf den Listen fanatischer Frömmler und Pietkongs? Der BND | |
| ist vor allem eine große Informationsmaschine, die Politiker und Fachebenen | |
| füttert. | |
| Wenn er mit den Amerikanern auf Augenhöhe verhandeln und den | |
| Anhängsel-Status verlassen soll, muss er schlagkräftiger und | |
| selbstbewusster werden. Die Konsequenz: Wer weniger NSA will, braucht mehr | |
| BND. Und ein anderes Verhältnis der Öffentlichkeit zu den | |
| Sicherheitsorganen. Aber – und das ist kein Widerspruch, sondern | |
| demokratische Logik – auch eine schärfere parlamentarische Kontrolle. | |
| Und noch ein Befund: Die Zweigstelle Pullach mit der Abteilung technische | |
| Aufklärung muss nach Berlin verlegt werden. Pullach pflegt immer noch die | |
| Mia-san-mia-Mentalität. Weit weg von den Kontrollorganen der Hauptstadt | |
| werden Aufklärungsziele gern mal eigenmächtig festgelegt, die Politik soll | |
| sich „nach uns“ richten. Das bayerische Dorf hat entschieden zu viel | |
| Eigenleben entwickelt und zu viel Kumpanei mit den Amerikanern. Dass die | |
| sich nicht an deutsches Recht und Gesetz gebunden fühlen, dokumentierte der | |
| in der Süddeutschen veröffentlichte Mailverkehr zwischen Berlin und | |
| Washington in Sachen Snowden und No-Spy-Abkommen eindrucksvoll. Die | |
| Deutschen betteln, die Amis bleiben unverbindlich kühl. | |
| Die von deutscher Seite erhoffte Zusage, auf Spionage in Good Old Germany | |
| zu verzichten und hiesige Gesetze zu achten, war schlicht eine Fata | |
| Morgana. | |
| 21 May 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Krollmann | |
| ## TAGS | |
| BND | |
| Bundestag | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Selektorenliste | |
| NSA | |
| BND | |
| Selektoren | |
| NSA | |
| No-Spy-Abkommen | |
| NSA | |
| BND-Affäre | |
| BND-Affäre | |
| BND | |
| NSA | |
| Schwerpunkt Angela Merkel | |
| Edward Snowden | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| NSA-Skandal und Selektorenliste: Her damit! | |
| Die Opposition reicht in Karlsruhe Klage gegen die Regierung ein. Sie | |
| fordert die Herausgabe der NSA-Selektorenliste an den | |
| Untersuchungsausschuss. | |
| Entscheidung zu Selektoren: NSA-Ausschuss setzt Kanzleramt Frist | |
| Das Kanzleramt hat noch immer nicht erklärt, wie der Bundestag über die | |
| „Selektorenliste“ informiert wird. Die Abgeordneten wollen nun endlich eine | |
| Entscheidung. | |
| Geheimdienst als Kunst: Der transparente Spion | |
| Der Künstler Paolo Cirio sammelt im Internet private Bilder von Beamten des | |
| US-Geheimdienstes. Die stellt er dann öffentlich aus. | |
| No-Spy-Abkommen: Heldin wider Wissen | |
| Gab es ein konkretes Angebot der USA, auf Spionage in Deutschland zu | |
| verzichten? Außer der CDU glaubt das niemand. Der Ton wird schärfer. | |
| BND-Chef vor NSA-Ausschuss: „Gegner haben wir reichlich“ | |
| Laxe Kontrolle war die „Erbsünde“, sagt Gerhard Schindler. Dennoch | |
| verteidigt der Chef des BND die Kooperation mit dem US-Geheimdienst. | |
| NSA-Untersuchungsausschuss: „Kann mir das nicht erklären“ | |
| BND-Chef Gerhard Schindler räumt Fehler ein, ihn selbst aber träfe keine | |
| Schuld. Derweil tauchen 450.000 neue NSA-Selektoren auf. | |
| BND-Affäre: Geheimsache Aufklärung | |
| Grüne und Linke empören sich lautstark über Merkel und die Geheimdienste. | |
| Doch die SPD rückt näher an die Union heran. | |
| NSA-Untersuchungsausschuss: BND suchte gezielt EU-Ministerien | |
| Die NSA lieferte die Suchbegriffe, der Bundesnachrichtendienst | |
| durchforstete sie im August 2013 nach Mailadressen von europäischen | |
| Ministerien. | |
| Aufklärung der BND-Affäre: Hauptsache, die sehen das nicht selbst | |
| Die GroKo will die Opposition wohl nicht mit heiklen Daten versorgen | |
| müssen. Ihre Idee: Ein unabhängiger Sonderermittler. | |
| Koalitionskrach wegen NSA-Affäre: Knurren in der Koalition | |
| SPD-Chef Sigmar Gabriel fordert die Offenlegung der NSA-Spähliste – und | |
| setzt Merkel unter Druck. Der Ton in der Regierung wird rauer. | |
| Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Überwachung im Schnelldurchlauf | |
| Die Regierung hat in Windeseile einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ebenso | |
| schnell durchs Parlament soll. Bei solcher Eile leidet die Sorgfalt. |