# taz.de -- Streitthema Kinderbetreuung: Milliarden, ziellos verstreut | |
> Studien belegen den wirtschaftlich Schaden, den das Betreuungsgeld in | |
> sich birgt. Die einzigen Fans sind Frau Schröder und Herr Seehofer. | |
Bild: Gemeinsam die Welt verstehen lernen: Kinder beim spielerischen Erfassen v… | |
BERLIN taz | Ist das Betreuungsgeld wirklich so schlimm? Eine Herdprämie | |
für Mütter, die von der Berufstätigkeit ferngehalten werden? Ein Unglück | |
für Kleinkinder, die in der Kita sprachliche und soziale Kompetenzen | |
erwerben könnten? Oder ist es ein ganz simpler Ausgleich für Eltern, die | |
nicht die staatliche Kita, sondern eine private Tagesmutter oder Ähnliches | |
in Anspruch nehmen? | |
Der Staat bietet dann entweder eine Kita oder Geld an. Wahlfreiheit nennt | |
er das. Man könnte es als erweitertes Kindergeld einfach mitnehmen. Ist das | |
so tragisch? | |
Betrachten wir einmal nur die Zahlen: Das erklärte Ziel der Familienpolitik | |
ist, Eltern das Leben insoweit zu erleichtern, dass sie ihre Kinderwünsche | |
auch realisieren können. Wesentlich ist dabei, dass die Familien genug Geld | |
haben, um nicht in Armut zu fallen. Die konkreten Leistungen, die der Staat | |
den Familien zugute kommen lässt, wurden zuletzt vom „Kompetenzzentrum für | |
familienbezogene Leistungen“ im Jahr 2008 im „Arbeitsbericht Zukunft für | |
Familie“ evaluiert. | |
In einer Bestandaufnahme wurden 153 verschiedene Leistungen, vom Elterngeld | |
bis zur beitragsfreien Mitversicherung von Kindern in der Krankenkasse, | |
untersucht. Das Betreuungsgeld stand damals noch nicht zur Debatte. Wie | |
könnte es in diese Rechnungen hineinpassen? | |
Insgesamt waren die Familien dem Staat etwa 189 Milliarden Euro wert. | |
Deutschland liegt damit europaweit im Mittelfeld. Ebenso wie bei der | |
Armutsvermeidung durch Familienpolitik. Besser stehen etwa Schweden und | |
Finnland da. Was sie anders machen: Neben relativ hohen Geldtransfers | |
fördern sie vor allem die Erwerbstätigkeit von Müttern. | |
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) hat errechnet, dass deutsche | |
Eltern insgesamt 237,4 Milliarden Euro ausgeben, bis ihre Kinder 18 sind. | |
Aber nur 90,2 Milliarden Euro sind direkte Kosten, etwa für Wohnen, Essen | |
und Freizeit. Das Gros, 147,2 Milliarden Euro, sind indirekte Kosten: So | |
viel würden die Mütter verdienen, wenn sie, statt Kinder zu betreuen, | |
erwerbstätig wären. | |
## Betreuungsgeld kann Lohn nicht kompensieren | |
Der Staat unterstützt die Familien bei den direkten Kosten eher stark, er | |
finanziert Schulen und Kitas, zahlt Kindergeld und gewährt | |
Steuererleichterungen. Bei den indirekten Kosten aber engagiert die | |
öffentliche Hand sich kaum, nur das Elterngeld ist als Lohnersatzleistung | |
angelegt. Das IW empfiehlt deshalb den Ausbau der Betreuung, um die | |
indirekten Kosten zu senken. | |
Das Betreuungsgeld kann in dieser Systematik nicht überzeugen, weil es als | |
Lohnersatzleistung zu gering ist, es kann den entgangenen Lohn nicht | |
kompensieren. Dagegen würde es einige Frauen von der Lohnarbeit fernhalten | |
und damit ihre weitere berufliche Laufbahn gefährden. Im | |
„Gender-Datenreport“ des Familienministeriums heißt es, dass eine | |
Elternzeit von zehn Monaten einen Lohnverlust von 4 Prozent bedeute, der | |
nicht wieder aufgeholt wird. Mit jedem Monat mehr wächst die Lücke. | |
Die Rechnung geht noch weiter: Die Bertelsmann-Stiftung hat eruiert, dass | |
jedes zweite Kind, das die Krippe besucht hat, aufs Gymnasium geht. Von den | |
Kindern, die keine Krippe besuchen, sind es nur 36 Prozent. Würden 35 | |
Prozent der Kleinkinder in Krippen gehen, so würden fünf dieser Jahrgänge | |
durch ihre höhere Qualifikation bereits 12,6 Milliarden Euro mehr | |
erwirtschaften. Auch der Staat profitiert: Würden allein die 1,9 Millionen | |
Alleinerziehenden mit Kindern ab 2 Jahren erwerbstätig, so kämen 135 | |
Millionen Euro an Steuern zusammen, noch nicht eingerechnet sind die | |
entfallenden Kosten der Grundsicherung. | |
Das IW errechnete, dass die 5 bis 7 Milliarden Euro jährlich für die | |
frühkindliche Bildung eine „Rendite“ von etwa 8 Prozent einbrächten. Welc… | |
Anlegerin würde da zögern? | |
Beim „Zukunftsrat Familie“, so hat sich das Kompetenzzentrum kürzlich | |
umbenannt, hört man auch heute zum Betreuungsgeld – nichts. „Damit | |
beschäftigen wir uns nicht“, so Michael Steiner vom Prognos Institut, das | |
den Rat koordiniert. Mit der umstrittensten familienpolitischen Leistung | |
beschäftigt sich das wichtigste Gremium zur Zukunft der Familienpolitik | |
nicht? Steiner formuliert es anders: „Wir konzentrieren uns auf Eltern mit | |
Kindern über 3 Jahre. Sie wollen mehr arbeiten, und wir überlegen, wie man | |
diese Wünsche erfüllen kann.“ | |
## Mit einem Jahr zu jung für die Kita | |
Steiner sendet zur Erläuterung der Nichtbefassung das Ergebnis einer | |
Elternbefragung: 87 Prozent der Eltern mit einem einjährigen Kind halten es | |
für zu jung, um in eine Krippe zu gehen. Und bei den Zweijährigen sind es | |
noch 68 Prozent, die das Kind lieber daheim sehen. Mit anderen Worten: | |
Diese Eltern bleiben sowieso zu Hause, das Betreuungsgeld wird von ihnen | |
einfach mitgenommen. Entsprechend teuer wird es werden. Das | |
Familienministerium rechnet im Schnitt mit 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. | |
Zum Vergleich: An den Kita-Betriebskosten beteiligt sich der Bund ab 2014 | |
mit 770 Millionen Euro jährlich. | |
Und fördert dies nun die Wahlfreiheit? Nüchtern sagt Axel Plünnecke, der | |
die IW-Studie erstellt hat: „Das Modell Alleinverdiener mit Hausfrau ist in | |
Deutschland nicht gerade unterfördert. Kostenlose Mitversicherung der | |
Ehefrau, die Witwenrente und das Ehegattensplitting stützen dieses Modell | |
bereits“, so der Experte. „Da ist eine weitere Subvention nicht nötig.“ | |
Auch die WissenschaftlerInnen, die alle vier Jahre den Familienbericht | |
verfassen, fragen sich, wie das Betreuungsgeld zu den familienpolitischen | |
Zielen der Regierung passt. Antwort: „Überhaupt nicht.“ Das sagt etwa Uta | |
Meier-Gräwe, Familienwissenschaftlerin aus Gießen, die die Familienberichte | |
mit erstellt. „Wir haben mit Elterngeld und Kita-Ausbau endlich einen | |
Modernisierungsschub in der Familienpolitik. Das Betreuungsgeld | |
konterkariert ihn völlig.“ | |
Das Problem seien nicht die Mittelschichteltern, die ihre Kinder auch zu | |
Hause für die Schule fit machten. Sondern die bildungsfernen Mütter, die | |
ihren schlecht bezahlten Job dann vielleicht ganz hinwürfen. „Wir bemühen | |
uns so sehr um diese benachteiligten Kinder, etwa indem wir Kitas in | |
Familienzentren umformen, die auch die Eltern mit ansprechen und beraten. | |
Und dann zieht man dem Konzept den Boden unter den Füßen weg, weil die | |
Eltern lieber mit Betreuungsgeld daheim bleiben“, urteilt Meier-Gräwe. | |
Ziel der Familienpolitik ist die Armutsvermeidung. Ziel der | |
Geschlechterpolitik ist die stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen. Ziel der | |
Sozialpolitik ist, dass Frauen nach einer Scheidung nicht in die | |
Grundsicherung abrutschen. Ziel der Gleichstellungspolitik ist, dass der | |
Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern kleiner wird. Das Geld | |
fürs Daheimbleiben ergibt vor diesem Hintergrund, so nennt es Plünneke, | |
„keine Zielharmonie“. 1,2 Milliarden Euro wird die Regierung ausgeben, für | |
ein Vorhaben, das allen ihren politischen Zielen entgegensteht. | |
14 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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