# taz.de -- Betreuungsgeld in Schweden: Umstrittene kommunale Leistung | |
> In Deutschland gibt es Streit um das geplante Betreuungsgeld, in Schweden | |
> wird es längst ausgezahlt. Die Reaktionen darauf sind gemischt. | |
Bild: Was wohl aus diesem schwedischen Kind geworden wäre, wenn ihre Eltern si… | |
STOCKHOLM taz | „Meine Mama hatte viel Zeit für uns, war lange mit uns zu | |
Hause und das wollte ich auch an unsere Kinder weitergeben.“ Emma ist das | |
zweite Kind von Karin und ihrem Mann Fredrik. Sie wohnen in einem kleinen | |
Ort in Småland, und als die Kommune Mitte letzten Jahres die Möglichkeit | |
zum „Vårdnadsbidrag“ einführte, wie das schwedische Betreuungsgeld heißt, | |
nahmen sie dieses Angebot gerne wahr. | |
Entscheidend für Karins Entschluss, zu Hause zu bleiben, war es nicht. Nach | |
Ablauf der 480-tägigen Elterngeldzeit war sie auch schon bei Julia, die | |
jetzt 5 Jahre alt ist und die Vorschule besucht, noch zusätzlich eineinhalb | |
Jahr zu Hause geblieben. Vårdnadsbidrag gab es da noch nicht. Die 3.000 | |
Kronen, ca. 350 Euro, im Monat sind jetzt eben ein willkommener Zuschuss | |
zur Haushaltskasse. | |
Im Oktober wird Emma drei Jahre alt, dann soll sie in den Kindergarten | |
kommen und Karin will wieder in ihrem Beruf als Krankenschwester arbeiten. | |
Es sei kein Misstrauen gegen die öffentliche Kinderfürsorge, betont Karin, | |
„ich weiß, dass das Personal dort kompetent ist“. Sie lacht, als sie hört, | |
dass man in Deutschland von einer „Herdprämie“ spricht. „Ich hatte einfa… | |
Lust, zu Hause zu bleiben, warum muss man daraus etwas Negatives machen? | |
Und wie gesagt: Der Vårdnadsbidrag hat dabei keine Rolle gespielt.“ | |
Karin und Fredrik gehören zu einer Minderheit. Rechnet man nur die | |
Kommunen, in denen diese rechtliche Möglichkeit auch tatsächlich besteht, | |
bezogen 2011 4,7 Prozent der infrage kommenden Eltern Vårdnadsbidrag. | |
Manche nahmen ihn nur wenige Monate, beispielsweise während der | |
Sommerferien, in Anspruch. | |
Knapp die Hälfte der 290 schwedischen Kommunen bieten mittlerweile dieses | |
Betreuungsgeld an, nachdem die konservativ-liberale Regierung 2008 diese | |
rechtliche Möglichkeit geschaffen hatte. Das Hauptargument: Ein | |
zusätzliches Angebot solle geschaffen werden, das den Familien Wahlfreiheit | |
biete. Denn es sei diskriminierend, wenn nur die öffentliche | |
Kinderbetreuung staatliche Unterstützung genieße. | |
## Bunter Betreuungsgeld-Flickenteppich in Schweden | |
Die Inanspruchnahme ist höchst unterschiedlich und lag 2011 je nach Kommune | |
zwischen 0,7 und 48 Prozent der berechtigten Familien. Zu 92 Prozent wird | |
er von Frauen in Anspruch genommen. Laut Statistik sind deutlich | |
überrepräsentiert Alleinstehende (10,7 zu 6,4 Prozent im Landesschnitt), | |
Antragsteller ohne gymnasiale Ausbildung (17,1 zu 10,5 Prozent), Paare, in | |
denen ein Partner ohne Beschäftigung ist (47,9 zu 18 Prozent) und Familien | |
mit „ausländischem Hintergrund“ (39,9 zu 26,6 Prozent). | |
Ob es auf kommunaler Ebene die Leistung gibt, hängt von den jeweiligen | |
Mehrheiten ab. Wo die linken Parteien in der Mehrheit sind, beispielsweise | |
in den zweit- und drittgrößten Städten Göteborg und Malmö, gibt es sie | |
nicht. In fünf Fällen, in denen bei den letzten Kommunalwahlen Mehrheiten | |
von rechts nach links kippten, wurde es wieder abgeschafft. | |
In Södertälje, einer nahe Stockholm gelegenen Stadt mit besonders hohem | |
Ausländeranteil, hat ihn eine rot-grüne Mehrheit im vergangen Jahr wieder | |
gestrichen. Die Bilanz, die man dort nach drei Jahren zog: Er funktioniere | |
wie eine zusätzliche Sozialhilfe, sei eine Frauen- und Armutsfalle, | |
benachteilige die Lernmöglichkeiten der Kinder. | |
Außerdem sei er zum einen überdurchschnittlich von Einwandererfamilien in | |
Anspruch genommen worden, was die Segregation stärke. Zum anderen aber | |
ebenfalls überdurchschnittlich von Familien mit hohem Haushaltseinkommen, | |
wo er offenbar als „Taschengeld“ verstanden werde. | |
14 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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