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# taz.de -- Flüchtlingsprotest in Berlin: Wieder im Hungerstreik
> Vor dem Treffen mit Bundestagsabgeordneten fühlen sich die Flüchtlinge
> vor dem Brandenburger Tor getäuscht. Sie sind wieder in den Hungerstreik
> getreten.
Bild: Enttäuscht von den Abgeordneten: Flüchtlinge am Brandenburger Tor.
BERLIN taz | Frierend binden sie sich weiße Binden um die Ärmel, stecken
ihre Hände dann in die Jackentaschen. Kurz darauf entrollen die Flüchtlinge
am Freitagmittag vor dem Brandenburger Tor ein Banner: „Wir lassen uns
nicht täuschen, der Hungerstreik geht weiter.“
Enttäuscht seien sie, sagt Ramin Akbari, 25-jähriger Iraner. „Wir fühlen
uns nicht ernst genommen.“ Seit dem 24. Oktober protestieren die rund 20
Flüchtlinge auf dem Pariser Platz für bessere Lebensbedingungen, anfangs im
Hungerstreik. Den hatten sie vor zwei Wochen aufgegeben, nachdem ihnen
Maria Böhmer (CDU), Integrationsbeauftragte des Bundes, ein Gespräch im
Bundestag organisierte: Für kommenden Donnerstag sind sie vom
Innenausschuss eingeladen. Dann kam die Antwort der Bundesregierung auf
eine Linken-Anfrage, was der Bund für die Flüchtlinge tun könne.
Böhmer, heißt es darin, habe sich doch bereits mit den Protestierenden
getroffen. „Weiterer Gesprächsbedarf besteht nicht.“ In Deutschland gebe es
50.000 Asylverfahren, da ergäben sich „aus den vereinzelten Protestfällen
keine zwingenden Schlussfolgerungen“. Die heutigen Asylregelungen seien
„weiterhin erforderlich“.
Herman Rad, auch er aus dem Iran, macht das wütend. Die Ergebnisse des
Treffens stünden also längst fest, sagt der 47-Jährige. Dabei habe man sich
doch gesprächsbereit gezeigt mit dem Abbruch des Hungerstreiks. „Sie haben
mit uns gespielt“, sagt Rad. „Es soll aber niemand daran zweifeln, wie
ernst es uns ist. Ab jetzt ist die Regierung dafür verantwortlich, was hier
passiert.“
An dem Hungerstreik beteiligen sich nun fünfzehn Flüchtlinge, darunter drei
Frauen. Fast alle waren schon beim ersten Mal dabei, stammen aus dem Iran,
Afghanistan oder dem Irak, beteiligten sich auch schon an einem
600-Kilometer-Marsch von Würzburg nach Berlin im September. Sie erneuerten
am Freitag ihre Forderungen: einen Abschiebestopp, ein Ende von
Residenzpflicht und Sammelunterkünften.
## Kein Verständnis
Die Integrationsbeauftragte Böhmer sagte, sie sei „sehr enttäuscht“. Sie
forderte die Flüchtlinge auf, ihr Verhalten zu überdenken. „Die Chance des
Gesprächs am Donnerstag sollte von allen Seiten genutzt werden“, so Böhmer.
Dort nähmen „maßgebliche Fachleute“ teil, darunter der
Innenausschussvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU).
Auch Berlins Sozialsenatorin Dilek Kolat (SPD) zeigte sich
„verständnislos“. Die Gesprächszusage an die Flüchtlinge sei doch
eingehalten worden. Kolat rief Unterstützer der Protestierenden auf, „die
Situation nicht zu befeuern, sondern sich im Rahmen demokratischer
Möglichkeiten für eine Verbesserung der Situation der Flüchtlinge
einzusetzen“. Kolat und Böhmer hatten die Asylbewerber vor zwei Wochen
besucht, sich auch für ein Ende der Residenzpflicht und eine schnellere
Arbeitserlaubnis ausgesprochen.
Die Opposition kritisierte wiederum die Bundesregierung. „Die Forderungen
der Flüchtlinge sind berechtigt“, sagte Hakan Tas (Linke). Es könne nicht
sein, dass Schwarz-Gelb diese pauschal ablehne. Dirk Stegemann, Anmelder
der Protestmahnwache, sagte: „Mit ihrer Antwort hat die Regierung die
Flüchtlinge indirekt zum Hungerstreik aufgefordert“.
Die Asylbewerber kündigten an, ihren Protest noch zu verschärfen, sollte
das Gespräch am Donnerstag ergebnislos verlaufen. Bereits am Mittwoch soll
dies mit einer noch geheim gehaltenen Aktion demonstriert werden.
Die Mahnwache der Flüchtlinge ist ohne Befristung angemeldet. Nach einer
Verwaltungsgerichts-Entscheidung, der den Protestierenden ein Schutz von
"Witterung und insbesondere Kälte" in einem "notwendigen Maß" zusprach,
duldet die Polizei auch einen von Unterstütztern organisierten Bus vor Ort.
Dort übernachten die Flüchtlinge, wärmen sich auf. Neben den
Hungerstreikenden protestieren noch rund 50 Flüchtlinge in einem
Protestcamp am Oranienplatz in Kreuzberg für mehr Rechte.
16 Nov 2012
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Innenausschuss
Asyl
Schleswig-Holstein
Residenzpflicht
Flüchtlinge
Flüchtlinge
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