# taz.de -- Protest in nächster Runde: Flucht vor dem Schnee | |
> Flüchtlinge aus dem Camp am Oranienplatz besetzen eine leerstehende | |
> Kreuzberger Schule. Zumindest bis Dienstag können sie dort bleiben, sagt | |
> der Bezirk. | |
Bild: Die ehemalige Gerhart Hauptmann Schule in der Ohlauer Straße. | |
Zu sechzigst sitzen sie am Sonntagnachmittag in der früheren Schulaula, im | |
Stuhlkreis, auf hellem Parkett. Von der hohen Decke strahlen zwei schwere | |
Leuchter, die Heizungen bollern. Es ist das Plenum der Flüchtlinge. „Lasst | |
uns dieses Haus zum Zentrum der Flüchtlingsbewegung in Deutschland machen“, | |
schlägt Turgay Ulu, ein türkischer Flüchtling, vor. „Wir müssen | |
zusammenarbeiten, mit allen“, appelliert ein anderer Mann. Vor ihnen, in | |
der Kreismitte, schmiert sich ein Kapuzenträger Marmeladenbrote. Im | |
Treppenhaus tragen Aktivisten Computer hoch. | |
Seit Samstagnachmittag hat Kreuzberg ein besetztes Gebäude mehr. Da | |
okkupierten rund 100 Unterstützer der seit Wochen protestierenden | |
Flüchtlinge die leerstehende Gerhart Hauptmann-Oberschule in der Ohlauer | |
Straße. Sie hängten ein riesiges Banner aus den Fenstern: „Abschiebestopp! | |
Residenzpflicht, Lager abschaffen!“ | |
Eine Protestaktion gegen die „Zwangsunterbringung“ von Asylsuchenden sei | |
die Besetzung, heißt es in einer Erklärung. Ein „selbstorganisiertes, | |
soziales Zentrum“ wolle man auf dem Schulgelände aufbauen. Prompt setzten | |
am Sonntag die rund 20 Flüchtlinge, die seit Ende Oktober vor dem | |
Brandenburger Tor für mehr Rechte streiken, ihren dortigen Protest aus. Man | |
wolle „Kräfte bündeln“, sagte Omar Iqbal. Der Afghane hatte sich dort an | |
einem Hungerstreik beteiligt, zuvor war er mit anderen Asylbewerbern von | |
Würzburg nach Berlin marschiert. | |
Franz Schulz (Grüne), Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, besuchte | |
die Besetzer bereits am Samstag und gewährte ihnen eine Duldung bis | |
Dienstag. Dann berät sich das Bezirksamt. Die Polizei zog darauf am Abend | |
ab. „Ich unterstütze, dass die Flüchtlinge bei diesen Temperaturen ein Dach | |
über den Kopf bekommen“, sagte Schulz. Es sei „denkbar“, ihnen die Schule | |
als Winterquartier bis März zu überlassen. Ein dauerhaft selbstverwaltetes | |
Zentrum lehnte der Grüne dagegen ab. „Da gibt es andere Projekte, die | |
dringlicher eine Perspektive brauchen.“ | |
Die vierstöckige Hauptmann-Schule steht seit knapp zwei Jahren leer, weil | |
zuvor die Nachfrage stark gesunken war. Das Gebäude gehört dem Bezirk, der | |
im Erdgeschoss seit einem Jahr das Suchthilfezentrum Fixpunkt untergebracht | |
hat. Schulz will auch weitere lokale Projekte in der Schule beherbergen, | |
etwa die Freie Schule Kreuzberg oder ein Praxiskollektiv für HIV-Erkrankte. | |
Erste Räume sollen ab dem Frühjahr 2013 vergeben werden – spätestens dann | |
müssten die Besetzer weichen. | |
Die wollen nun erstmal den Dienstag abwarten. Bis dahin soll auch das Camp | |
am Oranienplatz aufrecht erhalten werden, für das der Bezirk erst vor | |
wenigen Tagen die Duldung verlängert hat. Zumindest nachts würden die | |
meisten Flüchtlinge aber in die Hauptmann-Schule gehen, hieß es aus dem | |
Camp. Dort waren unter den jüngsten Schneemassen Zelte eingestürzt. „Unser | |
Protest geht aber weiter“, betonte Omar Iqbal. Man halte sich auch die | |
Option offen, erneut ans Brandenburger Tor zu gehen. | |
Für den Sonntagabend wurden zunächst Bands in die Hauptmann-Schule | |
eingeladen. Aktivisten inspizierten die früheren Unterrichtsräume. Ins | |
Vorderhaus trugen sie Kisten mit Schuhen, Büchern und Kleidung für einen | |
„Umsonstladen“. „Wir haben hier alles, was wir brauchen“, schwärmte sc… | |
am Samstagabend ein Besetzer auf einem Plenum mit rund 80 Leuten. „Heizung, | |
Strom, Wasser – alles funktioniert.“ Nun seien alle gefragt, das Haus „mit | |
Inhalten und Projekten“ zu beleben. | |
Unterstützung kommt von der Linken. Vize-Landeschefin Elke Breitenbach bat | |
den Bezirk, den Flüchtlingen „bei der klirrenden Kälte“ eine längerfrist… | |
Perspektive zu eröffnen. „Ihr Protest gegen rassistische und ausgrenzende | |
Gesetze ist notwendig und verdient Unterstützung.“ | |
9 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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Asylsuchende | |
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