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# taz.de -- Flüchtlinge in Berlin: Eiskalte Schikanen
> Die Kritik am Umgang mit den Hungerstreikenden wächst. Die Opposition
> sieht „unmenschliches Vorgehen“. Auch der Sozialsenator appelliert.
Bild: Tapfer: Die Hungerstreikenden auf dem Pariser Platz.
„Sie lassen sich immer was Neues einfallen“, stöhnt Hamid M. Der iranische
Hungerstreikende blickt müde, er verschränkt die Arme vor dem dicken
Anorak, spricht leise. „Die Polizei hat nur ein Ziel“, sagt der 29-Jährige.
„Dass wir hier verschwinden.“
Seit Mittwoch, sechs Tage bereits, befindet sich Hamid M. mit 15 weiteren
Flüchtlingen vor dem Brandenburger Tor im Hungerstreik. Sie protestieren
gegen Abschiebungen, Sammelunterkünfte und Residenzpflicht – Tag und Nacht,
bei Minusgraden und unter steter Polizeikontrolle. Nun wächst die Kritik am
Umgang der Beamten und Verwaltung mit dem Asylprotest.
Denn auch am frühen Montagmorgen hatten Polizisten versucht, Ausrüstung der
Flüchtlinge zu beschlagnahmen: diesmal Säcke mit Kleiderspenden. Zwar ist
der Protest bis zum 5. November genehmigt; die Beamten berufen sich aber
auf einen Auflagenbescheid, der den Protestierenden Gegenstände untersagt,
die geeignet wären, ein Camp zu errichten. Die Hungerstreikenden und
Unterstützer reagierten, indem sie die Säcke als persönliches Hab und Gut
schulterten oder sich umbanden. Bereits in den Vortagen hatten Polizisten
ein Zelt, Isomatten, Schlafsäcke, Regenschirme und Wärmflaschen
beschlagnahmt.
Grünen-Landeschefin Bettina Jarasch nannte dies „beschämend“. Das Vorgehen
passe nicht zu dem Image der Toleranz, das sich Berlin gebe. Hakan Tas
(Linkspartei) kündigte an, den Polizeieinsatz im Innenausschuss zu
thematisieren. „Unmenschlich und schikanös“ sei die Behandlung der
Hungerstreikenden. Pirat Oliver Höfinghoff, der bei den Flüchtlingen
übernachtet hatte, forderte den Bezirk Mitte auf, den Protest „endlich ohne
weitere Behinderungen“ zu ermöglichen. Die Flüchtlinge hätten ein Recht,
ihr Anliegen nahe dem Bundestag zu Gehör zu bringen, jenem Ort, wo ihre
Probleme verursacht würden.
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) versuchte am Montag zu vermitteln. Ziel sei
es, Notübernachtungsorte nahe dem Brandenburger Tor bereitzustellen, so
Czaja. Ein Hungerstreik in dieser Kälte berge erhebliche
Gesundheitsrisiken. Gleichzeitig appellierte er an die Asylbewerber, ihre
„Gesundheit nicht unverantwortlich aufs Spiel zu setzen“. Am Mittag war ein
Hungerstreikender zusammengebrochen, der 23-Jährige musste im Krankenhaus
behandelt werden.
Der Bezirk Mitte blieb dennoch hart und lehnte einen erneuten Antrag der
Flüchtlinge, Zelte aufstellen zu dürfen, ab. „Es gilt der Grundsatz der
Gleichbehandlung“, sagte Baustadtrat Carsten Spallek (CDU). „Dauerhafte
Zeltstädte“ würden auf dem Pariser Platz grundsätzlich nicht genehmigt,
eine Ausnahme würde Nachahmer motivieren. Übernachtungsutensilien würden
wegen „unerlaubter Sondernutzung“ entfernt.
Der Anmelder des Protests, Dirk Stegemann, sprach von einer
„verantwortungslosen und eiskalten“ Reaktion. Er kündigte an, rechtlich
gegen die Ablehnung vorzugehen. Die Grüne Canan Bayram verwies auf
Friedrichshain-Kreuzberg, wo seit Wochen ein Flüchtlingscamp geduldet wird.
„Warum soll das in Mitte nicht möglich sein?“
Hamid M. erklärt, er werde den Protest fortsetzen. Er fühle sich schwach,
aber „okay“, sagt der Hungerstreikende. Die Erschöpfung ist ihm aber
deutlich anzusehen. Kaffee, Tee und Wasser habe er in den letzten Tagen
getrunken, sagt er. Mehr nicht. Er denke nicht daran, wie lange er das noch
durchhalten könne, sagt Hamid M., der vor sieben Monaten nach Deutschland
floh. „Wir bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind.“
Bisher aber hielten sich politische Entscheidungsträger vom Protest fern.
Erst am Abend kam einer vorbei: Farhad Dilmaghani, Staatssekretär von
Sozialsenatorin Dilek Kolat (SPD). Gute Nachrichten hatte er nicht dabei.
Er wolle sich erst mal informieren.
29 Oct 2012
## AUTOREN
K. Litschko
N. Schreiter
## TAGS
Flüchtlinge
Österreich
Piratenpartei
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