# taz.de -- Flüchtlinge protestieren: Hungerstreik im Regen | |
> Auch nach einem Polizeieinsatz harren 20 Flüchtlinge vorm Brandenburger | |
> Tor aus - nun ohne Zelt und weiter ohne Nahrung zu sich zu nehmen. | |
Bild: Verzichten auf Nahrung: Flüchtlinge auf dem Pariser Platz. | |
In dicken Jacken gehüllt, unter ein paar Regenschirmen sitzen die 20 | |
Flüchtlinge am Donnerstag vor dem Brandenburger Tor. Einige versuchen zu | |
schlafen, um sie herum liegen Transparente. Im Hintergrund posieren | |
Schausteller in US- und Sowjetuniformen für Fotos. | |
Am Mittwoch hatten die Asylsuchenden ihren Protest für bessere | |
Lebensbedingungen begonnen: einen unbefristeten Hungerstreik. Das Zelt, das | |
die AktivstInnen dafür anfangs errichten, hatte die Polizei am | |
Mittwochabend gegen 22 Uhr abgebaut. Mit über 20 Mannschaftswagen und | |
Hundestaffel waren die Beamten angerückt, hatten sich rund um den Pariser | |
Platz aufgestellt, um schließlich in zehn Minuten das Zelt zu | |
beschlagnahmen. | |
Die Hungerstreikenden hielten an ihrem Protest fest - unter freiem Himmel. | |
"Es war kalt, gegen 4 Uhr früh fing es an zu regnen", sagt einer von ihnen, | |
Hamid M. "Wir lagen auf dem nackten Boden." Die Flüchtlinge fordern einen | |
Abschiebestopp, die Unterbringung in Wohnungen statt Lagern, die | |
Abschaffung der Residenzpflicht und die Anerkennung aller Asylsuchenden als | |
politische Flüchtlinge. | |
Die 19-Jährige Maryam Daliri ist eine von drei Frauen, die sich am | |
Hungerstreik beteiligen. Sie war im Iran politisch aktiv und hat sich an | |
Demos gegen das Regime beteiligt, deshalb musste sie fliehen. Jetzt sitzt | |
sie vor dem Brandenburger Tor, wieder ist die Regierung Adressatin ihres | |
Protests - diesmal die deutsche. | |
"Der Staat hört uns nicht zu", sagt Daliri. Seit zweieinhalb Jahren lebt | |
sie in Deutschland, eineinhalb davon in einem Lager in der hessischen | |
Kleinstadt Korbach. Seit einigen Monaten hat sie mit ihrer Mutter und ihrer | |
Schwester eine Wohnung. Sie war schon einmal in Berlin, auf dem Protestcamp | |
am Oranienplatz. Am Mittwoch ist sie wieder gekommen, wegen des | |
Hungerstreiks. Denn für Asylsuchende gebe es keine Normalität in | |
Deutschland, sagt die junge Frau. "Ich bleibe, bis der Staat uns hört." | |
Laut Polizei sind am Brandenburger Tor Schlafsäcke und Isomatten verboten: | |
Auf einer politischen Kundgebung - so ist der Hungerstreik mittlerweile | |
angemeldet - hätten "Übernachtungsutensilien" nichts verloren. Auch im | |
Auflagenbescheid, der dem Protestanmelder Dirk Stegemann am Donnerstagabend | |
zuging, heißt es: Zelte, Planen und "Pappen" seien nicht erlaubt, wenn sie | |
"dem Witterungsschutz, dem Sitzen, dem Liegen oder in sonstiger Weise der | |
Bequemlichkeit der Versammlungsteilnehmer dienen". Begründung: Dafür gebe | |
keinen erkannbaren Zusammenenhang zum Versammlungsthema Hungerstreik. | |
Auch liegen oder gar schlafen, sei verboten, sagt Hamid M. Immer wieder | |
komme die Polizei und wecke Leute auf. | |
Stegemann kritisiert insbesondere Mittes Bezirksbürgermeister Christian | |
Hanke (SPD). Der habe die Möglichkeit gehabt, seinen politischen Spielraum | |
zu nutzen und zumindest das Zelt zu dulden, wie es am Kreuzberger | |
Oranienplatz geschehen ist. Stegemann prüft nun rechtliche Schritte. | |
Am Donnerstag stehen noch vereinzelte Polizeiautos am Platz, ein Pärchen in | |
grüner Uniform patroulliert um die Streikenden. Wieder gilt es, eine | |
polizeiliche Maßnahme durchzuführen: Ein Klappstuhl stört. Der Polizist | |
zeigt auf den Stuhl, der Mann, der darauf sitzt rollt die Augen, steht auf | |
und klappt den Stuhl zusammen. Er setzt sich auf den Boden und führt seinen | |
Protest weiter. | |
25 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Nikolai Schreiter | |
## TAGS | |
Piratenpartei | |
Flüchtlinge | |
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