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# taz.de -- Piratinnen führen Medien vor: Die große Entblößung
> Über einen Hungerstreik von Flüchtlingen in Berlin berichteten bisher nur
> wenige Medien. Deshalb kündigten Piratinnen an, sich auszuziehen.
Bild: Klare Ansage: Anke Domscheit-Berg, Julia Schramm und Laura Dornheim konze…
BERLIN taz | Sie sind alle da: Bild, B.Z., dpa, ARD, Spiegel online, Neues
Deutschland. Auch die Zeit, Welt, der Bayerische Rundfunk und der Rundfunk
Berlin-Brandenburg wollen kommen. Was ist da los? Verkündet die Kanzlerin
die Frauenquote? Legt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück seine
Nebeneinkünfte offen? Tritt Philipp Rösler als FDP-Chef zurück?
Nein. Ein paar Piratinnen haben angekündigt, sich auszuziehen. Auf dem
Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Genau dort, wo seit
einer Woche in einem Camp rund 25 Flüchtlinge im Hungerstreik sind – gegen
Residenzpflicht und für Abschiebestopp. Die Piratinnen wollen die
Flüchtlinge unterstützen, sagen sie, sie wollen sich solidarisch zeigen und
für sie kämpfen. Sie nennen ihre Aktion „Tits for human rights“ – Titten
für Menschenrechte.
Es ist Montagmittag, sonnig und arschkalt. Ein Animator im Berliner
Bären-Kostüm tänzelt neben dem Camp um ein paar Touristen herum, ein Clown
quietscht mit einem Babyschnuller. Die Polizei rückt an, ein
Mannschaftswagen nach dem anderen. Am Wochenende haben die Beamten den
Flüchtlingen die Decken, Schlafsäcke und Pappen weggenommen, auf denen sie
gelegen haben.
Die Journalisten bauen sich im Halbkreis auf, sie richten ihre Kameras ein,
sie zücken die Notizblöcke. Titten für Menschenrechte. Die Piraten bringen
sich auf der anderen Seite in Stellung. Anke Domscheit-Berg, die in den
Bundestag will, Julia Schramm, die gerade ihren Vorstandsposten aufgegeben
hat, Laura Dornheim, die bei den Piraten für Geschlechterfragen zuständig
ist. Ein Mann ist auch dabei: Felix Just von der
Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg. Er sagt: „Das
Ausziehen kann man doch nicht den Frauen überlassen.“
## „Sex sells. Human rights are not for sale“
Erst fliegen Schals aufs Pflaster, Domscheit-Bergs roter Hut, Mäntel,
Pullover. Dann stehen die Piratinnen und der Pirat im T-Shirt da. Ja, und
weiter? Es waren doch nackte Titten versprochen. Wo sind die? Die gibt es
nicht. Stattdessen steht auf den T-Shirts „Human rights, not tits“. Die
Piraten rufen: „Sex sells. Human rights are not for sale“ – Sex verkauft
sich immer. Aber Menschenrechte sind nicht für den Schlussverkauf da.
Was soll das? Die PiratInnen sagen es: „Schämt euch.“ Damit meinen sie die
Journalisten. Was die nämlich nicht wissen: Die Piratinnen hatten nie vor,
sich auszuziehen. Es ist ein Fake. Mit dem wollen sie „die Medien und deren
Sexismus vorführen“.
Mit ihren Titten kommt Laura Dornheim auf jeden Fall auf die Seite 1 der
Bild. So jedenfalls soll es ihr der Journalist versprochen haben. Aber
Laura Dornheim will gar nicht auf die Seite 1. Sie will „Inhalte
verkaufen“: Flüchtlinge, Finanzen, Geschlechtergerechtigkeit. Aber das
nimmt bei den Medien der Piratin niemand mehr ab. Von Anfang beschäftigt
sich die Partei nur mit sich selbst. Und jetzt noch Titten?
Trotzdem hat die Idee Charme. Laura Dornheim kommt am Abend zuvor darauf.
Sie verschickte an verschiedene Journalisten eine Twitter-Nachricht: „Wer
berichtet übers refugeecamp?“ Ein Bild-Autor fragte zurück: „Ist der
Johannes Ponader da? Dann würde ich auch kommen.“ Laura Dornheim:
„Verdammt, da hungern Menschen. Wenn es hilft, stell ich mich auch oben
ohne hin.“ Seine Antwort: „Deal“. Abgemacht.
## Empörte Twitter-Community
„Ist es nicht traurig“, fragt Anke Domscheit-Berg, „dass niemand der
Journalisten auf die Idee kommt, dass wir uns niemals ausgezogen hätten?“
Und Julia Schramm sagt. „Ich verkaufe meine Titten doch nicht an Bild.“
Jetzt kann auch die Twitter-Community wieder aufhören, sich zu empören. Die
hatte die Frauen schon als „Medienhuren“ und „Schlampen“ beschimpft, als
die ihre Aktion ankündigten.
Hat das Ganze funktioniert? Ja, findet Anke Domscheit-Berg: „Die
Journalisten haben zuerst mit den Flüchtlingen gesprochen und dann mit
uns.“
29 Oct 2012
## AUTOREN
Simone Schmollack
Simone Schmollack
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