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# taz.de -- Flüchtlinge protestieren: Lieber in der Kälte hungern
> Seit Tagen sind Flüchtlinge in Berlin im Hungerstreik – und sind bereit
> zu sterben. Politiker und Bürger helfen ihnen, doch die Polizei gängelt
> sie.
Bild: Sind bereit vor dem Brandenburger Tor zu sterben: protestierende Asysuche…
BERLIN taz | Die Sonne scheint aufs Brandenburger Tor. Hier, vor dem
weltbekannten Berliner Wahrzeichen, protestieren seit Anfang Oktober rund
zwanzig Asylbewerber gegen die Residenzpflicht, der sie gesetzlich
unterliegen. Acht Tage und Nächte haben sie nun schon auf den blanken
Steinen verharrt, 16 von ihnen haben am Mittwoch aufgehört zu essen.
„Wir werden bleiben“, sagt Hamit bestimmt. Mit verschränkten Armen steht
der Iraner neben dem Lager aus Regenschirmen und Bannern. In der Nacht
zuvor war wieder die Polizei hier. „Vier von uns wurden in einen
Polizeiwagen eingesperrt“, erzählt Hamit, „wir durften ihnen nicht mal Tee
bringen.“
Jede Nacht zwischen 2 und 4 Uhr, wenn nur vereinzelt Touristen vor dem
Brandenburger Tor für Schnappschüsse posieren, sammelt die Polizei die
Decken, Isomatten und sogar Sitzunterlagen aus Pappe ein. Die Versammlung
ist als Mahnwache angemeldet, für Zelte und Decken wäre eine
Sondergenehmigung nötig. Die erteilt das Bezirksamt nicht.
Deshalb sind auch nachts Unterstützer bei den Flüchtlingen. Sie verteilen
Tee und Informationsblätter, fordern über Twitter Kleiderspenden an.
Fisura, 42, hat von ihnen einen Kapuzenpulli bekommen. Die Iranerin hockt
am Boden, unter ihrem Pulli zeichnet sich eine Wärmflasche ab. Auch sie
habe seit Mittwoch nicht mehr gegessen, erzählt sie und nippt an einem
Becher Pfefferminztee.
„Für die Zukunft meiner Töchter mache ich alles“, sagt Fisura. Vor
zweieinhalb Jahren ist sie mit ihnen aus dem Iran geflohen. Mit dem Finger
deutet die Lehrerin eine Schlinge um ihren Hals an: „Meine ältere Tochter,
sie ist jetzt 22, wurde bedroht.“ Sie landeten in einer
Flüchtlingsunterkunft Kassel. „Das war unerträglich“, so Fisura. Deshalb
hat sie sich mit ihren Töchtern dem Flüchtlingszug angeschlossen.
## „Dann muss Deutschland zusehen, wie ich sterbe“
Im September waren 20 DemonstrantInnen in Würzburg zu einem Marsch in die
Hauptstadt aufgebrochen. Nach 28 Tagen und fast 600 Kilometern kamen sie an
und errichteten in Kreuzberg ein Zeltlager. Das zuständige Bezirksamt war
einverstanden. Doch dort fanden die DemonstrantInnen kein Gehör, deshalb
zog ein Teil von ihnen weiter, vors Brandenburger Tor.
Hier ziehen sie zumindest die Aufmerksamkeit von Politikern auf sich.
Tagsüber kommen regelmäßig die Grünen-Politiker Renate Künast und Christian
Ströbele vorbei. Oliver Höfinghoff, der für die Piraten im Abgeordnetenhaus
sitzt, ist fast rund um die Uhr bei den Flüchtlingen, auch Canan Bayram von
den Berliner Grünen. Um den geschwächten Hungerstreikenden zu helfen, haben
Unterstützer ihnen Rollstühle besorgt. In der Nacht zum Mittwoch hatten
Polizisten den Flüchtlingen untersagt, diese zu benutzen – daraufhin
setzten sich anwesende Politiker hinein.
Für Berlins Innensenator Frank Henkel ist diese Solidarität lediglich eine
„politische Inszenierung“. Grünen-Chefin Claudia Roth sagte dazu der taz,
der Berliner Senat habe sich offenbar „für die Seite der Repression
entschieden“. Sie forderte den Regierenden Bürgermeister auf, sich selbst
„ein Bild von der Situation im Herzen seiner Stadt zu machen. Herr
Wowereit, kommen Sie auf den Pariser Platz!“
Gregor Gysi erklärte, er verstehe nicht, „dass man die Situation zuspitzt,
anstatt mit den Betroffenen zu sprechen. Sie werden als Asylbewerber
diskriminiert und nun auch noch extrem schlecht behandelt.“ Hamit
verschränkt die Arme vor der Brust. „Wenn die Bedingungen für Asylbewerber
in Deutschland so unwürdig sind“, sagt er, „dann muss Deutschland auch
zusehen, wie ich vor dem Brandenburger Tor sterbe.“
Update: Die Berliner Polizei erlaubt inzwischen [1][die Benutzung eines
Wärmebusses].
31 Oct 2012
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## AUTOREN
Julia Maria Amberger
Julia Amberger
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