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# taz.de -- Getwittertes von den NRW-Piraten: Messer, Gabel, Schere, Twitter
> Der Opfer des Holocaust gedenken, während Israel Krieg führt? Dietmar
> Schulz von den Piraten im NRW-Landtag findet das „grotesk“.
Bild: Pirat Dietmar Schulz: Für ihn war das nur ein „Tweet mit Irritationsfo…
KÖLN taz | Die nordrhein-westfälische Piratenpartei und Twitter – eine
unglückliche Liebe. Geradezu genüsslich warten Medien und politische
Konkurrenz auf den nächsten Fauxpas. Und die Parlamentsneulinge liefern
zuverlässig.
„Piraten mit neuer Twitter-Panne“, „Piraten-Gezwitscher sorgt wieder einm…
für helle Aufregung“ oder „Ein Pirat twittert sich mal wieder ins Abseits�…
lauten die Schlagzeilen aus dieser Woche.
Die Aufregung ist gerechtfertigt. Denn es war keine Belanglosigkeit, mit
der der Piratenabgeordnete im Landtag von NRW, Dietmar Schulz, am Sonntag
um 13.41 Uhr die Welt beglückte, sondern ein politisches Statement mit
antisemitischer Konnotation: „Grotesk: Gedenken der Opfer von
Gewaltherrschaft und Krieg auf jüdischem Friedhof während Israel bombt was
das Zeug hält“, twitterte der 52-jährige Rechtsanwalt und
Unternehmensberater, der sich selbst als „libertär“ bezeichnet.
Bei den bisherigen „Twitter-Skandalen“ ging es stets um Lächerlichkeiten:
Ob eine Landtagsabgeordnete der Öffentlichkeit ihre Freude darüber
mitteilen sollte, dass alle Tests nach einem geplatzten Kondom bei einem
One-Night-Stand negativ ausgefallen sind, ist eine Geschmacksfrage.
## Temporär unzurechnungsfähig
Bei dem Tweet von Schulz geht es hingegen nicht einfach um ein
„unreflektiertes Verhalten“, wie ihm der Landesvorstand der NRW-Piraten
attestierte. Auch nicht ausreichend ist es, wenn der Vorstand der
Landtagsfraktion dem Abgeordneten eine temporäre Unzurechnungsfähigkeit
bescheinigt: „Bei dem offensichtlich missverständlich formulierten Tweet
kann es sich nur um ein Versehen handeln.“
Deutlichere Worte fand hingegen Landtagspräsidentin Carina Gödecke (SPD):
„Wer die systematische Ermordung von Millionen von Juden während der
Nazi-Diktatur mit der heutigen Gefahr eines Krieges im Nahen Osten
verknüpft, verhöhnt die Opfer der NS-Verbrechen ein zweites Mal.“ (Beim
ersten Mal wurden sie allerdings nicht nur verhöhnt: Sie wurden von
Deutschen umgebracht).
Schulz selbst konnte zunächst nichts Anstößiges an seiner Aussage erkennen.
„Die Sache ist einfach so: Irgendjemand schreibt jüdischer Friedhof und
Israel in einen Satz. Ein anderer schreit Antisemit. Peng!“, kanzelte er
via Twitter zunächst Kritiker ab.
## „Tweet mit Irritationsfolgen“
Erst nach erheblichem innerparteilichem Druck sah er sich am
Montagnachmittag zu einer wachsweichen „Erklärung zu einem Tweet mit
Irritationsfolgen“ genötigt. „Sollten sich unmittelbare, mittelbare Opfer
oder Angehörige von Opfern von Gewaltherrschaft und/oder Krieg durch den
Tweet in ihrer Ehre oder der Ehre und dem Andenken Angehöriger an Opfer
verletzt fühlen, bedauere ich auch dies zutiefst und entschuldige mich für
die – wenn auch aus meiner Sicht fern liegende – Schaffung der nicht
ausschließbaren Grundlage für eine solche, nicht beabsichtigte
Interpretationsmöglichkeit“, heißt es darin verschwurbelt. Juden tauchen in
seiner Erklärung nicht auf.
Die Piratenpartei gibt sich gerne unideologisch. „Wir sind nicht links oder
rechts, wir sind vorne“, behauptet sie in Selbstdarstellungen. Ob ihr in
den Bundestag strebender Vorzeigeanwalt Udo Vetter für Rechtsextreme Klage
gegen das Verbot ihrer Vereinigung „Besseres Hannover“ einreicht oder der
Volljurist Schulz seiner Twitterleidenschaft frönt: Tatsächlich fehlt es
den Piraten an einem Koordinatensystem, das zumindest ihre Repräsentanten
einigermaßen zuverlässig vor den gröbsten Verirrungen bewahrt.
Bei den Grünen wäre ein Twittereintrag wie der von Schulz einen Rücktritt
wert. Manchem auf dem „antiimperialistischen“ Flügel der Linkspartei wäre
zwar auch eine vergleichbare Entgleisung zuzutrauen. Aber der empörte
Aufschrei innerhalb der eigenen Reihen wäre wenigstens gewiss.
20 Nov 2012
## AUTOREN
Pascal Beucker
Pascal Beucker
## TAGS
Antisemitismus
Rechtsextremismus
Twitter / X
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