# taz.de -- Drogen nehmen in Berlin: Einmal Fair-Trade-Biokoks, bitte | |
> Für Berliner Partygänger hat ein Dealer etwas ganz Besonderes. Er | |
> vertickt reines Biokoks. Guter Stoff, noch besseres Gewissen. | |
Bild: Koks. | |
BERLIN taz | Sonntagmorgen in der Berliner „Panoramabar“. Das Licht ist | |
hier etwas heller als im eigentlichen „Berghain“, die Musik sanfter, das | |
Publikum gemischter. „Andere Läden betritt man, bleibt eine Weile und fährt | |
dann woandershin. Hier bleibt man. Der Rest der Welt verschwindet“, | |
schreibt der frühere taz-Redakteur Tobias Rapp in seinem Buch [1][„Lost and | |
Sound“] über den mutmaßlich besten Club der Welt. | |
Pascal* sitzt in der Lounge und zündet sich eine Zigarette an. American | |
Spirit, gelbe Packung. Eben war er mit Freunden auf dem Klo, die erste Line | |
der Nacht ziehen. Für ihn ist der Rest der Welt nicht verschwunden, noch | |
nicht. „Politisch ist das mit dem Koks ein Problem“, sagt er. „An unseren | |
Partys klebt Blut.“ Wumms. | |
Es gibt Sätze, die sind wie Fallbeile; Sätze, die etwas, das eben noch als | |
fröhlich und gut daherkam, schlagartig als schmutzig und hässlich | |
erscheinen lassen. Im Berlin der neunziger Jahre, als etliche illegale | |
Clubs von einem leerstehenden Haus ins andere zogen, lautete so ein Satz: | |
„Wir feiern in arisiertem Eigentum.“ Bäng. „An unseren Partys klebt Blut… | |
Wumms. | |
„Eigentlich ist mir dieses Moralisieren zuwider“, sagt Pascal nach einer | |
Pause. „Ich bin für Freude, Lust und Genuss für alle Menschen, und zwar im | |
Hier und Jetzt.“ Und wer zum Feiern Drogen nehme, solle dies tun können, | |
sofern er einen „aufgeklärten Umgang“ damit finde. | |
Pascal ist Mitte 30, hat kurze hellbraune Haare und ein paar Bartstoppeln. | |
Er arbeitet als Texter in einer Werbeagentur, und seine Freunde, die schon | |
in der tanzenden Menge verschwunden sind, entstammen demselben Milieu: | |
Sylvana forscht an der Universität, Farid ist Anwalt und Sünje arbeitet bei | |
einer Fernsehproduktionsfirma. Sie machen Sport, Yoga oder Tai-Chi. Sie | |
beziehen Ökostrom und kaufen oft Bioprodukte. Und sie reisen viel. Pascal | |
will in diesem Jahr mit seiner Freundin durch die USA fahren, from coast to | |
coast – es sei denn, sie kaufen sich eine Eigentumswohnung. | |
## Biomarkt und Koks | |
Wie Biomarkt und Koks zusammenpassen? „Bio ist für mich nichts | |
Ideologisches“, antwortet Pascal. „Das Ziel ist nicht das gesunde, sondern | |
das gute Leben. Dazu gehört Gesundheit genauso wie feiern gehen.“ Pascal | |
unterscheidet zwischen ausgehen und feiern gehen. Ausgehen, das ist Kino, | |
Kneipe, Freunde treffen. | |
Wenn er jedoch feiern geht, kann ein Wochenende schon mal so aussehen: | |
Freitagabend in eine Kneipe und dann in einen Club, das linke „About Blank“ | |
oder die „Wilde Renate“ mit ihrem Bauwagencharme, gegen Mittag vielleicht | |
ins schickere „Watergate“, am Nachmittag entspannen, im Sommer gern bei | |
einem kleinen Open Air, dazwischen etwas essen (man muss nur dran denken), | |
dann wieder losziehen, am frühen Sonntagmorgen ins „Berghain“, und zum | |
„Tatort“ nach Hause. | |
Ohne stimulierende Drogen ist ein solches | |
[2][Drei-Tage-Wach-Druff-Druff-Druff-Programm] natürlich nicht | |
durchzuhalten. Pascal trinkt nicht viel Alkohol, „schon gar nicht beim | |
feiern gehen“, sagt er und nimmt einen Schluck aus einer Flasche „Club | |
Mate“, an der er seit einer Stunde nuckelt. Dafür nimmt er MDMA und Speed, | |
am liebsten aber Kokain. | |
Früher war Pascal in der Antifa tätig. Doch der „linke Politkram“ sei ihm | |
zu viel geworden. Und er habe viele seiner früheren Gewissheiten verloren. | |
„Wenn es wichtig ist, geh' ich immer noch auf eine Demo“, sagt er. Drogen | |
habe er zu seiner Zeit an der Uni und in der Antifa auch manchmal genommen, | |
aber seltener als heute. „Dann hast plötzlich mim Schlucka ogfanga, und i | |
glaub, a bisserl aufgebn hast damals scho“, singt Konstantin Wecker in | |
seiner [3][Ballade] auf seinen 68er-Genossen Willy, und bei Pascal war es | |
vielleicht ähnlich, nur dass er halt mit dem Schnupfa ogfanga hat. | |
Vier Millionen Europäer, so [4][schätzt] die Europäische | |
Drogenbeobachtungsstelle, haben im Jahr 2011 mindestens einmal gekokst. | |
Gleichwohl habe die Attraktivität dieser Droge zuletzt abgenommen. Und das | |
könnte auch mit den Begleiterscheinungen des Kokainhandels zu tun haben, | |
die Pascal Unbehagen bereiten. | |
## Politisch korrektes Koks | |
„Für politisch korrektes Koks würde ich mehr zahlen“, sagt er und beugt | |
sich vor, als würde er erst jetzt über ein Thema sprechen, das Diskretion | |
gebietet. Er habe da etwas von Bekannten gehört, aber wisse nicht, ob es | |
stimme: fair gehandeltes Kokain. | |
Das Landeskriminalamt hat davon, wie eine spätere Nachfrage zeigt, noch | |
nichts gehört. Auch Pascals Bekannter weiß nicht viel mehr, außer auf einen | |
anderen Bekannten zu verweisen. Einige Wochen und weitere Bekannte und | |
Bekannte von Bekannten später fällt endlich ein Name: Freddy. Und | |
irgendwann ist der Kontakt hergestellt. Nach einigem Zögern lässt sich | |
Freddy auf ein Treffen mit der taz ein. Die Bedingung: kein Wort zu seiner | |
Person, nur zum Geschäft. | |
Gut, dieser Berufsstand stand noch nie im Ruf, besonders pünktlich zu sein; | |
„First thing you learn is you always gotta wait“, sangen The Velvet | |
Underground in ihrer [5][Dealerhymne] „I'm waiting for the man“. Freddy | |
verspätet sich um über eine Stunde, aber immerhin kommt er tatsächlich mit | |
seinem Kleinbus angefahren. Kurzer Blickkontakt, ein Nicken, einsteigen. | |
Es ist Freitagnacht, Freddys Arbeitswoche hat begonnen. Er ist auf Tour. Er | |
bekommt einen Anruf, man verabredet einen Treffpunkt, Freddy kommt, fährt | |
mit seinen Kunden ein-, zweimal um den Block und wickelt dabei beiläufig | |
den Handel ab. „Alles läuft über persönliche Kontakte. Ich bin nicht so | |
gierig und ich will nicht in den Knast.“ | |
## „Fair gehandelt und bio“ | |
Und sonst? „Ja, mein Koks ist fair gehandelt und bio“, sagt Freddy. | |
Fair-Trade-Biokoks – klingt nach einem doppelten Widerspruch in sich. Nach | |
einem Dioxymoron. | |
– „Wie kannst du garantieren, dass der Stoff fair gehandelt ist?“ | |
– „Garantieren kann ich nix, das sage ich auch allen. Aber ich habe | |
Argumente.“ | |
– „Die wären?“ | |
– „Ich kriege das Koks von Leuten, die es selber importieren.“ | |
– „Und woher kriegen die es?“ | |
Freddys Handy klingelt. Er hebt ab, das Gespräch ist kurz: „An der Ecke wie | |
immer. Alles klar, halbe Stunde.“ Routiniert nimmt Freddy den | |
Gesprächsfaden wieder auf. | |
## „Keine Mafia, keine Toten“ | |
– „Direkt von Kooperativen in Südamerika. Kokabauern, die sich | |
zusammengeschlossen haben und auch das Kokain selber herstellen. Wenige | |
Zwischenhändler, keine Mafia, keine Toten. Fair Trade.“ | |
– „Warst du selbst schon mal bei dieser Kooperative?“ | |
–„Kein Kommentar.“ | |
– „Könnte die Mafia das nicht an sich reißen wollen?“ | |
– „Woher soll ich das wissen?“ | |
– „Sorry. Bist du der Einzige, der den Stoff in Berlin verkauft?“ | |
– „Kein Kommentar.“ | |
– „Und deine Kunden nehmen dir das Label Fair Trade ab?“ | |
– „Sie tun es oder sie lassen es. Ein staatliches Siegel habe ich nicht. | |
Aber ich habe was anderes. | |
– „Und zwar?“ | |
Wieder klingelt das Handy. „Hallo, ja, gut, alles klar.“ | |
– „Qualität. Mein Koks ist nur etwas teurer als das Koks, das du sonst in | |
Berlin kriegst. Aber es ist viel sauberer. Gutes Koks zu fairen | |
Bedingungen. Willst du mal probieren?“ | |
– „Nein danke.“ | |
Pause. Und leider klingelt jetzt kein Handy. | |
– „Wer sind deine Kunden?“ | |
– „Leute, die guten Stoff und gutes Gewissen wollen. Lodas.“ | |
– „Bitte was?“ | |
– „Lodas wie Lohas, Leute mit Lifestyles of Drugs and …“ | |
Freddy sucht das englische Wort für Nachhaltigkeit, das sich zum Akronym | |
Lohas zusammenfügt, kommt aber nicht auf Sustainability. „Ist egal“, sagt | |
er dann, „war nur so ein Spruch.“ Anfangen habe alles, erzählt Freddy | |
weiter – es ist das erste Mal, dass er ungefragt etwas ausführt –, vor ein | |
paar Jahren mit Marihuana aus ökologischem Anbau. Das sei einfach, das Gras | |
stamme ja aus holländischem oder deutschem Anbau. Und dann sei es nur eine | |
Frage der Zeit gewesen, bis jemand auf die Idee mit dem Fair-Trade-Biokoks | |
kam. „Wo Nachfrage, da Angebot“, sagt er. | |
Aber wie kann Koks bio sein? Streng genommen sei es nicht bio, das gebe es | |
nur bei Gras oder halluzinogenen Drogen wie Pilzen. „Für die Herstellung | |
von Koks nimmt man normalerweise Kerosin, Schwefelsäure und | |
Kaliumpermanganat. Aber es gibt biologische Alternativen oder weniger | |
giftige. Ich glaube, die sind da noch am Experimentieren. Wenn ein Flugzeug | |
mit Biosprit fliegen kann, kann man auch Koks mit Sojaprodukten oder so was | |
herstellen, meinst du nicht?“ | |
Freddy ist schon zum vierten Mal dieselbe Runde gefahren. Er wird | |
ungeduldig. Und er hat erzählt, was er erzählen wollte. „Ich kenne da einen | |
Loda, der wäre bestimmt interessiert“, sage ich, um einen freundlichen | |
Abschluss zu finden. „Dann wird er mich finden“, sagt Freddy und fährt | |
rechts ran. | |
* Alle Namen geändert. | |
8 Jan 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://jungle-world.com/artikel/2009/07/32668.html | |
[2] http://www.dailymotion.com/video/x5ted3_lutzenkirchen-3-tage-wach_music#.UO… | |
[3] http://www.youtube.com/watch?v=lOvBInxQ1oo | |
[4] http://www.emcdda.europa.eu/attachements.cfm/att_190854_DE_TDAC12001DEC_.pdf | |
[5] http://www.myvideo.de/watch/5551801/The_Velvet_Underground_I_m_Waiting_For_… | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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